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Crashkurs

©APA/ROLAND SCHLAGER
Gastkommentar von Johannes Huber. Die Beziehung zwischen ÖVP und Grünen wird von Tag zu Tag brüchiger. Schlechtere Alternativen halten sie noch zusammen. Das ist jedoch zu wenig.

2021 sei „schwarz“ für die Türkisen, stellt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier fest: In den wenigen Wochen des noch jungen Jahres waren und sind Sebastian Kurz und Co. mit so vielen Problemen konfrontiert, wie in der ganzen Zeit seit ihrem Start 2017 nicht. Aus einem vermeintlichen Wunderteam musste Arbeitsministerin Christine Aschbacher ausscheiden, nachdem die Qualität ihrer wissenschaftlichen Werke bekannt geworden war. Tiroler Abgeordnete drohten sich in Sachen Corona-Bekämpfung im Sinne ihres Heimatlandes zu verselbstständigen. Im Zusammenhang mit Sicherheitspannen beim Wien-Attentat Anfang November geriet Innenminister Karl Nehammer noch mehr unter Druck. Und die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) führt Finanzminister Gernot Blümel als Beschuldigten. Zwischendurch wurde bekannt, dass der Megaflopp „Kaufhaus Österreich“ von Wirtschaftsministerin Magarete Schramböck unfassbare 1,26 Millionen Euro gekostet hat.

All das geht nicht spurlos an der türkisen Zusammenarbeit mit den Grünen vorbei. Vor allem, weil Kurz und Co. versuchen, mit umso heftigeren Nebengeräuschen davon abzulenken. Da war etwa die Abschiebung bestens integrierter Mädchen im Jänner; oder die Angriffe auf die WKStA; oder die Drohung, Bürgerinnen und Bürger, die Blümel angeblich vorverurteilt hätten, zu klagen; oder die Ankündigung Nehammers, rechtliche Schritte gegen PR-Berater Rudi Fußi zu prüfen, nachdem dieser vorübergehend einen dummen Tweet über die Wiener Polizei veröffentlicht hatte.

Solche Geschichten könnte die Volkspartei mit einem Juniorpartner FPÖ wohl locker aufführen. Sie hätte kein Problem damit, so lange es nicht gegen Leute aus ihrem Dunstkreis geht. Bei den Grünen aber funktioniert das nicht. Sie selbst würden nach außen hin vielleicht gute Miene zu sehr vielem machen, geraten jedoch von Seiten ihrer Anhängerinnen und Anhänger unter Druck. Diese toben oder springen ab. Laut einer aktuellen „profil“-Umfrage liegt die Partei nur noch bei zehn Prozent.

Zu vieles, was die ÖVP macht, passt grünen Leuten ganz und gar nicht: Von den Abschiebungen bis zu den Angriffen auf die WKStA. Also müssen sich Kogler und Co. immer deutlicher dagegen stellen. Bei den Abschiebungen begnügten sie sich mit einer Arbeitsgruppe, bei den Angriffen markierten sie bereits eine rote Linie: Sollte Anklage gegen Blümel erhoben werden, müsse er zurücktreten. Sonst ist die Koalition erledigt.

Was folgt, ist vorprogrammiert: Die ÖVP wird bei diesen und anderen Fragen nicht locker lassen wollen, die Grünen werden mehr und mehr dagegenhalten müssen. Daraus ergibt sich eine Eskalationsspirale.

Rein strategisch und nüchtern betrachtet hält die beiden zunehmend nur zusammen, dass sie schlechtere Alternativen haben; das jedoch ist keine Basis für eine belastbare Beziehung: Kurz hat 2017 eine Koalition vorzeitig beendet und die SPÖ auf die Oppositionsbank geworfen. 2019 verfuhr er so mit der FPÖ. Wenn 2021 schon wieder eine Koalition scheitert, an der er beteiligt ist, wird es schwer bis unmöglich für ihn, ein drittes Mal als strahlender Sieger aus Neuwahlen hervorzugehen. Außerdem würden potenzielle Partner für die Zeit danach ihren Preis für eine Zusammenarbeit in die Höhe treiben angesichts dieser Vorgeschichte.

Zumal es da ja auch noch eine Jahrhundertkrise gibt, in der sich auch der Kanzler verstolpert hat; mit zu frühem Selbstlob, wonach Österreich gut durch die Krise gekommen ist und dem Ergebnis, dass besonders wirtschaftlich kaum ein anderes EU-Land so große Schäden genommen hat.

Auch den Grünen fällt es schwer, ernst zu machen und die Koalition zu beenden: Regieren heißt für sie noch immer, irgendwann einmal wirkungsvollen Klimaschutz betreiben zu können. Platzt die Koalition, riskieren sie erstens Stimmenverluste und zweitens den Gang in die Opposition, könnten also gar nichts mehr durchsetzen.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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