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Bosnien: 10 Jahre nach Dayton

Anlässlich des zehnten Jahrestages des Daytoner Friedensabkommens hat der bosnische Ex-Ministerpräsident Haris Silajdzic die Aufteilung des Landes in zwei "Entitäten" kritisiert.

Durch die Trennung in die bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik (Republika Srpska) sei ein Projekt des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic „nach wie vor lebendig“, sagte Silajdzic der türkischen Online-Zeitung „Zaman“.

Das damalige Regime in Belgrad habe die Teilung mit Gewalt herbeiführen wollen, so der Politiker, der 1995 selbst an den Verhandlungen für das Friedensabkommen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dayton im US-Bundesstaat Ohio teilnahm. Angesichts des Völkermordes, der begangen worden sei, sei man damals unter Druck gestanden, ein Abkommen zu Stande zu bringen. Obwohl es „nicht fair“ gewesen sei, hätte es akzeptiert werden müssen. „Damals war es Frieden, der gebraucht wurde, nicht Gerechtigkeit.“

Die Teilung Bosnien-Herzegowinas sei jedoch „nicht natürlich“ und „gegen den Willen der Nation“. Silajdzic: „Es gibt einige, die keine Abstriche von dem Gewinn, den sie (aus dem Abkommen) gezogen haben, machen wollen.“ Das Abkommen sei jedoch schwer zu ändern und verstoße gegen internationale Verträge. „Wenn jemand einen Völkermord begeht und darauf aufbauend eine Struktur schafft“, sei die Genfer Völkermordkonvention hinfällig.

Das Verhalten der USA bezüglich des Bosnien-Krieges habe die serbische Seite begünstigt, führte Silajdzic gegenüber „Zaman“ weiter aus. Das Einschreiten der Amerikaner sei zu spät gekommen.

Die Haltung der bosnischen Serben, die den Status ihrer Republika Srpska erhalten sehen möchten, und sich gegen eine weitreichende Übertragung von Kompetenzen von Entitäts- auf Zentralstaatsebene stemmen, bezeichnete Silajdzic als „normal“: „Sie sind ein Staat im Staat, und mit 30 Prozent der Bevölkerung haben sie (gemäß Daytoner Vertrag) die Kontrolle über 49 Prozent des bosnischen Territoriums.“

„Solange die Entitäten bestehen bleiben, wird es keinen Fortschritt im Land geben“, sagte der Ex-Premier voraus.
Die EU beginnt am Freitag Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit Bosnien- Herzegowina. Dies haben die EU-Außenminister am Montag bei ihrem Treffen in Brüssel beschlossen. Es ist dies der erste Schritt des Landes in Richtung einer möglichen späteren EU-Mitgliedschaft.
Die EU-Kommission begrüßte die Entscheidung der Minister. „Das sind sehr gute Nachrichten für das Land und für die Region“, sagte eine Sprecherin von EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, der die Verhandlungen leiten wird. Der Beschluss sei auch ein bedeutendes Signal zum zehnten Jahrestag des Friedensabkommens von Dayton.
Die erste Verhandlungsrunde findet an diesem Freitag in Sarajevo statt. Das Assoziierungsabkommen zielt in erster Linie auf die Schaffung einer Freihandelszone, die mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) übereinstimmt. In Schlüsselbereichen des Binnenmarktes muss das Land teilweise EU-Rechtsvorschriften übernehmen.
Bosnien-Herzegowina hat grundsätzlich wie alle Staaten des Westbalkan eine EU-Beitrittsperspektive. Von den früheren Republiken Jugoslawiens ist bisher nur Slowenien EU-Mitglied (seit 1. Mai 2004). Mit Kroatien hat die Union am 3. Oktober Beitrittsverhandlungen eröffnet. Mit Mazedonien hat die EU ein SAA geschlossen; es dürfte in Kürze den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt bekommen. Mit Albanien und Serbien-Montenegro laufen bereits seit 2003 bzw. seit Anfang des Monats Gespräche über ein SAA.
Die EU-Außenminister forderten in einer Erklärung die drei Volksgemeinschaften in Bosnien – Serben, Kroaten und Bosniaken (bosnische Moslems) – auf, weitere Reformen durchzuführen. Nur so seien baldige Fortschritte in den Verhandlungen zu erwarten.
Zugleich verlängerten die Minister die EU-geführte Friedensmission in Bosnien (EUFOR) für das nächste Jahr. In Bosnien sind noch immer 6.500 Soldaten stationiert. Die Truppenstärke soll nach dem Ministerbeschluss zunächst weitgehend beibehalten werden.

100 000 Kriegsopfer identifiziert

Damit habe sich die lange international kursierende und nach wie vor von bosnischen Stellen geschätzte Zahl von 250.000 Opfern als „Mythos erwiesen“.

Bei der vor allem von Norwegen finanzierten Untersuchung durch das „Research and Documentation Center“ in Sarajewo wurden bis Ende Oktober 93.000 Kriegsopfer namentlich erfasst. Tokaca sagte, die endgültig fertige Liste werde „ziemlich genau die Zahl 100.000 erreichen. Nach den seit April 2004 durchgeführten Nachforschungen waren 70 Prozent der Toten Bosniaken (bosnische Moslems), 25 Prozent gehörten zur Gruppe der bosnischen Serben, fünf Prozent waren bosnische Katholiken. Mit Letzteren gemeint sind offenbar ethnische Kroaten.

Auch das UNO-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag geht von einer Zahl von etwa 100.000 Kriegsopfern aus. Tokaca sagte zu den vor allem in Bosnien selbst weiter kursierenden Angaben mit mindestens doppelt so vielen Toten:
„Die stammten immer von politischen Aussagen und bezogen sich niemals auf konkrete Untersuchungen.“

Die Liste mit den Namen und Daten der Kriegsopfer sollen nun auf CD allen bosnischen Gemeinden zur Verfügung gestellt werden, um Spekulationen zu beenden.
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