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Anschlag in Wien: Prozess um weitere Amtshaftungsklage von Hinterbliebenen

Vier Tote und 23 Verletzte forderte der Terror-Anschlag im November 2020 in Wien - Hinterbliebene der Opfer sehen teils ein Versagen der Behörden
Vier Tote und 23 Verletzte forderte der Terror-Anschlag im November 2020 in Wien - Hinterbliebene der Opfer sehen teils ein Versagen der Behörden ©APA/HELMUT FOHRINGER
Weil die Eltern und der Bruder eines beim terroristischen Anschlag im November 2020 getöteten 21-Jährigen dahinter Behördenversagen sehen, beschäftigt eine weitere Amtshaftungsklage das Gericht in Wien.
92.000 Euro für Terroropfer
Entschädigungen nach Terroranschlag

Im Zusammenhang mit dem Terror-Anschlag in der Wiener Innenstadt vom 2. November 2020 wird am Mittwoch am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen (ZRS) eine weitere Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich verhandelt.

Eltern und Bruder eines Opfers sehen behördliche Versäumnisse

Geklagt haben die Angehörigen - die Eltern und der Bruder - eines vom Attentäter getöteten 21-Jährigen. Ob der Prozess aufgenommen wird, ist aber offen, das Gericht will erst prüfen, ob der Zivilrechtsweg auch der richtige ist.

Die Kläger stehen auf dem Standpunkt, dass der Anschlag verhindert hätte werden können, hätte es im Vorfeld nicht behördliche Versäumnisse gegeben. Für den Rechtsvertreter der betroffenen Korneuburger Familie, den Wiener Rechtsanwalt Mathias Burger, besteht kein Zweifel, dass für diese Versäumnisse der Bund haftet. Dessen Organe hätten in Vollziehung der Gesetze rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten gesetzt.

Anschlag hätte vielleicht verhindert werden können - 20-Jähriger war im Verfassungsschutz-Fokus

Denn der spätere Attentäter war nach einer Verurteilung wegen terroristischer Vereinigung vorzeitig bedingt entlassen worden und in weiterer Folge nicht in den Fokus der Verfassungsschützer geraten, obwohl Warnsignale gegeben waren. So nahm der 20-jährige Anhänger der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) etwas mehr als drei Monate vor dem Attentat an einem Treffen radikaler Islamisten in Wien teil und versuchte in der Slowakei Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen. In ihrem Abschlussbericht zeigte die Zerbes-Kommission darüber hinaus weitere behördeninterne Pannen auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung sowie dem Informationsfluss zwischen dem damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Wiener LVT.

Zerbes-Kommission zeigte behördeninterne Pannen auf

In ihrem Abschlussbericht zeigte die Zerbes-Kommission darüber hinaus weitere behördeninterne Pannen auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung sowie dem Informationsfluss zwischen dem damaligen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Wiener LVT.

Die Bereitschaft des Bundes, den Angehörigen des 21-Jährigen das erlittene Leid zumindest in finanzieller Hinsicht zu lindern, blieb bis zum Einbringen der Klage überschaubar. Laut deren Anwalt bekamen die Eltern und der Bruder zunächst je 2.000 Euro aus dem Verbrechensopfergesetz und 4.500 Euro für die Begräbniskosten zugestanden, die damit aber nicht abgedeckt waren. An Trauerschmerzensgeld wurden erst nach Einbringung der Klage 10.000 Euro pro Person angeboten - "allerdings vorbehaltlich des Ergebnisses einer Prüfung, ob die Ansprüche zu Recht bestehen", so Burger.

Prozess in Wien: Trauerschmerzengeld von 30.000 Euro pro Person gefordert

Burger hält ein Trauerschmerzengeld von 30.000 Euro pro Person für angemessen. Darüber hinaus verlangt er von der Republik die Abgeltung der gesamten Begräbniskosten. Die Klage beinhaltetet auch das Feststellungsbegehren, dass die Republik für zukünftige Folgeschäden haftet. Speziell die Eltern hat es psychisch massiv beeinträchtigt, dass ihr 21-jähriger Sohn mit einem Schlag mitten aus dem Leben gerissen wurde.

Für den Vertreter der Republik, Martin Tatschner, war hingegen ungewiss, ob ein Zivilprozess überhaupt der rechtlich korrekte Weg für eine derartige Schmerzensgeldforderung ist. Er riet den Betroffenen zudem, zuerst die Entscheidung über Zahlungen aus dem Terroropferfonds abzuwarten - dieser behördlich Weg sei zwar "leider langsam", aber jedenfalls schneller als der angestrengte Prozess.

Prozess: Zivilrechtlich überhaupt möglich?

Das Gericht sah es ebenfalls als fraglich an, ob die Ansprüche der Kläger auf zivilrechtlichem Weg behandelt werden können. Vor einer etwaigen Prozess-Aufnahme soll dies nun noch einmal genauer erörtert werden.

Nach der Verhandlung machten Angehörige des Opfers ihrem Ärger über das Vorgehen - vor allem der Politik - Luft. Der Onkel der getöteten 21-Jährigen kritisierte, dass seitens des damaligen Innenministers und heutigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) niemals der Kontakt zu ihnen aufgenommen wurde. "Es gab keine Entschuldigung, es gab nichts Menschliches", sagte der Mann. Inzwischen erwarte er dies aber auch nicht mehr.

Terror-Anschlag in Wien: Nicht die erste Amtshaftungsklage

Es ist nicht die erste Amtshaftungsklage, die nach dem Terror-Anschlag, der vier Passanten das Leben gekostet hat, am Wiener ZRS eingebracht wurde. Vor fast genau einem Jahr - am 17. Mai 2021 - wurde bereits eine Verhandlung eröffnet, die die Mutter einer deutschen Studentin angestrengt hatte. Diese hatte in einem Lokal in der Innenstadt kellneriert und wurde vom Attentäter vor der Bar erschossen. Seither hat sich nicht viel getan, berichtete der Wiener Anwalt Lukas Bittighofer (Kanzlei Wess Kux Kispert) der APA. Termine seien "verlegt und hinausgeschoben" worden, man habe die Mandantin aufgefordert, ihre Ansprüche dem - eigens eingerichteten - Terroropferfonds bekannt zu geben. "Es gibt aber gewisse Schäden, die vom Terroropferfonds gar nicht beglichen werden können", hielt Bittighofer fest.

2.000 Euro nach Verbrechensopfergesetz deckten nicht einmal Überführung ab

Die Mutter der ums Leben gekommenen 24-Jährigen hatte ebenfalls nach dem Verbrechensopfergesetz zunächst 2.000 Euro erhalten. Damit ließen sich nicht ein Mal die Überführung - die junge Frau stammte aus Bayern - und das Begräbnis bezahlen. Neben der Abgeltung der Kosten für Überführung und Bestattung macht die Mutter Trauerschmerzengeld und Schockschaden geltend. Insgesamt begehrt sie rund 125.000 Euro. Die Finanzprokuratur - sie vertritt die Republik in allen Verfahren vor ordentlichen Gerichten - hatte die Ansprüche der Mutter nicht anerkannt. Eine außergerichtliche Lösung wurde abgelehnt.

(APA/Red)

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