"Wenn ich rausging, trug ich eine Perücke und schminkte mich so, dass ich gesund wirkte"

Sara C. hat vor einigen Wochen den Kampf gegen den Krebs gewonnen. Der Weg bis dahin war steinig und voller Herausforderungen. "Ich habe mich nie gefragt: 'Warum ich?'. Ich wusste, dass es einen Grund haben wird." Sie strahlt über das ganze Gesicht: "Ich habe so viele wertvolle Lektionen daraus ziehen können. Dafür bin ich zutiefst dankbar."

"Für jedes Symptom hatte ich eine Erklärung"
Die gebürtige Klauserin erzählt, dass alles im Januar 2023 begann. Sie entdeckte einen geschwollenen Lymphknoten unter ihrem linken Schlüsselbein. Obwohl sie als Palliativ-Krankenschwester tätig war, machte sie sich zunächst keine Gedanken: "Ich hatte vor einigen Tagen eine Lungenentzündung gehabt und dachte, es sei nichts Ernstes." Bei einem Termin bei ihrer Frauenärztin begutachtete diese den Knoten und beruhigte die Klauserin: "In deinem Alter musst du dir darüber keine Sorgen machen."

Einige Monate später bemerkte sie einzelne offene Stellen auf ihrem Kopf und verspürte Juckreiz am gesamten Körper. Sie schrieb diese Symptome ihrer Neurodermitis zu. Die 26-Jährige berichtet: "Obwohl ich viel geschlafen habe, fühlte ich mich nie ausgeruht." Ihre Müdigkeit begründete sie mit ihrer arbeitsintensiven Tätigkeit im Kantonsspital. "Für jedes auftretende Symptom fand ich eine Erklärung, weshalb ich mir keine Sorgen machte."
"Sara, das ist nichts Normales"
Als sie eines Morgens mit Schluckbeschwerden erwachte, begab sie sich zur ärztlichen Untersuchung auf ihrer Station. Der Ultraschall zeigte jedoch, dass die Schwellung "nicht normal" sei, so ihre Ärztin. Nach zahlreichen Arztbesuchen und Überweisungen wurde im Krankenhaus, in dem Sara tätig ist, ein CT-Scan und eine Biopsie durchgeführt. Von Untersuchung zu Untersuchung wuchs der Knoten und Gliederschmerzen begannen sie zu plagen.

Vier Tage später erhielt sie das Ergebnis: Kein Krebs. Ursprünglich wurde von einer "seltenen Schwellung der Lymphknoten" ausgegangen. Die 26-Jährige war zunächst erleichtert. Allerdings musste sie sich von diesem Gedanken schnell wieder verabschieden. "Innerlich hatte ich immer das Gefühl, dass es Krebs ist." Eine Woche später erhielt sie den Anruf ihres Arztes, dass eine weitere Gewebeentnahme durchgeführt und zusätzlich ein PET-CT durchgeführt werden muss, was oft zur Krebsdiagnose verwendet wird.
Diagnose "Lymphdrüsenkrebs"
Am 25. September 2023 wurde bei ihr die Diagnose "Lymphdrüsenkrebs" gestellt. Zunächst war die 26-Jährige geschockt, aber sie dachte sich: "Jetzt weiß ich wenigstens Bescheid. Jetzt habe ich endlich Antworten auf meine vielen Fragen." Doch dann folgte der nächste Schock: Die Chemotherapie sollte bereits am folgenden Tag beginnen. "Ich musste über viele Dinge nachdenken. Was ist mit meiner Fruchtbarkeit? Sollte ich meine Eizellen einfrieren lassen? Gibt es Alternativen zur Chemotherapie?"

Noch am selben Tag begab sie sich zur Kinderwunschklinik. "Die einzige Option, die mir blieb, war, mich mittels Injektionen in die Wechseljahre zu versetzen. Zumindest während der Chemotherapie." Dadurch hatte sie während ihrer Therapie sämtliche Symptome der Wechseljahre, angefangen bei Stimmungsschwankungen bis hin zu Hitzewallungen. "Ist dir auch so warm?", fragt Sara während des Interviews. Die Raumtemperatur war eigentlich angenehm - die Hitzewallungen plagen die 26-Jährige weiterhin.

"Ich habe Krebs"
"Das schwerste war es, meinen Eltern mitzuteilen, dass ich Krebs habe." Die junge Frau versammelte ihre Eltern, ihren Bruder und dessen Freundin um sich und trat vor sie hin. "Wie bringt man eine solche Nachricht überhaupt am besten rüber?", überlegte sie.

"Ich stellte mich einfach hin und sagte trocken: 'Ich habe Krebs. Die Chemotherapie beginnt morgen'." Der Schock saß tief. Doch auch ihre engsten Angehörigen waren zuversichtlich. "Sie gaben niemals die Hoffnung auf. Von Anfang an waren sie optimistisch. Meine Eltern haben auch nicht geweint - zumindest nie vor mir."
Der Haarausfall
Anfang Oktober fingen ihre Haare an, auszufallen. "Das hat keinen Sinn mehr, das nervt", dachte sich Sara, nachdem sie bei jedem Durchstreichen ihrer Haare eine Handvoll davon in der Hand hielt.

Entschlossen besuchte sie ihre Friseurin, ihre Tante, und ließ sich von ihr die Haare abrasieren. "Ich hatte es schlimmer erwartet. Die vielen Komplimente, die ich erhalten habe, haben mich sehr erfreut."
Sie versteckte ihre Krankheit
Nur ihre engsten Angehörigen und einige wenige Vertraute waren zu dieser Zeit über ihre Erkrankung informiert. "Wenn ich rausging, trug ich eine Perücke und schminkte mich so, dass ich gesund wirkte. Ich wollte kein Mitleid bekommen."

"Keine Lust mehr, mich zu verstecken"
Im Jänner 2024 entschied sie sich dazu, ihre Krankheit über die Sozialen Medien öffentlich zu machen. "Ich wollte mich nicht länger verstecken." Die Reaktionen waren überwältigend positiv. "Ich hätte nie erwartet, dass so viele Leute mir schreiben würden. Ich habe viele schöne Nachrichten erhalten. Meine Freunde haben mir Pakete geschickt, da ich keine Besucher empfangen durfte. Eine Freundin hat mir sogar Alpaka-Socken geschenkt. Ich liebe Alpakas. Solche Gesten vergisst man nicht so leicht", erzählte Sara.

Der Prozess der Verarbeitung
Nach vier Monaten in Behandlung dann endlich die erfreuliche Botschaft: "Du bist krebsfrei!". Doch Sara merkt an: "Das bedeutet nicht, dass es vorbei ist." In den ersten Monaten, so die 26-Jährige, hätte man gar keine Zeit alles zu verarbeiten. "Du rennst nur von Termin zu Termin, von Chemo zu Chemo."
Der Irrglaube, dass man nach Abschluss der Behandlung einen Schlussstrich ziehen kann und alles vorbei ist, erweise sich als falsch. Sara betont, dass man zwar körperlich gesund sein kann, aber psychisch nicht. Sie befindet sich nun in der Phase der Verarbeitung. Die Frage, ob sie jemals wieder die Person sein wird, die sie vorher war, beschäftigt sie intensiv. Ihre klare Antwort lautet: "Nein. Ich werde niemals wieder die sein, die ich einst war."

Rücksicht aufeinander nehmen
"Diese Krankheit hat mir viele Lektionen gelehrt", reflektiert sie. Sie hielt ihre Krankheit über Monate hinweg geheim. "Man weiß nie, was jemand anderes gerade durchmacht. Deshalb ist es von großer Bedeutung, niemanden zu verurteilen."
"Ich war in der Blüte meines Lebens und plötzlich kriege ich die Diagnose 'Krebs'“, so die 26-Jährige. "Ich war sportlich aktiv, achtete auf meine Ernährung und fühlte mich großartig." Doch Krebs macht vor keiner Altersgruppe halt. "Das sollte jedem bewusst sein. Es liegt mir am Herzen, Menschen daran zu erinnern, dankbar zu sein - auch für die kleinen Dinge im Alltag. Zeitweise war es mir nicht möglich, meine Zähne zu putzen. Ich konnte nicht alleine aus dem Bett aufstehen und auch nicht spazieren gehen."

"I am Cancerfreeee"
Auf die Frage, ob sie jetzt frei von Krebs ist, antwortet sie mit "Ja und Nein". Nach einer Zeitspanne von etwa fünf bis sechs Jahren kann man mit Sicherheit sagen, ob man tatsächlich krebsfrei ist, da in den ersten Jahren die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Krebs wieder zurückkommt. „Es ist keine aktive Krebserkrankung mehr und das ist das wichtigste für mich“.
(VOL.AT)