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"Das Blut ist sogar aus den Augen rausgekommen"

Weil sie am 6. März 2008 in Wien-Floridsdorf einen Bekannten halbtot getreten hatten, mussten sich am Donnerstag zwei Mädchen und zwei Männer vor einem Wiener Schwurgericht verantworten. Der Vorwurf: versuchter Mord.

Die Psychiaterin Gabriele Wörgötter bescheinigte den Angeklagten derart gravierende Persönlichkeitsstörungen, dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich zur Verhängung einer angemessenen Strafe die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verlangte.

Das Opfer war mit den Tätern seit einiger Zeit befreundet. Der 29-Jährige ging mit der Gruppe öfters aus, besuchte Discos, lungerte untertags mit ihnen am Bahnhof Floridsdorf oder auf der Donauinsel herum. Den obdachlosen 24-Jährigen und dessen Freundin, die aus der elterlichen Wohnung geflogen war, ließ er über Wochen bei sich übernachten.

Eines Abends behauptete eine der beiden 16-Jährigen, der Mann habe sie sexuell belästigt, woran sich ein nicht nachvollziehbarer Gewaltexzess entzündete. Als nämlich im Wasserpark unweit vom Floridsdorfer Bahnhof dann auch das zweite Mädchen bemerkte, der 29-Jährige habe sie geküsst, zerrten die Burschen den alkoholisierten Mann zu Boden, und begannen auf ihn einzutreten und einzuschlagen.

Der 21-Jährige soll sich laut Anklage in einem “Blutrausch” befunden haben. “Ich wollte ihn zurückhalten, aber was war sinnlos. Weil er zu zornig war”, gab der älteste Angeklagte zu Protokoll. Er räumte ein, selbst mitgemacht zu haben: “Kann sein, dass ich ihn am Kopf getroffen habe.” Immerhin habe das Opfer ja seine Freundin belästigt: “Ich war böse auf ihn. Ich wollte ihm einfach einen Denkzettel verpassen.”

Auch die 16-Jährigen blieben nicht unbeteiligt, übernahmen im weiteren Verlauf sogar die Feder führenden Rolle. Nachdem das Quartett mit Ästen auf Kopf und Oberkörper des Opfers eingeschlagen hatte, trat eine der beiden ihm mit dem Schuh ins Gesicht. Später richtete sie den 29-Jährigen ein wenig auf und “spielte” nach Darstellung der anderen Angeklagten mit seinem Kopf Fußball.

Erklärung hatte sie dafür keine. “Als sie ihm mit dem Spitz ins Gesicht gestiegen ist, ist das Blut sogar aus den Augen rausgekommen”, gab einer der Angeklagten zu.

Dass der 29-Jährige am Ende die Hände faltete und bettelte, man möge endlich aufhören, beeindruckte das Quartett wenig. Der 21-Jährige soll vielmehr geschrien haben: “Ich bring ihn jetzt um! Es ist mir egal!”

Als sie bemerkten, dass ihr Opfer am Ende war, zerschlug der 21-Jährige eine Bierflasche, drückte diese dem 29-Jährigen gegen den Hals und zwang ihn zu schwören, ihm nicht näher bekannte Albaner als Täter zu bezeichnen. Erst danach waren die vier Angeklagten bereit, die Rettung zu verständigen. Den lebensgefährlich Verletzten ließen sie einfach liegen, beim Eintreffen der Rettungskräfte fehlte von ihnen jede Spur.

 

Nach Darstellung des Gerichtsmediziners Wolfgang Denk wäre der 29-Jährige gestorben, wäre er nicht umgehend notfallmedizinisch versorgt worden. Bei den Attacken hatte er unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma, Hirnquetschungen und Knochenbrüche erlitten. Es kam auch zu Blutungen in der Schädelhöhle, die eine operative Öffnung der Schädeldecke nötig machten.

Die Psychiaterin bescheinigte allen vier Angeklagten eine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades, die befürchten lasse, dass sie wieder Straftaten mit schwerwiegenden Folgen für Leib und Leben anderer begehen werden. Sie empfahl daher, die an sich zurechnungsfähigen Täter nicht nur zu bestrafen, sondern darüber hinaus in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen.

“Sie empfinden keinerlei Mitleid für ihr Opfer”, legte die Sachverständige Gabriele Wörgötter in ihrem Gutachten dar. Vielmehr hätten sie bei der psychiatrischen Untersuchung die Tat “emotional bagatellisiert”. Eine “Hemmschwelle, die für normale Menschen vorhanden ist, fehlt hier”, sagte Wörgötter.

Die Angeklagten – allesamt ohne Beschäftigung – beschrieb sie durchwegs als “intellektuell grenzbegabt” und “auffallend aggressiv”. Eine “innere Leere” und “Abgestumpftheit” zeichne sie ebenso aus wie eine Frustrationsintoleranz. Für Wörgötter ist es zwingend notwendig, die vier nicht nur wegzusperren, sondern im Maßnahmevollzug einer entsprechenden Behandlung zuzuführen. Die Zukunftsprognose “sei äußerst ungünstig”, meinte sie etwa über den 24-Jährigen: “Jahrelange intensive therapeutische Maßnahmen sind für eine Verhaltenskorrektur jedenfalls erforderlich.”

Der Prozess ist am Donnerstagnachmittag im Straflandesgericht völlig überraschend vertagt worden. Als sich Richter Norbert Gerstberger nach Abschluss des Beweisverfahrens mit seinen Beisitzern zur Erstellung des Fragenkatalogs zurückziehen wollte, war keine Schriftführerin mehr verfügbar. Der Dienst jener Schreibkraft, die seit 9.00 Uhr unermüdlich mitprotokolliert hatte, endete um 15.30 Uhr. Ersatz war keiner mehr aufzutreiben, so dass die Verhandlung auf 23. Dezember vertagt werden musste.

 

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