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Balten: Beteiligung an alten Sowjetschulden?

Lettland, Estland und Litauen hat die Nachricht aus Moskau erreicht, wonach der Anteil der drei baltischen Republiken an den Schulden der ehemaligen Sowjetunion 3,06 Mrd. USD (2,47 Mrd. Euro) ausmacht.

Die erste Reaktion des lettischen Außenministers Artis Pabriks lautete, er sehe in der russischen Schätzung einen Versuch, „pragmatische Beziehungen mit Russland“ zu unterbinden. Derartige Forderungen entbehrten jedweder moralischen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Grundlage.

Die Summe von über drei Milliarden Dollar wurde von der russischen Nationalbank und der „Wneschekonombank“ (die ehemalige sowjetische Außenhandelsbank, Anm.) in der Zeit zwischen April 2003 und Juni 2004 ermittelt, hieß es in russischen Agenturmeldungen. Der Auftrag für die Schätzung kam von der Staatsduma in Moskau. Russland hatte laut lettischer Nachrichtenagentur LETA bis Oktober 2003 selbst erst 1,07 Mrd. USD alte Sowjetschulden bezahlt.

Hintergrund der wohl kaum als realistisch einzustufenden Moskauer Schuldenverteilung sind offenbar die in mehrfacher Hinsicht gespannten Beziehungen zu den drei baltischen Ex-Sowjetrepubliken und nunmehrigen EU- und NATO-Mitgliedern. Russland übt vor allem auf Lettland und Estland steten Druck aus, die Gesetzgebung und die Rahmenbedingungen für die in beiden Ländern zahlenmäßig sehr starke russische Minderheit günstiger zu gestalten. Riga und Tallinn stehen jedoch auf dem Standpunkt, bereits alle Kriterien des Minderheitenschutzes zu erfüllen und erhalten dafür auch von EU und OSZE weitgehende Rückendeckung.

In den vergangenen zwei Wochen gingen auch zwischen Litauen und Russland die Wogen hoch, nachdem russische Medien Boykottaufrufe gegen litauische Waren verbreitet hatten und diverse russische Politiker Verbalattacken unter anderem gegen Litauens Staatspräsident Valdas Adamkus ritten. Grund dafür war eine in Litauen gewartete pro-tschetschenische Website, die nach der Aussetzung eines „Kopfgeldes“ von 20 Millionen USD auf den russischen Präsidenten Vladimir Putin von den litauischen Behörden allerdings geschlossen wurde.

Zu weiteren offenen Fragen gehören diverse Streitigkeiten um ehemaliges Sowjeteigentum und alte Sowjetkredite im Baltikum sowie die fehlende Ratifikation der Grenzabkommen mit Estland und Lettland durch Moskau. Litauen und Russland sind sich wiederum über die künftige Regelung des Transits in die Exklave Kaliningrad, der vor allem über litauisches Territorium stattfindet, nach wie vor alles andere als einig.

Estland, Lettland und Litauen versuchen derweil eine breite internationale Anerkennung für ihren Standpunkt zu erhalten, dass die drei Republiken 50 Jahre lang von der Sowjetunion okkupiert waren. Diese Sichtweise ist völkerrechtlich nicht vollständig gedeckt. Moskau weist sie überhaupt zur Gänze zurück.

Die Präsidenten Estlands und Litauens, Arnold Rüütel und Valdas Adamkus, haben russische Berechnungen des Anteils der baltischen Staaten an Schulden der ehemaligen Sowjetunion eindeutig zurückgewiesen. Rüütel sagte auf einer Pressekonferenz mit seinem litauischen Gastgeber am Montag in Vilnius, er halte die ganze Sache für politische Propaganda. Estland habe umgekehrt durch die sowjetische Okkupation einen herben Rückschlag in seiner Entwicklung erlitten.

Adamkus stieß ins selbe Horn: „Wenn jemand Forderungen über zu bezahlende Schulden erheben kann, dann ist das zweifellos Litauen“, zitierte die litauische Nachrichtenagentur ELTA den Präsidenten. Litauen könnte dann nämlich die Rechnung für die gesamte Zeit der sowjetischen Besetzung verlangen, so Adamkus.

Konkrete Gegenforderungen wollten die beiden Präsidenten aber nicht erheben. Rüütel sagte, er glaube fest daran, dass die Bevölkerung im Baltikum sich wünsche, Russland auf dem Weg der Demokratie voranschreiten zu sehen.

Ende vergangene Woche hatte der russische Rechnungshof eine Schätzung veröffentlicht, wonach der Anteil der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen an den Schulden der Sowjetunion über drei Milliarden US-Dollar (knapp 2,5 Mrd. Euro) ausmachen soll. Der lettische Außenminister Artis Pabriks hatte die Schätzung postwendend als ohne jede Grundlage bezeichnet.

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