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"Der 27. Kanton": Vorarlberger Landestheater rührt lustvoll in der Geschichte

Ein historisches Ereignis in zwei Uraufführungen
Ein historisches Ereignis in zwei Uraufführungen ©VOL.AT/Paulitsch
Zwei Werke zur Vorarlberger Identität - zwei Herangehensweisen. Einmal das aufmüpfige Ländle, dann wieder die Vorarlberger als Fähnlein im Wind.
"Der 27. Kanton" am Landestheater
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Das Vorarlberger Landestheater brachte mit “Der 27. Kanton” in der Inszenierung von Patricia Benecke zwei Werke erfolgreich zusammen. Die Uraufführungen am Freitag wurden vom Publikum in Bregenz sehr gut aufgenommen.

Im Mai 1919 stimmten im westlichsten Bundesland Österreichs in einer Volksabstimmung über 80 Prozent der Wahlberechtigten für Verhandlungen mit der Schweiz, Volarberg wollte ein Teil der Eidgenossenschaft werden. Diese hatte jedoch am “Kanton Übrig” kein Interesse. 100 Jahre später nehmen sich die beiden Autoren, Thomas Arzt, Österreicher, und Gerhard Meister, Schweizer, gemeinsam dieses Themas an. Der Abend startet mit der Ansage ans Publikum, “kein Essen während der Vorstellung und das Handy ausschalten” auf Hochdeutsch, “Schwizerdütsch” und in einem Vorarlberger Dialekt. Gelächter im Publikum.

Selbstbildnis der Vorarlberger

Dann startet der Abend mit “Die Verunsicherung”. Thomas Arzt wählt das Heute und als Ort das Restaurant Kaiserstüberl. Wirtin und Gäste sind aufgebracht und irritiert von Vermessungsarbeiten im Land. Wer hat dazu den Auftrag gegeben und wofür diese “illegale Großbaustelle”? Die Entwicklung entspricht dem Selbstbildnis der Vorarlberger: Wachsam für Veränderungen und bereit, Kritik an Bund und EU zu üben. Aktuelle Ereignisse wie die Abschiebung einer gut integrierten Sulzberger Flüchtlingsfamilie und der darauffolgende Eklat mit Bundeskanzler Sebastian Kurz werden angeschnitten. “Alle 100 Jahre wird der Widerstand geweckt”, bringt Arzt die Ereignisse in Zusammenhang mit dem Mai 1919 und lässt die Figuren ihren politischen Appell an die aktuelle Regierung formulieren: “Bis hierher und keinen Schritt weiter!”. Die Sprache des Textes ist klar und kraftvoll. Die Verunsicherung der Figuren wird sprachlich betont, indem Wörter weggelassen werden.

Vorarlberger als Fähnlein im Wind

Nach der Pause zeigt Gerhard Meister in “Lauter vernünftige Leute” die Vorarlberger als Fähnlein im Wind. In seiner Vorlage kommt Vorarlberg 1919 zur Schweiz, “wechselt” 1938 zu Deutschland und kehrt 1945 reumütig zur Schweiz zurück. Man habe immer das Vernünftigste getan, sind sich die Figuren einig. Das Stück endet 2019 mit dem 100-Jahr-Jubiläum der Zugehörigkeit zur Schweiz. Der Ausrutscher zwischen 1938 und 1945 wird übersehen, gekämpft wird im 21. Jahrhundert für Europa und die christlichen Werte.

Sämtliche Darsteller sind in beiden Stücken besetzt und kommen mit der Doppelbelastung bestens zurecht. Während es im ersten Stück noch klare Rollen-Zuordnungen gibt – Rahel Jankowski als resolute Wirtin, Bo-Phyllis Strube als sportliche, etwas gehetzte Landesrätin Marianne, Felix Defer als Stammgast Michel, David Kopp als genervten Gsiberger Andi, Luzian Hirzel als etwas steifer Vermesser, der keine Auskunft geben will, sowie Elke Maria Riedmann, die die demente Elisabeth, die nachts Parolen an Häuserwände sprüht, überaus feinfühlig darstellt – verschmilzt das Ensemble im zweiten Teil zu einer unbestimmten, anonymen Bevölkerungsmenge, die einfach nur vernünftig sein will.

Mit leichter Hand und Humor

Die Inszenierungen von Patricia Bencke überzeugt. Beide Werke sind mit leichter Hand, kritisch, aber doch auch mit Humor inszeniert. Das Bühnenbild von Carolin Mittler besteht aus einer Vielzahl nostalgischer Radios. Ein großer Apparat in der Mitte dient im ersten Teil als Ausschank im Restaurant Kaiserstüberl, im zweiten Teil als Wand mit einem Fenster – quasi das Tor zur Schweiz. Kleine Radios werden zu Sitzgelegenheiten umfunktioniert. Detail am Rande – am Ende des ersten Teils fährt im Hintergrund eine Seilbahn vorbei, während im Vordergrund das Ensemble inbrünstig das Lied “Sauber ist das Ländle” intoniert.

Während die österreichische Sicht auf Vorarlberg durch Thomas Arzt das Klischee des aufmüpfigen Vorarlbergers fast etwas zu gut bedient und manchmal ins Idyllische abgleitet, liefert die Vorlage des Schweizer Kollegen Gerhard Meister eine Fiktion, die zwar nicht eingetreten ist, aber durchaus warnen soll. Ein interessanter Theaterabend in Form und Inhalt, der vom Publikum mit sehr viele Applaus bedacht wurde.

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