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Der Wiener Stephansdom - ein frühes Crowdfunding-Projekt

Bezahlt haben den Umbau des Stephansdoms die Wiener und Wienerinnen.
Bezahlt haben den Umbau des Stephansdoms die Wiener und Wienerinnen. ©APA
Jahrhundertelang wurde in der Wiener Innenstadt an der Verwandlung vom romanischen Dom zum gotischen Wahrzeichen gearbeitet. Was vielen nicht bewusst ist: Das Geld dafür kam von den Wienern selbst, wie Kunsthistorikerin Barbara Schedl erklärt.
Spenden für den Stephansdom
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Im Zuge eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts arbeitet die Kunsthistorikerin der Universität Wien erstmals alle Quellen zur Baugeschichte des Wiener Wahrzeichens auf. Bisher war diese nämlich kaum erschlossen. “Man hat nie Grundlagenforschung betrieben oder die Quellen in ihrer Gesamtheit erfasst. In der Literatur wurde stattdessen häufig ein bisschen herumgeschummelt”, schilderte Schedl im APA-Interview.

Der Stephansdom als Crowdfunding-Projekt

Daher erfasste die Wissenschafterin alle Dokumente wie etwa Urkunden, Rechtstexte, Augenzeugenberichte oder Baurechnungen erstmals systematisch und rekonstruierte den Bauprozess – mit durchaus überraschenden Ergebnissen. Denn die Kosten für das riesige Bauvorhaben wurden nicht aus den Kassen der Landesfürsten finanziert. Vielmehr halfen die Wiener, den Bau ihres “Steffls” voranzutreiben. “Viele haben gestiftet, gespendet oder den Stephansdom in ihren Testamenten bedacht, um das eigene Seelenheil zu garantieren”, so Schedl. Der Dom wurde so zu einem frühen Crowdfunding-Projekt.

Auch mit Ablässen, also dem Freikaufen von Sünden, wurden Teile der Baustelle finanziert, Opferstocksammlungen waren ebenfalls an der Tagesordnung. Natürlich habe es daneben auch Zuwendungen vom Landesfürsten, besonders von Rudolf IV., dem Stifter, gegeben. So widmete er nicht nur Steuern um, sondern legte auch vielen Klöstern nahe, Geld für den Kirchenbau zu geben. “Unter Rudolf dem Stifter erfuhr der Stephansdom eine Aufwertung: Nicht nur durch die Verwandlung zur Kollegiatskirche, sondern auch dadurch, dass er den Chor des neuen Doms als Grab für seine Dynastie bestimmte”, erklärte die Kunsthistorikerin. Zudem überließ er der Kirche seinen Reliquienschatz.

Kosten kann man nicht rekonstruieren

Wie viel der Bau insgesamt gekostet hat, lässt sich heute jedoch kaum mehr rekonstruieren. Sicher ist jedoch, die Baustelle war für Wien ein Wirtschaftsfaktor, betonte Schedl. Denn nicht nur heimische, auch internationale Handwerker fanden hier Arbeit. “Handwerker im Mittelalter zeichneten sich durch hohe Mobilität aus, sie zogen von Baustelle zu Baustelle”, meinte die Kunsthistorikerin. Etwa acht bis zehn Menschen waren fix am Wiener Dombau beschäftigt, andere Leistungen wie etwa Fuhrwerke, Zimmerarbeiten oder Schmiedearbeiten wurden zugekauft.

Als Baumeister holte man sich mit Namen wie Laurenz Spenning die Stararchitekten der damaligen Zeit, sie wurden fürstlich bezahlt. Ebenfalls wichtiges (und gut honoriertes) Bindeglied: der Polier. Die Steinmetze wurden hingegen nach Können und Werkstück entlohnt, wie aus den Rechnungen hervorgeht. Die Baustelle wurde vom Kirchmeister verwaltet, den wiederum der Wiener “Rat” kontrollierte. Mit Jahresende musste der Kirchmeister, meist ein sehr wohlhabender Bürger, eine Abrechnung vorlegen und wurde danach entlastet. Auch gegen Misswirtschaft war man damals gewappnet: Etwaige Defizite musste der Kirchmeister aus der eigenen Tasche begleichen. Das sei jedoch kaum vorgekommen, so die Wissenschafterin.

Ein Nebeneinander von Alt und Neu

Im Osten schon gotisch, im Westen noch romanisch: Die Baustelle war, wie Schedl ausführte, häufig “unorthodox” und ein ziemliches Flickwerk. “Es war ein gleichzeitiges Nebeneinander von Alt und Neu.” Neben dem modernen Hallenchor und dem großen spätgotischen Kirchenhaus stand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts im Westen etwa noch das niedrige, kleine Kirchenlanghaus. Benutzt wurde beides – ebenfalls ein neuer Befund der Quellenarbeit. Die neuen Teile wurden ebenso liturgisch bespielt wie der alte, inzwischen sehr reduzierte Kirchenbau: Hier fanden etwa Taufen oder Begräbnismessen statt. “Die Stephanskirche des 13. Jahrhunderts war sehr lange in Benutzung, länger als bisher gedacht.”

Die Baustelle hatte dabei immer auch etwas Provisorisches, oft wurden Teile erst einmal vorübergehend benutzbar gemacht: “Auf den Rechnungen finden sich Unmengen von Lattenholz, mit denen Lattenwände errichtet wurden, oder billige, provisorische Dachschindeln – die Vorgänger der teuren Ziegel”, erklärte die Kunsthistorikerin. Die Einwölbung erfolgte überhaupt erst gegen Bauende, statt teurer Buntglas- gab es zunächst einmal billige einfache Fenster. Eine in anderen Ländern ebenfalls nicht ungewöhnliche Vorgangsweise.

Neues Buch über den Stephansdom geplant

Auch über den Bauprozess selbst geben die Quellen Auskunft. Anhand von Baunähten und Baubefunden überprüft Schedl derzeit ihren Schriftquellenbefund. Insgesamt hat sie rund 2.500 Textseiten ausgewertet, die von knapp vor 1200 bis 1533 datieren. Zu dieser Zeit wurde der Bau endgültig eingestellt, der Nordturm wurde nie vollendet. Die endgültigen Ergebnisse sollen dann in Buchform gefasst werden und 2016 bzw. 2017 erscheinen. (APA)

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