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Boris Eifman in Wien: "Ein Künstler ist wie ein Vampir"

Der russische Choreograf gastiert mit "Rodin" in Wien
Der russische Choreograf gastiert mit "Rodin" in Wien
Wien kennt Boris Eifman. Mit "Anna Karenina" und "Giselle Rouge" waren bereits zwei Stücke des berühmten russischen Choreografen hier zu sehen - getanzt vom Wiener Staatsballett. Mit seiner eigenen Kompanie, dem Eifman Ballett aus St. Petersburg, gastiert der 69-Jährige am 12. und 13. Juni aber erstmals in Wien - und erfüllt sich damit einen Traum, wie er am Freitag bei einem Pressegespräch sagte.


Eine europäische Gastspieltournee anlässlich seines bevorstehenden 70. Geburtstags führt Eifman mit seinem Ensemble nach Stationen in Bratislava, Budapest und Belgrad auch ans Burgtheater. Um den “Wiener Ballettliebhabern” etwas Neues zu präsentieren, steht hier “Rodin” und nicht – wie in den anderen Städten – “Anna Karenina” auf dem Programm. Es habe ihm “aus künstlerischer Sicht großen Spaß” gemacht, mit den Staatsballett-Tänzern zu arbeiten, betonte Eifman in Wien. Mit “seinem Kind” hier zu sein, sei dann aber doch etwas besonderes. “Ich hoffe, dass unsere Künstler diese Tragweite verstehen und wir werden alles tun, um ‘Rodin’ auf höchstem Niveau zu präsentieren.” Die Burg sei neben Volks- und Staatsoper die einzige Bühne, die für seine Tanzkunst geeignet sei, so der Choreograf. “Ich hoffe, dass wir ein gutes Debüt haben und in den kommenden Jahren mehr auf dieser Bühne zeigen werden.”

Im 2011 in St. Petersberg uraufgeführten “Rodin” widmet sich Eifman dem Schaffen des großen französischen Bildhauers Auguste Rodin und dessen Beziehung zu seiner Muse, Schülerin und Geliebten Camille Claudel. “Genau wie der Bildhauer arbeitet auch der Choreograf sein ganzes Leben lang mit dem menschlichen Körper und verfolgt die Aufgabe, dessen Geheimnis zu lüften und eine perfekte Form zu schaffen”, erläuterte Eifman seine Faszination mit Rodin. “Rodin ist mir als Künstler sehr nahe. Der Unterschied ist: Er hat in der Bewegungslosigkeit versucht, menschliche Emotionen auszudrücken, und bei mir ist es die Dynamik.”

Claudel wiederum sei eine “einzigartige Frau” und hoch talentierte Künstlerin gewesen. Während sie an der 13 Jahre andauernden Beziehung mit Rodin zerbrach und ihre letzten 30 Jahre in einer Anstalt verbrachte, war die gemeinsame Zeit für Rodin eine “sehr fruchtbare”. “Er hat ihr Talent und ihren Körper für seine Kunst benutzt, ihre emotionalen Säfte ausgesaugt und sie dann stehen gelassen. Ein Künstler ist wie ein Vampir, der alles um sich herum aufsaugt, um die ideale Form zu schaffen”, so Eifman, den die menschliche Tragödie auf der einen Seite und das unglaubliche Genie auf der anderen Seite fasziniert habe. “Ich möchte Rodin weder freisprechen noch beurteilen. Ich will nur in diese Welt hineinsinken, um zu verstehen, wie seine Kunst entstanden ist.”

Eifman tut dies mit seiner charakteristischen plastischen Sprache, die er als “psychologisches Ballett” umschreibt. “Es geht darum, durch die Körpersprache den seelischen Zustand zum Ausdruck zu bringen”, erläuterte der in Sibirien geborene Choreograf, der die “emotionale Energie, die von der Bühne Richtung Zuschauer geht”, als “Hauptmerkmal” seiner Tanzkunst bezeichnet. 1977 hatte er seine eigene Kompanie gegründet, um diese “neue Ballettkunst zu etablieren” – Zensur und Druck der Behörden in der damaligen Sowjetunion zum Trotz. “Es war eine sehr schwierige Zeit, den Kanon des sowjetischen Balletts zu überwinden”, erinnerte sich Eifman, der seitdem mehr als 40 Ballette geschaffen hat: “Heute haben wir ein Repertoire, das überall in der Welt sehr gefragt und sehr beliebt ist.”

Ausruhen will sich der Russe auf dem Erfolg nicht: In zwei bis drei Jahren steht der Umzug seiner Kompanie in ein mit staatlichen Geldern neu errichtetes Gebäude an. Das “Tanzpalais” sei neben wenigen Häusern weltweit ausschließlich als Tanztheater vorgesehen und werde drei Ensembles beherbergen, die “drei Epochen russischer Ballettkunst symbolisieren”: Seine eigene Kompanie tanze ihr psychologisches Ballett, eine weitere das von Marius Petipa geprägte, klassische Ballett des 19. Jahrhunderts und eine dritte fungiere als “Experimentierlabor, in dem neue zeitgenössische Ausdrucksformen ausprobiert werden”.

Während er eine “neue Choreografen-Generation” hervorbringt, möchte Eifman auch sein eigenes Repertoire “neu erschaffen”: Gerade erst hat er sein 1993 uraufgeführtes Stück “Tchaikovsky” adaptiert und Ende Mai mit dem Beititel “Pro und Contra” zur Aufführung gebracht; und auch “Russian Hamlet” zur Musik zweier österreichischer Komponisten – Beethoven und Mahler – erhielt einen “neuen Touch”. Einem weiteren berühmten Österreicher, Sigmund Freud, wollte Eifman übrigens einmal ein eigenes Ballett widmen, wie er verriet. “Ich habe mich intensiv mit der Psychoanalyse auseinandergesetzt, aber das Problem ist: die ganze Biografie Freuds kann man auf drei Sätze hinunterbrechen”, so Eifman: “Er wurde geboren. Er hat gearbeitet. Er ist gestorben.” Während Rodin ein “buntes, ereignisreiches Leben” geführt habe, sei Freud vor allem eines gewesen: Wissenschafter.

(S E R V I C E – Eifman Ballet of St. Petersburg: “Rodin”, Choreografie: Boris Eifman, Musik: Maurice Ravel, Camille Saint-Saens, Jules Massenet, Bühne: Zinovy Margolin, Kostüme: Olga Shaishmelashvili, Mit: Oleg Gabyshev, Maria Abashova, Natalia Povoroznyuk, Sergey Volobuev, Lilia Lishuk, Lyubov Andreyeva. 12. und 13. Juni im Wiener Burgtheater, jeweils 19.30 Uhr. Karten unter.)

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