Debatten in der Scheune: Die Dachstein Dialoge

Es ist eine besondere Atmosphäre, die dieses Festival, das von den Bürgermeistern der Dachsteingemeinden Filzmoos und Ramsau initiiert und von dem Historiker, Autor und Journalisten Philipp Blom künstlerisch geleitet wird, auszeichnet. Während sich die Tourismusgemeinden über herbstliche Wanderer und Mountainbiker freuen, sich für die Skisaison rüsten und der Almabtrieb gefeiert wird, reisen prominente Referentinnen und Referenten an, um in mustergültig ausgeräumten und mit ihren alten Gerätschaften wie kleine Heimatmuseen wirkenden Scheunen zu diskutieren. Gedankenaustausch, begleitet vom Duft von frischem Heu - das ist das Markenzeichen der Dachstein Dialoge.
Hubschrauber und Hofhahn
In diesem Ambiente Weltbürgern wie die österreichische Journalistin Tessa Szyszkowitz, die in Jerusalem, Brüssel und Moskau gelebt hat, oder den in Teheran geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Juristen Ebrahim Afsah, der in Afghanistan mit Taliban-Führern verhandelt hat, zuzuhören, wie sie sich mit Festivalleiter Blom über die Frage "Wer ist Nachbar, wer ist Feind?" unterhalten, ist so bizarr wie erfrischend. Die Geräuschkulisse zum Gedankenaustausch bilden Hubschrauber-Überflüge, die wie eine Hommage an die besprochenen Kriegsschauplätze wirken, und der Hofhahn, der in regelmäßigen Abständen von sich hören lässt.
Inhaltlich ist man am Bögrainhof am Samstag rasch in Gaza und Ruanda, in Afghanistan und den USA. Wie lässt sich weiterexistieren, wenn Menschen, mit denen man friedlich zusammenlebte, plötzlich die Waffe gegen einen erheben? "Ein Frieden ist ohne ein gewisses Maß von Vergessen nicht möglich - auch, wenn es Unrecht miteinschließt", meint Afsah, und Szyszkowitz berichtet von gelungenen Beispielen der persönlichen Aussöhnung zwischen Hutus und Tutsis nach den Massakern.
"Austrifizierung" und "Unwillkommenskultur"
Anderntags geht es im Schweigerhof in der Ramsau um die provokant gestellte Generalfrage dieses Festivals: "Wer gehört zu uns?" Nach der kurzfristigen Absage der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger wird diese von Philipp Blom mit der Journalistin und Autorin Solmaz Khorsand erörtert, deren aktuelles Buch "untertan. Von braven und rebellischen Lemmingen" (Leykam Verlag) am gut sortierten Büchertisch aufliegt, der gemeinsam mit dem Erfrischungsstand von Location zu Location mitwandert. "Ich habe Wir-Diskurse immer abgelehnt", betont Khorsand und wehrt sich gegen Vereinnahmung durch jegliche Gruppe, die sich den Anschein von Homogenität und Authentizität geben will. Eine "Austrifizierung" von Migranten lehnt sie ebenso ab wie eine staatlich etablierte "Unwillkommenskultur". Dass das überalterte Europa eine Verjüngung von außen benötige, steht für sie fest: "Wir werden uns um Migranten noch schlagen."
Bauernkriege und Gegenreformation
Geschlagen hat man sich in der Dachsteinregion in früheren Zeiten immer wieder. Wie blutig die Bauernkriege und die Gegenreformation in dieser Gegend verlaufen sind, wird durch eine Seminarreihe und einen Vortrag des Historikers und ehemaligen Staatsarchiv-Leiters Wolfgang Maderthaner deutlich.
Maderthaner, der sich in seinem vor zwei Jahren erschienen Buch "Zeitenbrüche" mit "sozialrevolutionären Aufständen in habsburgischen Landen" beschäftigt hat, schließt am Samstagabend in der Turnhalle der Filzmooser Volksschule dort an, wo der Autor Peter Gruber in einer von Peter Angerer musikalisch-performativ begleiteten Lesung aus seinem 1998 erschienenen Roman "Notgasse" wenige Stunden davor aufgehört hat: beim Ennstaler Bauernaufstand von 1525, bei dem sich die Bauern und Knappen der Region den im Namen eines hehren Christentums in Tirol und Salzburg begonnenen Freiheitsbewegungen gegen Adel und Klerus anschlossen.
Nachwirkungen bis heute
An zwei Dingen lässt Maderthaner keinen Zweifel: In den u.a. vom Tiroler Michael Gaismair entwickelten politischen Forderungen waren die Aufständischen ihrer Zeit weit voraus; und: sie mussten es bitter büßen. Die Rache der Habsburger für die im Juli 1525 in der Schlacht von Schladming gegen die Bauern und Knappen erlittene Niederlage war maßlos und blutig.
Dass nicht nur soziale, sondern auch religiöse Differenzen die Region tief erschütterten, zeigen die Quellen über die Protestantenvertreibung der Gegenreformation, die das Zusammenleben rund um den Dachstein lange prägten. Dass Filzmoos katholisch und Ramsau protestantisch dominiert sind, bestimme noch heute das Zusammenleben, erfährt man in den vielen Gesprächen am Rande der offiziellen Debatten verblüfft. Erst danach kann man wirklich ermessen, was eine Initiative wie die Dachstein Dialoge für die beteiligten Gemeinden bedeutet.
"Wir sollten Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung empfinden", hat der Filzmooser Bürgermeister Josef Hofer (ÖVP) am Freitag in seiner Begrüßung vor der Eröffnungsrede der Autorin Eva Menasse gesagt. Man wolle zeigen, dass man Orte mit Herz, aber auch Orte mit Haltung sei. Diese Beweisführung ist bei den zweiten Dachstein Dialogen eindrucksvoll gelungen - und wird bis Donnerstag in insgesamt über 30 Veranstaltungen in Filzmoos, Ramsau und Schladming fortgesetzt.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - )
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