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Charisma ist eine Persönlichkeitsstörung

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Die "Gnadengabe" Charisma, landläufig als wichtigstes Führungsattribut bezeichnet, ist streng soziologisch gesehen keine positive Eigenschaft.

Das sagt der langjährige Spitzenmanager bei Henkel (1980-1992) und Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Post, der Deutschen Telekom und bei Porsche (1993-2007), Helmut Sihler. Charismatische (erleuchtete) Persönlichkeiten zeichnen sich durch übersteigertes Selbstbewusstsein, heilsbringende Visionen, gnadenlose Kommunikationsfähigkeit und eine fanatische Anhängerschaft aus. Sie sind der subjektiven Überzeugung, allein im Besitz der Wahrheit zu sein, und diese den Menschen mitteilen zu müssen.

Der emeritierte Honorarprofessor für Marketing und Unternehmensführung an der Universität Münster, der vor kurzem seinen 80. Geburtstag feierte, begründet seine These mit dem deutschen Soziologen Max Weber, der die Organisation von Herrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in eine traditionelle (monarchistische), eine rationale (demokratische) und eine charismatische (diktatorische) eingeteilt hatte. Letztere ist historisch gesehen meist zum Scheitern verurteilt, wenn der “erleuchtete” Führer von der Bildfläche verschwindet.

Charisma speist sich aus der Resonanz des Publikums

Charisma sei eigentlich keine Eigenschaft, sondern eine eigene Form der Persönlichkeit, die sich aus der Resonanz des Publikums bzw. der Anhänger definiert. Sie ist grundsätzlich weder positiv noch negativ, hat jedoch etwas Gefährliches in sich – wie zahlreiche Beispiele aus der Geschichte (Napoleon, Hitler, Stalin) zeigen. Sihler verweist in diesem Zusammenhang aber auch auf Altkanzler Helmut Schmidt, der in einem Spiegel-Interview im Zusammenhang mit US-Präsident Barack Obama sagte, er möge keine charismatischen Idealisten, weil sie mehr versprechen als sie halten können und “mehr Unheil” anrichten, als sie selber glauben.

“Die Zeiten, in denen Charismatiker groß werden, sind nicht immer die glücklichsten”, sagte Sihler im pressetext-Gespräch am Rande einer Veranstaltung des Club Carinthia in Wien, in der er auch die Persönlichkeit Jörg Haiders sezierte. “Ich bin daher glücklich, wenn ein Land keine Helden braucht.” Auch in der Wirtschaft seien Charismatiker gefährlich, weil sie nicht teamfähig sind und nicht zuhören können. Sie scheitern daher, wenn sich eine Situation ändert und können letztlich auch keine Nachfolger aufbauen. “Charismatiker haben nie Selbstzweifel und können diese auch nicht abrufen. Sie sind daher keine vollständige Persönlichkeit”, so der Ex-Manager.

Wendelin Wiedeking und Ron Sommer Parade-Charismatiker

Als einen “Charismatiker in der Wirtschaft” bezeichnet der gebürtige Klagenfurter Sihler sein langjähriges Gegenüber bei Porsche, Vorstandschef Wendelin Wiedeking, der 2009 aufgrund der gescheiterten VW-Übernahme zurücktreten musste. Er war hundertprozent von sich und seiner Sendung überzeugt, war aber auch sensibel, wenn er angegriffen wurde. Mitarbeiter und Eigentümer hätten ihm voll vertraut. Das ging viele Jahre gut, in denen sich der Autobauer zu einem enorm gewinnbringenden Unternehmen entwickelte. Auch der frühere Chef der Deutschen Telekom, Ron Sommer, war ein solcher Fall – am Ende gescheitert an einer neuen Marktsituation

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