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Causa Ischgl: Tourist forderte 90.000 Euro wegen Long-Covid

Deutscher Tourist forderte in Zivilprozess 90.000 Euro.
Deutscher Tourist forderte in Zivilprozess 90.000 Euro. ©APA/AFP/JOE KLAMAR
Am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen hat in der Causa Ischgl am Donnerstag die nächste mündliche Verhandlung einer Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich stattgefunden. Geklagt hatte ein deutscher Urlauber, der sich im März 2020 im Paznauntal aufhielt und mit dem Coronavirus ansteckte.

Er leidet seitdem an Long Covid und klagte auf rund 90.000 Euro Schadenersatz. Das Verfahren wurde nach einer knappen Stunde abgeschlossen, ein Urteil ergeht schriftlich.

Prozess nach Coronainfektion in Ischgl

Die Vorwürfe, nach Auftreten der ersten Coronainfektionen in Ischgl nicht rasch reagiert zu haben, richten sich gegen Vertreter einzelner Tiroler Tourismusbetriebe und Tourismusorganisationen sowie gegen Vertreter der österreichischen Gesundheitsbehörden auf allen in Betracht kommenden Ebenen wie Bund, Land, Tirol, Bezirk Landeck und Gemeinde Ischgl, heißt es in der Klagsschrift. Der Mann aus Baden-Württemberg, der für die Verhandlung extra nach Wien gereist ist, hatte am 5. März 2020 am Nachmittag in Galtür Quartier bezogen, besuchte aber auch die Apres-Ski-Bar "Kitzloch" in Ischgl, wo sich zahlreiche Urlauber angesteckt haben sollen. Dort wurde zwei Tage später ein Kellner des Lokals positiv auf das Virus getestet.

Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat im Namen des Mannes Klage eingereicht. Bisher haben sich 6.000 Betroffene beim VSV gemeldet. Verhandlungen zu außergerichtlichen Lösungsmöglichkeiten wurden vonseiten der Finanzprokuratur bisher abgelehnt. Derzeit sind rund 20 Klagen offen, die Kläger sind hauptsächlich deutsche Staatsbürger. VSV-Obmann Peter Kolba rechnet mit bis zu 500 Klagen mit einer Rechtsschutzdeckung. Betroffene ohne Rechtsschutzversicherung werde man mittels Sammelklage organisieren. Nach Ansicht der Kläger haben die Behörden es "grob fahrlässig oder möglicherweise sogar bedingt vorsätzlich unterlassen", rasch und entschlossen auf die ersten Nachrichten vom Auftreten des Coronavirus im Paznauntal zu reagieren, die Infektionsquelle zu identifizieren, die Ausbreitung zu verhindern und Menschen vor Schaden für Leben und Gesundheit zu bewahren.

Kritik an Behörden

Zwei zentrale Vorwürfe: Die Behörden hätten trotz aufgetretenen Coronainfektionen, von denen sie seit 4. März 2020 durch Informationen aus Island in Kenntnis gewesen seien, das Paznauntal nicht gesperrt. Somit war die Anreise des Klägers am Nachmittag des 5. März 2020 noch möglich. Maßnahmen hätten spätestens am 5. März zu Mittag getroffen werden sollen. In der darauffolgenden Woche haben die Behörden Missmanagement betrieben. Es sei nicht gezielt und effektiv nach den Infektionsquellen gesucht worden. Neben den isländischen Urlauben hätten sich auch norwegische Erasmus-Studenten in dem Gebiet aufgehalten und wurden danach positiv auf Covid-19 getestet worden. Wäre das Contact Tracing ordnungsgemäß erfolgt, wären die Behörden schon früher draufgekommen, dass die Apres-Ski-Bar "Kitzloch" in Ischgl als Infektionsquelle infrage komme. Am 7. März 2020 wurde der Kellner positiv getestet, das Lokal wurde jedoch nicht gesperrt, sondern nach einer Desinfektion und Austausch des Personals wieder eröffnet.

Oder es seien laut Klage in Ischgl nur vom Ortsarzt Coronatests durchgeführt worden und nicht im Krankenhaus Zams, so wie es in einer Verordnung vorgeschrieben gewesen wäre. Auch die offizielle Informationspolitik des Landes Tirol hätte die Gefahr "in irreführender und tatsachenwidriger Weise" herunter. In einer Medieninformation des Landes wurde etwa behauptet, eine Übertragung von SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch sei nicht möglich.

Dahin gehend sagt die Republik Österreich in der Klagebeantwortung, die Verantwortlichen hätten "alles richtig" gemacht. Die Gesundheitsbehörden hätten unverzüglich die dem Ermittlungsstand entsprechenden, erforderlichen und durch die Rechtslage zur Verfügung stehenden Maßnahmen gesetzt. Es wurde argumentiert, dass unter anderem bereits seit Ende Februar die ersten Infektionen in Tirol bekannt gewesen waren und die Infektionszahlen im benachbarten Italien angestiegen waren. "Dem Kläger mussten die mit dem Covid-19-Virus verbundene epidemiologische Gefahr und die Gefährlichkeit des Covid-19-Virus bekannt gewesen sein" - dennoch habe er sich dazu entschieden, nach Tirol zu reisen.

Dem wird in der Klage widersprochen und auf den Bericht der unabhängigen Expertenkommission und den strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Innsbruck verwiesen. Der Vorhabensbericht der Anklagebehörde - dabei geht es um fünf Beschuldigte - liegt derzeit beim Justizministerium. Dort wird über Anklage, Einstellung des Verfahrens oder die Beauftragung zu ergänzenden Ermittlungen entschieden.

Sämtliche Anträge abgelehnt

Bei dem Prozess am Donnerstag wurden sämtliche Anträge - etwa auf Beweissicherung und Erhöhung der Klagesumme von 76.000 auf 90.000 Euro - abgelehnt. Die zivilrechtliche Verhandlung am Donnerstag ist die zweite eines ganzen Prozessreigens. Weitere Tagsatzungen im Oktober wurden bereits festgelegt. Außerdem wurden der Finanzprokuratur - sie vertritt die Republik - mehrere Dutzend Aufforderungsschreiben vorgelegt, rund 200 weitere Ansprüche seien bei den Klagevertretern zwecks außergerichtlichen Aufforderungen an die Finanzprokuratur in Bearbeitung. Österreichische Rechtsschutzversicherungen würden aufgrund der "Pandemieklausel" die Deckung - aus Sicht des Vereins ungerechtfertigterweise - ablehnen, hieß es vom VSV. Daher würden die Klagen mit Rechtsschutzversicherungen derzeit auf Belgien, Niederlande, Großbritannien und die Schweiz ausgeweitet.

(APA/Red)

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