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Arbeitslosigkeit: Rhein als Limes

Bregenz, St. Gallen - Nur 1,9 Prozent Arbeitslosenrate in Ostschweiz – Ländle-Strukturen als Nachteil. Was können/haben die Ostschweizer, was Vorarlberg nicht kann/hat?

Diese Frage drängt sich förmlich auf, wenn man die Jubelmeldung des Amtes für Arbeit in der Staatskanzlei des Kantons St. Gallen liest. „Stellensuchenden-Zahl im freien Fall, Arbeitslosenquote nur 1,9 Prozent“, heißt es da. In Vorarlberg sind es fast 6 Prozent.

Hinzu kommt das Paradoxon, dass Vorarlbergs Industrie bei jeder Gelegenheit beteuert, sie würde „auf der Stelle 1000 Facharbeiter mit Handkuss aufnehmen“, wenn es sie nur gäbe. Es gibt sie sehr wohl, nur verdingen sich diese lieber in die boomende Ostschweiz, wie auch der Landeschef des Arbeitsmarktservice (AMS), Anton Strini, bestätigt. Der AMS-Direktor: „Jene Fachkräfte, die man bei uns so dringend bräuchte, sind gut qualifiziert und sehr flexibel. Und sie denken unternehmerisch – verkaufen sich also an den ,Bestbieter’, und der sitzt meistens nach wie vor in der Schweiz oder in Liechtenstein“, wusste Strini aus Erfahrung.

Auch der Obmann der Industriesparte in der Wirtschaftskammer, DI Christoph Hinteregger, weiß um die Realität. „Die Situation ist, wie von Strini dargestellt, für einen Schweiz-Job nehmen z. B. junge Fachkräfte aus dem Bregenzerwald tägliche Fahrzeiten von zwei Stunden und mehr in Kauf. Die bewerten diesen Zeitaufwand nicht, auch nicht, dass Österreich mehr Feiertage hat – diese jungen Könner sehen nur den Nettozahltag und das ist irgendwo auch verständlich.“ Müssen Doppelmayr, Blum, Zumtobel & Co. also tatenlos zusehen, wie die heimischen Fachkräfte zum Ostschweizer Wirtschaftswunder beisteuern, während unsere Firmen wegen Personalmangels Aufträge ablehnen müssen? Hinteregger: „Wir können auf keinen Fall auf Schweizer Lohnniveau nachbessern, uns höchstens bei Schlüsselkräften um Minimierung der Einkommensdifferenz bemühen. Unsere Antwort ist der Rückgriff auf auswärtige Fachkräfte, vor allem aus Ostdeutschland, denen unsere Region und Mentalität sehr zusagen und die sich – nicht nur im Metallbereich – erstklassig schlagen.“ Auch werde in unseren Unternehmen thematisiert, dass neben dem Lohn noch andere Dinge zählen: Stil im Umgang im Team, Karriereplanung nach fundierter Lehrausbildung, in unseren Firmen „ist kein Personal am Werken, sondern Mitarbeiter, also Mitmenschen“ (Hinteregger).

Zurück zur Arbeitslosenquote von 1,9 Prozent, angesichts derer man im Gegensatz zu uns tatsächlich das Prädikat De-facto-Vollbeschäftigung strapazieren darf. Laut Strini und ÖGB-Referent Dr. Bernt Neumann ist der signifikante Unterschied zu unseren 5,9 Prozent auch in unterschiedlichen Begriffsdefinitionen bedingt. Neumann: „Bei uns ist die Quote die Division aus der Zahl der unselbstständige Beschäftigten plus der Arbeitslosen durch die Arbeitslosen. In der Schweiz werden die selbstständig Erwerbstätigen hinzu gezählt, was automatisch die Quote nach unten drückt.“ Eigentlich entscheidend für die niedrige Ostschweizer Rate, so Strini, seien aber schon strukturelle Unterschiede. „So hat Vorarlberg einen viel höheren Anteil an Saisonbeschäftigten, die zwischen den Saisonen eben ohne Job sind. Auch ist bei uns die Sockelarbeitslosigkeit – von Personen mit gesundheitlichen Vermittlungshandicaps oder z. B. Betreuungsverpflichtungen – viel höher als in der Schweiz. Vor allem aber ist der Ostschweizer Wirtschaftsraum eine extrem sachgüterorientierte Region mit traumhaften Exportquoten: Der produktive Sektor ist westlich des Rheins viel dominanter als hier“, sagt Strini.

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