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Cautio Criminalis

Ulrich Gabriel
Ulrich Gabriel

Trutznachtigall – Fortsetzung: „O Heiland reiß die Himmel auf.“ Ich bin im Jahr 1631. Die Pest wütet, der Krieg tobt bereits 13 Jahre. Befinde mich in Trier, in der Jesuitenkirche, vor der Krypta, über der "Friedrich Spee" geschrieben steht. Ein kunstvoll gestaltetes Eisentor hindert mich die Gruft zu betreten. Ich höre ein Wimmern aus dem Innern, rüttle an der Türe, will hinein. Versperrt. Ich suche einen Türriegel, greife durch die Eisenstäbe. Resigniere, dreh mich um. Stehe mit dem Rücken zum Grufttor. In diesem Augenblick werden meine Hände gespenstisch von hinten durch die eiserne Tür angefasst. Der Vielhändige. Ich werde rückwärts in die Gruft gezogen. Durch die Türe. Das Wimmern wird lauter. Lärm. Statt in der Gruft befinde ich mich im Hexengefängnis (Malefizhaus). Der Vielhändige lässt mich plötzlich los. Grässliche Schreie. Ich dreh mich um. Sehe einen Körper, aufgespannt auf der STRECKBANK. Eine Frau. An Füssen und Händen gefesselt wird sie mit grausamer Gewalt qualvoll auseinandergezogen. Ein straffes Seil führt zu einer Winde, an der ein Folterknecht den langen Hebel bedient, der die Schreiende dehnt. Es knirscht. Sie heult auf vor Schmerz. Jetzt stoppt er auf Befehl des Inquisitors, herrscht sie an: "Gestehe, Weib, dass du mit dem Teufel in Kontakt bist!" Sie wimmert: „Nein“. Er gibt das Zeichen, der Folterknecht zieht den Hebel weiter. Sie brüllt. Ich schreie: „Aufhören!“. Will eingreifen.

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Da wird mir mit brutaler Gewalt ein Folterwerkzeug in den Mund gestopft: DIE BIRNE. Der Folterknecht schraubt auf und mechanisch stemmen sich die eisernen Flügel der Birne im Rachen auf. Ich stöhne. Die Sadisten Gottes machen weiter. Blut. Der Kiefer bricht. Finsternis.

Jetzt zieht mich der Vielhändige zurück. Ein Buch liegt da. Friedrich Spee: „Cautio Criminalis: Bedenken gegen Hexenprozesse.“ Am selben Tag noch gesteht die Frau unter DAUMENSCHRAUBEN mit zerbrochenen Händen, ausgekegelten Armen, mehr tot als lebendig, eine „Hexe“ zu sein. „Alle gestehen unter der Folter“ schreibt Spee 1631. Sie wird verbrannt, der beschlagnahmte Besitz der Alleinstehenden geht an das Malefizhaus. Inquisitoren und Folterer verdienen gut mit.

Der Jesuit Spee hat als einer der ersten gegen die Hexenprozesse geschrieben, gegen die Folter. Unter Lebensgefahr. Das Buch konnte erst nur anonym gedruckt werden. Tausende Frauen wurden noch weitere hundert Jahre gefoltert und als Hexen verbrannt. "O Heiland reiß die Himmel auf!“ singen wir in Spees Adventslied.

Ja, reiß auf die Himmel, aber reiß bitte auch die Gehirne derer auf, die, 400 Jahre später, als Funkenzunftfunktionäre lebensgroße Hexenpuppen basteln und am Funkensonntag (1. März 2020) unter Hollodrio verbrennen und von opportunistischen PlotikerInnen dabei auch noch unterstützt werden.

(Ulrich Gabriel)