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Corona-Lockdown: Lage für Kultur-Branche "absolut dramatisch"

Die Lage sei "absolut dramatisch".
Die Lage sei "absolut dramatisch". ©APA/GEORG HOCHMUTH (Themenbild)
Laut Laurent Delage ist die Lage für die Kultur-Branche derzeit "absolut dramatisch". Er habe das Gefühl, dass die ganze Branche zusammenbreche.

"Die Lage ist absolut dramatisch für meine Branche", sagt Laurent Delage. Der gebürtige Pariser ist einer von rund 30 in der Klassikbranche tätigen Künstlervermittlern in Österreich. Derzeit sitzt er allein in seinem Büro in Wien, seine Assistentin arbeitet im Home-Office. Doch die Arbeit ist nicht nur weniger geworden, sondern hat sich auch radikal gewandelt: Zu vermitteln gibt es kaum mehr etwas, dafür wird um Ausfallshonorare gestritten.

Delage: "Nun ist wieder alles unberechenbar"

"Den ersten Lockdown haben wir überwunden. Im September hat wieder ein guter Wind geweht. Alles hat normal angefangen, es gab Engagements und Auftritte. Nun ist aber wieder alles unberechenbar. Es regiert das Chaos", sagt Delage im Gespräch mit der APA. Für seine Kollegen und die von ihnen vertretenen Künstlerinnen und Künstler gelte: "Wir kämpfen ums Überleben. Derzeit rechne ich für 2020 mit einem Umsatzausfall von 50 Prozent. Dabei bin ich nicht am schlimmsten betroffen, denn ich hatte das Glück, dass ich viele Künstlerverträge in Frankreich abgeschlossen hatte. Kollegen von mir haben Einbußen von bis zu 80 Prozent. Am härtesten hat es jene getroffen, die Orchestertourneen organisieren und betreuen."

Die rechtliche Situation für Künstler in der gegenwärtigen Situation sei in Frankreich deutlich günstiger geregelt als im Rest Europas, erklärt Delage, der u.a. die Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis, den Tenor Reinoud Van Mechelen, den Dirigenten Hervé Niquet oder in Österreich das renommierte Les Musiciens du Louvre vertritt. In Frankreich gebe es keinen Unterschied zwischen Dienst- und Werkverträgen, dort seien Künstler für die Dauer ihres Engagements angestellt. "Frankreich ist das einzige Land, in dem im Frühjahr sofort festgestellt wurde: Die Corona-bedingten Absagen sind nicht 'Höhere Gewalt', sondern 'Außergewöhnliche Umstände'. Dadurch sind die Arbeitgeber verpflichtet, Ausfallshonorare zu zahlen. Die sind in Frankreich nirgends unter 50 Prozent. In Österreich argumentiert man mit 'Höherer Gewalt', aus der keine Verpflichtung für Zahlungen erwächst. Alle haben daraufhin angefangen zu streiten. Wo es zu Zahlungen gekommen ist, bewegen sich diese in Österreich in der Regel weit unter 50 Prozent, im besten Fall von 20 bis 30 Prozent."

Geld kommt nicht bis zu den Künstlern

Dies habe sich sogar nicht geändert, als auch Opernhäusern in Österreich für November ein Umsatz-Ersatz für 80 Prozent in Aussicht gestellt wurde, erzählt Delage und berichtet von einem Fall, wo nur 10 Prozent Ausfallshonorar angeboten worden sei. "Das heißt, diese Häuser bekommen öffentliche Unterstützung, geben das Geld aber nicht weiter an die Künstler. Die sind aber der Rohstoff. Ohne Künstler gibt es keine Vorstellung! Es herrscht große Ungerechtigkeit, und es wächst die Wut der sogenannten 'indirekt Betroffenen' - denn wir sind ganz direkt betroffen", so Delage, der auch in der "Arbeitsgemeinschaft Österreichische Agenturen der klassischen Musik" engagiert ist.

Das gelte auch für die Künstlervermittler, die ihre Arbeit bei Abschluss eines Engagements (durchschnittlich ein bis zwei Jahre im Voraus) ja schon erbracht hätten, aber nun nichts oder deutlich weniger dafür bekämen. "Deshalb hatten wir dafür gekämpft, dass unsere Arbeit wie in anderen Branchen als 'verdorbene Ware' deklariert wird." Auch vom versprochenen 80-prozentigen Umsatz-Ersatz für Kulturbetriebe werde man wohl nichts sehen - schließlich seien zwar Konzerte und Aufführungen, nicht aber die Arbeit der Vermittler untersagt. "Weder die Agenten noch die freischaffenden Künstler sind von den Hilfsmaßnahmen betroffen. Wie bekommen nach wie vor so gut wie keine Unterstützung. Dafür gibt es keinen Rechtsanspruch. Unsere einzige Chance ist der Appell an die Solidarität. Die Behörden sind weiter völlig überfordert. Zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown ist keinerlei Strategie entwickelt worden. Alles waren nur schöne Worte. Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels nicht!"

"In der Krise überleben nur die Stärksten und Reichsten"

Was der gegenwärtige zweite Kultur-Lockdown für die Künstlerinnen und Künstler des Klassik-Betriebs bedeutet, dafür findet Delage deutliche Worte: "Wie in jeder Krise überleben nur die Stärksten und Reichsten. Alle, die ganz oben auf der Pyramide stehen wie eine Netrebko, ein Kaufmann, eine Bartoli, kommen gut durch die jetzige Situation. Für alle, die weiter unten stehen, ist es ein Überlebenskampf. Denn der Markt ist extrem geschrumpft. In Großbritannien und den USA ist alles zu, Auftritte in Asien und Übersee sind praktisch nicht möglich. Alles konzentriert sich auf wenige europäische Länder. Psychisch geht es allen schlecht. Viele werden auf der Strecke bleiben. Man hat das Gefühl, dass die ganze Branche gerade zusammenkracht."

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(APA/Red)

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