Arbeitgeber-Boss: "Existenzsichernder Lohn ist nicht Aufgabe der Arbeitgeber"

Der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands scheint nicht viel von Mindestlöhnen zu halten. Seiner Meinung nach müssten Unternehmen nicht unbedingt Löhne zahlen, die zum Leben reichen, wie Blick berichtet. Laut Müller müsse in diesen Fällen die Sozialhilfe einspringen.
Große Debatte um den Mindestlohn
Es ist eine brisante Frage, die der Schweizer Nationalrat in der Sommersession behandelt: Soll der Bund kantonale Mindestlöhne aufheben können? Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien befürworten dies. Zumindest dann, wenn die Sozialpartner in einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) niedrigere Löhne vereinbaren. Eine intensive Debatte ist vorprogrammiert. Nun sorgt eine weitere Frage für zusätzliche Spannung: Sollte ein Vollzeitgehalt ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern, ohne dass der Staat mit Sozialhilfe oder Ergänzungsleistungen einspringen muss?
Arbeitgeber-Direktor: "Die Sozialhilfe muss einspringen"
Für Arbeitgeber-Direktor Roland A. Müller (62) ist die Antwort ein klares Nein. In einer Anhörung der nationalrätlichen Wirtschaftskommission Ende März erklärte er: "Man kann von den Arbeitgebern oder von der Wirtschaft nicht verlangen, dass sie Existenzsicherung betreiben. Irgendwo hört es auf", wie Blick aus entsprechenden Dokumenten zitiert. "Da muss dann schlussendlich die Sozialhilfe einspringen."
Laut Müller gehe es hierbei auch um die wirtschaftspolitische Leistungsfähigkeit der Arbeitgeberschaft. Das Ganze sei eine grundlegende Frage, meinte der 62-Jährige. Etwas später verdeutlichte er in der Diskussion erneut: "Ein rein existenzsichernder Lohn ist nicht die Aufgabe der Arbeitgeber." Er rechtfertigte diese Aussage damit, dass die Unternehmen die soziale Sicherheit über Steuern mitfinanzieren würden.
"Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat"
Diese Äußerungen sorgten für entsprechend empörte Reaktionen. "Die Gewinne privat, die Kosten dem Staat", formulierte SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (63). Für die 63-Jährige steckt hinter den Aussagen des Arbeitgeber-Direktors ein Bild der Arbeitgeber als "gnädige Herren mit den milden Gaben".
"Wenn ich keine existenzsichernden Löhne zahlen kann, bin ich eine miese Unternehmerin oder eine hinterlistige Ausbeuterin meiner Leute. Sie können weder die eine noch die andere Variante ernsthaft gutheißen", erklärte die IT-Unternehmerin. Mindestlöhne würden gleich lange Spieße schaffen, womit "die schwarzen Schafe, eben die Ausbeuter oder die schlechten Unternehmen", herausgefiltert werden würden.
Ohne kantonalen Mindestlohn: "100 Prozent gearbeitet und trotzdem auf dem Sozialamt gelandet"
In der Schweiz haben aktuell fünf Kantone eigene Mindestlöhne zwischen 20 Franken pro Stunde in Tessin und 24.50 Franken pro Stunde in Genf. Nur in Genf und Neuenburg gehen derzeit kantonale Mindestlöhne tieferen GAV-Löhnen vor. Sie gelten als sozialpolitische Maßnahme, um Armut zu bekämpfen bzw. zu verhindern.
Das betonte in der Anhörung auch Gewerkschaftsvertreter Luca Cirigliano (44): "Die Kantone Neuenburg und Genf waren mit riesigen Zahlen an Arbeitnehmenden konfrontiert, die 100 Prozent gearbeitet haben und trotzdem auf dem Sozialamt gelandet sind. Das wollte man nicht."
Deshalb warnte er auch eindringlich davor, diese Regelung wieder zu ändern - in manchen Fällen würden somit wieder "300 Franken weniger Lohn" pro Monat bezahlt. "Die Sozialämter der Kantone Genf und Neuenburg müssten sich auf einen Ansturm ohnegleichen vorbereiten."
"Zu hohe Mindestlöhne führen dazu, dass Jobs verschwinden"
Arbeitgeber-Direktor Müller hält an seinen Aussagen allerdings weiterhin fest. Gegenüber Blick verteidigt er sich: "Natürlich ist es das Ziel, dass man vom eigenen Lohn leben kann – das ist völlig unbestritten."
Allerdings sehe die Realität anders aus. Bei bestimmten Berufen oder Branchen seien höhere Löhne nicht möglich, da die Unternehmen die entsprechende Wirtschaftsleistung nicht erbringen könnten: "Zu hohe Mindestlöhne führen dort dazu, dass diese Jobs verschwinden. Damit ist den Betroffenen auch nicht geholfen." Müller ist sich sicher, dass es besser sei, dass jemand im Arbeitsmarkt integriert ist, als arbeitslos zu sein. Außerdem behauptet er: "Kein Arbeitgeber zahlt bewusst tiefe Löhne, um die Boni hochzuschrauben."
Für ihn stehe die Sozialpartnerschaft im Vordergrund. Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf Mindestlöhne einigen, sollten diese laut Müller Vorrang vor kantonalen Regelungen haben. "In den GAVs werden auch bessere Arbeitsbedingungen, Weiterbildung oder Ferien verhandelt", meint der Arbeitgeber-Direktor. "Drehen die Kantone an den Mindestlöhnen, dann gerät das ganze Gefüge in Gefahr."
(VOL.AT)