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Barfuss durch Wien

Andreas ist 38 Jahre alt, im Vertrieb tätig und macht auf den ersten Blick einen „normalen“ Eindruck. Doch es gibt einen kleinen Unterschied - er trägt keine Schuhe!

Schon als Kind hat er viel Zeit im Burgenland verbracht, wo er meist barfüssig herum gelaufen ist. Vor 3 Jahren hat er dann beschlossen auch als Erwachsener auf Schuhe zu verzichten. Den Anstoß lieferte ein Neuseeland- Urlaub, wo er Menschen fand, mit denen er seine Leidenschaft des Barfussgehens teilen konnte. Vor allem die neuseeländischen Ureinwohner namens Maori beschreiten ihren Alltag ohne Schuhe. Voller Begeisterung erzählt Andi dass man in Neuseeland sogar auf Steuerberater, Bankangestellte und Lehrer mit nackten Füssen trifft. Auch im Supermarkt und in Lokalen begegnet man Leuten, die mit einer Selbstverständlichkeit ihre Schuhe zu Hause lassen.

In Wien wird Andis Barfüssigkeit nicht immer stillschweigend hingenommen. Kommentare wie „Hast du deine Schuhe vergessen? „ oder „Kannst du dir keine Schuhe leisten?“ bekam er in den letzten Jahren immer wieder zu hören. Jene Personen mit den kaputtesten Füssen reagieren oft besonders negativ, meint Andi. Äußerungen hinsichtlich Unhygiene entgegnet er mit Argumenten wie „Ich esse ja nicht mit den Füssen!“ oder er verweist auf Bakterien, die über Türschnallen oder Computertastaturen täglich auf jedermanns Hände geraten. Etwa 90% der Reaktionen von Fremden sind jedoch positiv, betont der Barfuss- Geher. Bleiben Scherben oder anderer städtischer Unrat in der Sohle stecken, kann man sie ganz leicht aus der mittlerweile robusten Lederhaut entfernen, sagt Andi. Die Fusspflege gestaltet sich simpel, erzählt er: bevor er sein Haus betritt geht er eine Runde in der Wiese und zur gröberen Reinigung verwendet er einen Bimsstein, der die Haut auch ausreichend pflegt.

Trotz anfänglicher Bedenken bezüglich Verletzungen oder Erkältungen wird Andis Verzicht auf Schuhe von Familie und Freunden mittlerweile akzeptiert. Auch wenn seine Exfrau die Leidenschaft ihres Mannes nicht teilen konnte und ihn manchmal bat, sich doch Schuhe anzuziehen, gewöhnte sie sich mit der Zeit an seine Blossfüssigkeit. Sofern der Winter nicht zu kalt ist, ist er das ganze Jahr unbeschuht unterwegs. Die einzige Ausnahme sind geschäftliche Termine mit Kunden, für die er sich in eines seiner wenigen Schuhpaare zwängen muss. Aber kaum befindet er sich wieder im Auto, entledigt er sich schnellstens seiner Schuhe.

Am meisten schätzt Andi die Bequemlichkeit des Barfussgehens, Schuhe tragen ist für ihn als ob er Handschuhe bei warmen Temperaturen tragen müsste. Weitere Vorteile des schuhlosen Gehens sind die Reduzierung von Verspannungen, die Stärkung von Bändern, Muskeln und Gelenken sowie die Anregung des Herz- Kreislaufsystems. Andi vergleicht das Barfussgehen mit einer kostenlosen Fussreflexzonenmassage, die verschiedene Organe positiv beeinflussen kann. Er selbst hat in den letzten 3 Jahren bemerkt, dass er seltener krank wird, weitaus entspannter ist und sich seine Konzentration deutlich verbessert hat.

Andi weiß diese positiven Effekte besonders zu schätzten, denn er zählt sich zu den so genannten „Highly Sensible Persons“ (HSP), einer Gruppe von Menschen, zu denen 15 – 20% der Bevölkerung gehören und deren Sinne aufgrund einer speziellen Reizverarbeitung im Gehirn außerordentlich stark ausgeprägt sind. HSP reagieren sehr empfindlich auf ihre Umgebung und neigen daher zu Überreizungen. Bei Andi ist das Gehör enorm sensibel, weshalb ihm ein Aufenthalt an lauten Orten sehr schwer fällt. Er ist jedoch überzeugt, dass alle Menschen vom Barfussgehen profitieren könnten, da Schuhe das natürliche Gangbild negativ verändern. Andi weist darauf hin, dass der Großteil der Bevölkerung mit gesunden Füssen zur Welt kommt und orthopädische Schäden vorrangig erst aufgrund meist schlechten Schuhwerks entstehen. Daher ist der Barfuss Andi bemüht, auch andere Menschen zu überzeugen, zumindest eine zeitlang aus den Schuhen zu schlüpfen und den Füssen etwas Gutes zu tun. Wie auch im letzten Jahr organisierte er auch heuer wieder Barfusswanderungen wie am 31.Mai entlang des steirischen Bründlweges und am 1. Juni auf der Hochquellwasserleitung von Gumpoldskirchen nach Baden (Informationen unter barfusswandern@gmail.com). Eine weitgehende Verbreitung des Barfusslaufens in Wien kann sich Andi aus einem bestimmten Grund nicht vorstellen: die Stadt gehört immer noch zu den „hundekotreichsten“ Plätzen Europas! Aber das ist eine andere Geschichte.

Bericht: Verena Aldrian

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