AA

Burg verhandelt "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"

Bastian Kraft erweckt Bölls Erzählung zum Leben
Bastian Kraft erweckt Bölls Erzählung zum Leben ©APA/Burgtheater/Tommy Hetzel
Generationen von Schülerinnen und Schülern haben sie gelesen und vermeintlich ihre Schlüsse daraus gezogen, verändert hat sich seit 1974 jedoch wenig: Heinrich Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" zeigt eindringlich, welche fatalen Folgen mediale Vorverurteilung für einen Menschen haben kann. Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann hat Bastian Krafts Kölner Inszenierung des Stoffs aus dem Jänner 2024 nun als eine seiner zahlreichen Übernahmen nach Wien geholt.

Zwischen 70er-Look und Multimedialität

Egal ob Politiker, Prominente oder der Nachbar von nebenan: Die damals kritisierte Sensationslust der Medien hat 50 Jahre später nicht ab-, sondern nicht zuletzt durch Clickbait und Social Media noch größere Dimensionen angenommen. Angesichts der weitgehenden Verlagerung des Hasses ins Netz läge es auf der Hand, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ins Heute zu transferieren. Darauf hat der deutsche Regisseur nicht nur verzichtet, sondern seine 100-minütige Inszenierung vor allem optisch radikal in den 70ern verortet: Braune Röcke, beige Hosen, Schnauzbärte und entrückt anmutende Frisuren prägen das Bild, Worte wie "geschieden" oder "Herrenbesuch" werden wie Todesurteile ausgespuckt. Und doch liefert Kraft eine radikal multimediale Umsetzung.

Auf einem langen Tisch an der Bühnenrampe breiten Lola Klamroth, Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg - als blonde Männer mit Anzug und Schnauzer verkleidet - die Akten rund um den "Fall Blum" aus. Übertragen werden die Protokolle, Fotografien und Dokumente mit einer Overheadkamera auf drei die Bühnenrückwand bildende, riesige Leinwände. Dann erwachen die Szenen im Polizeirevier zum Leben: Die beiden Kriminalisten Erwin Beizmenne und Walter Moeding verhören nicht nur die Hausangestellte Blum, die verdächtigt wird, dem gesuchten Kriminellen Ludwig Götten zur Flucht verholfen zu haben, sondern auch Zeugen wie Blums Arbeitgeber Hubert Blorna und dessen Ehefrau sowie Blums Freundinnen.

Mehrfacher Verfremdungseffekt

Der Clou: Alle Figuren wurden im Voraus von den drei Schauspielerinnen in aufwendiger Maske verkörpert und aufgezeichnet und erscheinen nun im Brustbild auf den Leinwänden, während Klamroth, Lindauer und Schmalenberg die Worte live auf der Bühne synchronisieren. Alle drei geben alternierend die im Verhör sitzende Katharina Blum, eingeblendete Paparazzi-Fotos und Zeitungsartikel zeigen die Parallelität der Berichterstattung zum Verhör.

Es dauert ein wenig, bis man sich im Zuschauerraum an diesen dadurch erzielten mehrfachen Verfremdungseffekt gewöhnt hat. Doch mit zunehmender Dauer des Abends gewinnt das Setting an Charme, und man vergisst beinahe, den auf der Bühne spielenden Akteurinnen zuzuschauen, so packend sind die Dialoge im Großformat, wofür auch das fast immer perfekte Timing sorgt. Lediglich einige Szenen wie die auf die mediale Berichterstattung folgenden Drohanrufe werden ausschließlich auf der Bühne gespielt.

Blum erobert das Narrativ zurück

Dort verwandeln sich die handelnden Personen im Laufe des Abends von den anfänglichen Männern durch das Ablegen von Perücken und Anziehen von Röcken langsam alle in Katharina Blum: Übers Knie reichender Rock, hoch geschlossene Bluse, lange, braune Haare. Bastian Kraft macht deutlich: Die Frau holt sich das Narrativ zurück. Sexistische Schimpfworte und Symbole werden mit schwarzer Farbe auf die Leinwände geschmiert, bis die Wut in Katharina Blum explodiert. Zu den Klängen von Taylor Swifts "Look What You Made Me Do" werfen die drei Frauen tanzend schwarze Farbbeutel auf die Wände, bis die Schriftzüge darunter verschwinden. Die wirkliche Tat der Katharina Blum wird so nur angedeutet.

Und dann gleitet die Investigation vom Verhör über Blums Verbindung zu Ludwig Götten in eine Morduntersuchung: Hat Blum bekanntlich den federführenden Journalisten Werner Tötges unter dem Vorwand eines Interviews in ihre Wohnung gelockt und erschossen. Jene Szene, in der Blum dessen sexuelle Zudringlichkeit schildert, gehört zu den beklemmendsten Momenten des Abends. War es doch schon in ihrer Rolle als getreue Haushaltshilfe stets an der Tagesordnung, von den hochkarätigen Gästen des Hauses bedrängt zu werden, was auch zu den medial ausgeschlachteten scheinbaren "Herrenbesuchen" geführt hat, über die die alleinstehende Frau bei der Polizei eisern schweigt.

Am Ende haben alle verloren. Der auf eine transparente Wand geschmierte Untertitel der Erzählung wird als Schatten überdimensional auf die Leinwand geworfen: "Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann." Das Premierenpublikum spendete am Samstag herzlichen Applaus. Und bei der nächsten Schlagzeile mag es sein, dass man plötzlich den Menschen dahinter sieht.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Heinrich Böll, Fassung von Bastian Kraft (auch Regie). Bühne: Nadin Schumacher, Kostüme: Jelena Miletic, Musik: Björn SC Deigner, Licht: Jürgen Kapitein, Video: Sophie Lux, Live-Kamera: Jonathan Kastl. Mit Lola Klamroth, Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg. Weitere Termine: 22. September, 2. und 18. Oktober. )

(APA)

  • VIENNA.AT
  • Kultur
  • Burg verhandelt "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen