Bankexperten sehen Zinswende, erwarten weitere Erhöhungen

Von der APA befragte Ökonomen rechnen nach der heutigen Anhebung des Leitzinses im Laufe des Jahres mit weiteren Erhöhungen. Sofortige Auswirkungen auf die Inflationsrate werden nicht gesehen, in weiterer Folge wird aber eine dämpfende Wirkung erwartet.
Ökonom Daniel Gros zur aktuellen Inflation:
Kampf gegen Inflation
Die EZB habe sich heute von der Negativ-Zinspolitik der vergangenen Jahre mit einem Schlag verabschiedet, so Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek im APA-Gespräch. Die Anhebung um 50 Basispunkte, demonstriere Entschlossenheit im Kampf gegen die Inflation. Die EZB müsse auch schauen, dass Zweitrundeneffekte möglichst niedrig gehalten werden. Die heutige Entscheidung sei der Beginn einer Zinsbewegung, die dazu führen müsste, dass es in den nächsten Monaten gewisse Bremseffekte bei der Inflation gebe.
Wohl keine sofortigen Auswirkungen
Die EZB sei wieder "zu einer ernsthaften Größe geworden", sagte Erste-Group-Chefanalyst Friedrich Mostböck, auch unter anderem puncto Entschlossenheit, die Inflation zu bekämpfen. Eine sofortige Auswirkung auf die Inflation sieht er nicht. An den Aktienmärkten sei offensichtlich schon sehr viel vorweggenommen worden. Die Zeit der Negativzinsen sei heute beendet worden, betonte Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer. Bei den kurzfristigen Zinsen gebe es einen Wandel in den positiven Bereich und damit wieder eine gewisse Normalität.
Finanzexperte über Sparbücher und Kredite:
Die EZB habe heute möglicherweise auch die Euro-Abwertung der vergangenen Wochen und die importierte Inflation berücksichtigt, hieß es heute.
Weitere Zinserhöhungen erwartet
Die Experten rechnen nun mit weiteren Zinserhöhungen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Anhebung um 50 Basispunkte im September sei sehr hoch, angesichts der Aussagen, dass die EZB datengetrieben agiere und von Monat zu Monat evaluiere, so Brezinschek angesichts der relativ hohen Inflationszahlen. Auch Mostböck rechnet mit weiteren Zinserhöhungen, auf jeden Fall scheine die EZB heute die Zinswende eingeleitet zu haben. Bruckbauer erwartet, dass es bis Jahresende noch zu Erhöhungen um weitere 75 Basispunkte kommen wird und die EZB im ersten Quartal kommenden Jahres noch einmal um 50 Basispunkt erhöht.
Es gebe nun auch keine forward-guidance mehr für die Zukunft, betonten Brezinschek und Bruckbauer. Damit sei mehr Volatilität an den Märkten zu erwarten, so Bruckbauer.
Gemischte Reaktionen in Österreich
Die Leitzinsanhebung durch die Europäische Zentralbank (EZB) trifft in Österreich auf gemischte Reaktionen. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) begrüßt in einer Aussendung den seiner Meinung nach "überfälligen Schritt". Auch das wirtschaftsnahe Institut Agenda Austria gibt sich vorsichtig optimistisch. Ablehnend äußerte sich die FPÖ.
Brunner erwartet weitere Schritte
Brunner erwartet, dass die EZB auch in Zukunft weitere Schritte setzt, wenn es die Inflationsdynamik erfordere. Die Notenbank müsse sich auf Preisstabilität als ihr Primärmandat besinnen. "Gleichzeitig ist es die Aufgabe der Mitgliedsstaaten, mittel- bis langfristig die Budgets in Ordnung zu bringen, damit die Europäische Zentralbank den Handlungsspielraum hat, den es im Kampf gegen die Inflation braucht", so der Finanzminister.
FPÖ skeptisch
FPÖ-Budget- und Finanzsprecher Hubert Fuchs bezweifelt hingegen, dass die Zinsanhebung die Inflation bremsen wird. Die Preissteigerung führt Fuchs auf die EU-Sanktionspolitik gegen Russland sowie auf die Schuldenaufnahme im Rahmen der Corona-Hilfsfonds und Waffenlieferungen an die Ukraine zurück. "Bleiben wird unterm Strich als spürbare Auswirkung, dass Kredite teurer werden, worunter all jene zusätzlich leiden werden, die für die Schaffung von Wohnraum oder andere größere Investitionen einen Kredit aufgenommen haben", so Fuchs.
Agenda Austria: "Zu spät aber richtig"
Zu spät aber richtig ist der Zinsschritt aus Sicht der Agenda Austria-Ökonomin Heike Lehner. Sie vermutet hinter der deutlich Zinsanhebung aber einen Kompromiss: Im Gegenzug seien wohl Anleihenkäufe im Rahmen des Transmission Protection Instrument (TPI) an schwächere Bedingungen geknüpft, so Lehner. Mit dem TPI legt die EZB ein neues Anti-Krisen-Programm auf, um sicherzustellen, dass Zinserhöhungen Länder wie zum Beispiel Italien nicht über Gebühr belasten und um eine Fragmentierung des Währungsraums zu verhindern.
Die Zinsen steigen um jeweils 0,50 Prozentpunkte, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Damit entfällt der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von 0,0 Prozent auf 0,50 Prozent.
(APA)