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Branford Marsalis jazzte Konzerthaus

Branford Marsalis, EPA
Branford Marsalis, EPA
Er war der Saxofonist Stings, hat im US-Fernsehen allabendlich massentaugliche Melodien gespielt und ist dennoch ein purer Jazzer, wie er jetzt in Wien bewies.

Branford Marsalis hat gestern, Sonntag, bei seinem Auftritt im Wiener Konzerthaus erneut bewiesen, dass man nicht kompromisslos sein muss, um frenetischen, abenteuerlichen, schwindelerregenden Jazz spielen zu können.

Die Musik des seit Jahren eingespielten Marsalis-Quartetts ist durchspickt von Insider-Witzen – und nur selten bekommt man so expliziten Einblick wie gestern, als Marsalis erklärte, warum die Band sich bei einem Basssolo derart hörbar amüsierte: Die AUA habe das Instrument von Bassist Eric Revis in Italien liegen lassen, daher musste er mit einem Ersatz-Bass spielen, der einen viel „kleineren“ Sound hatte als sein eigener – was wiederum für die eingeweihten Mitmusiker in einigen Passagen offenbar zum Zerkugeln klang.

Noch ein unfreiwilliger Gag gelang Marsalis selbst – als er, wie sein ehemaliger Frontmann Sting am Samstag auch, in einer Zwischenansage Wien kurzerhand nach Deutschland verlegte.

Doch aller anderer Witz war absichtlich – und kitzelte vor allem die Abstraktionsfähigkeit im Hirn: Marsalis und seine Band spielen Jazz in einer eigenen Liga, in der einander Tradition und Zeitgemäßheit nicht widersprechen.

Eins um’s andere Mal drehten sie die klassische Solorunde Sax-Klavier-Bass-Schlagzeug-Sax, wuselten, wirbelnden, trillerten bei den gemeinsamen Passagen umeinander, dass es eine komplizierte Freude war. Und brachen hin und wieder in jene hochenergetischen freien Solo-Extravaganzen aus, die in den 1960ern dem Jazz eingehaucht wurden und dazwischen auch mal ordentlich außer Mode waren. Da schwenkte Schlagzeuger Jeff „Tain“ Watts wiederholt auf eine ganz eigene Route ein, und Joey Calderazzo am Klavier lieferte dazu hochkomplizierte Verkehrshinweise.

Dabei trifft die Grenze zwischen Solist und Band das Schengen-Schicksal: Sie wird einfach aufgelöst und ohne Stopp überfahren. Da ist manchmal eine Saxofon-Linie der einzige musikalische Zusammenhalt, während die anderen Drei den Solo-Bleifuß anwerfen. Wiederholt schrammen sie an der totalen formalen Auflösung gewollt knapp vorbei – da kann es einem auf der wohlig-warmen Jazzwolke beim Blick in den Abgrund schon schwindlig werden. Denn der Abend ist nur sehr bedingt unterhaltsam im herkömmlichen Sinn – sondern eher musikalischer Denksport. Da lässt Coltrane lautstark und kompliziert grüßen.

Marsalis misst, nachdem er sich mit seinem Bruder Wynton, herausragender Jazz-Trompeter und Jazz-Purist, wegen Branfords Pop-Exkursen in den 1980ern kurzzeitig überworfen hatte, nun einer gewissen Eklektik von Wagner bis Sting großen Wert bei. Daher ist auch die Auswahl der musikalischen Themen von Purcell bis Monk schon auf der aktuellen Scheibe „Braggtown“ durchaus vielfältig. Dennoch: Nicht nur, dass „brag“ auch angeben heißt, verleitet dazu, Marsalis auch eine gewisse jazz-eigene Selbstbezüglichkeit vorzuwerfen. Das Publikum hat’s nicht gestört: Starker Applaus, einige Zugaben.

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