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Applaus für die "Achterbahn"

Bregenz (VN) -  Mit „Achterbahn“ von Judith Weir starteten die Bregenzer Festspiele am Donnerstagabend ihre Uraufführungsserie. Es ist ein kompakter Wurf, der sehr viel Applaus erhielt.
"Achterbahnfahrt" im Festspielhaus
"Achterbahn"-Premiere in Bregenz
Alle über die Bregenzer Festspiele

Bunte Szenerie, Breakdance, Szenen aus dem Alltag, eine leicht nachvollziehbare Handlung und sehr viel Drive: Wem nach Solchem der Sinn steht, der muss meist auch die Banalitäten des modernen Musicalschaffens inkaufnehmen. Opern – auch zeitgemäße – sind anderswo angesiedelt. Nicht so bei Judith Weir. Mit der Britin beginnt Intendant David Pountney eine Uraufführungsserie im großen Bregenzer Festspielhaus, die sich über drei Jahre hinzieht.

Klar und schön

Gestern Abend erfolgte der Start. Er verlief vielversprechend, endete mit sehr viel Applaus und Bravorufen und dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens baut Judith Weir zwar auf Traditionen des 20. Jahrhunderts auf, Instrumentierung und Charakterisierung der einzelnen Personen und Handlungsstränge sind aber dramaturgisch derart vielschichtig ausgeführt, dass es geradezu eine Freude ist, dieser Musik zuzuhören. Jedenfalls in der Ausführung der Wiener Symphoniker unter der Leitung von Paul Daniel. Die Basis-Komposition stützt die Stimmen, gibt ihnen enorme Möglichkeiten. In eine schnell ablaufende Handlung derart schöne, klare Chorstellen einzubauen (interpretiert vom Prager Philharmonischen Chor) – ja man muss es einfach so nennen –, das macht ihr nicht so schnell einer nach. Weir eben.

Großartige Stimmungen

In Bühnenbildner Tom Pye hat die Komponistin offensichtlich den bestmöglichen künstlerischen Partner gefunden. Mit zwei riesigen, meist schwebenden Teilen – eines gleicht einem Lattenrost, eines einem Flügel – schafft er großartige, aber nie bombastische Stimmungen, abstrakte, aber auch ganz konkrete Räume. Und weil das alte, sizilianische Märchen „Sfortuna“ von Arm und Reich in die heutige Zeit übersetzt wurde, gibt es da noch eine Reihe von Nähmaschinen, einen Waschsalon und sogar einen vom Schnürboden schwebenden Kebab-Wagen. Viel verschiedenfarbiges Licht kommt zum Tragen, und die filmisch-naturalistischen Effekte sind dezent und punktgenau eingesetzt, kaschieren auch keine Regieleerläufe (wie das auf anderen Bühnen bei Videospielereien zu beobachten ist), sie ergänzen den kraftvollen, in der Gestik aber sehr feinen Zugriff, den Chen Shi-Zheng wählt.

Die Handlung selbst – ein junges Mädchen verarmt nach einem Börsenkrach, will mit einfacher Arbeit artig das Leben meistern – ist freilich ein wenig naiv. Ein Märchen eben. Wenn Musik und Regie die Eintönigkeit von Arbeitsalltag und Zerstreuungsangebot aufzeigen, wird es etwas moralisch. Letztlich führt Weir, die selbst das Libretto schrieb, aber zur Auffettung des Ganzen sehr geschickt die Frage nach der Macht des Schicksals ein. Gelöst wird sie nicht und auch ein Lottogewinn deutet nicht unbedingt auf ein Happy End. Ein offener Schluss also – und das ist gut so.

Figurengestaltung

Spannung erhält der Opernabend vor allem auch durch die musikalische Figurengestaltung. Die Sopranistin Emma Bell (Tina) agiert mit schönem Volumen, der Bass-Bariton Alan Ewing (Lord Fortune) hat das nötige Schwarz in der Kehle, die Mezzosopranistin Kathryn Harries (Lady Fortune) markiert einen kleinen Gegenpol. Noah Stewart (Hassan) erhält jenen umfangreichen Tenorpart, der seinen harten Überlebenskampf verdeutlicht, und der Wäschereibesitzerin Donna verleiht die Mezzosopranistin Anne-Marie Owens etwas Mysteriöses. Jacques Imbrailo (Simon) komplettiert das Ensemble mit glattem Bariton, Andrew Watts (Schicksal) als passend heller Countertenor.

Wirkungsvoll

Intendant David Pountney geht mit der Programmierung der Uraufführungsserie für die Bregenzer Festspieleein ziemliches Risiko ein. Was die erste Produktion betrifft, die ans Royal Opera House in London übernommen wird, ist zu sagen, dass manmiteinem derart kompakten Wurf nur punktenkann. „Achterbahn“ ist kein Werk mit ganz großen Bühnencharakteren, die Geschichte, die es erzählt, erfährt aber musikalisch und szenisch eine ungemein durchdachte, wirkungsvolle und dichte Umsetzung. Und die ist beim Premierenpublikum auch angekommen.

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