Francis Lee macht die erdigsten, schmutzigsten, schönsten Liebesgeschichten. Wie seine Heldin, die Paläontologin Mary Anning (Kate Winslet), ist der neue Film des britischen Regisseurs zunächst ein schwer zu liebender Film. Er ist unsentimental und voller rauer Kanten. Aber auch wie Mary und die Meeresfelsen, die sie durchkämmt, steckt hinter dem harten Äußeren von "Ammonite" etwas Schönes. Ab Freitag im Kino.
Ammonite - Kurzinhalt zum Film
Francis Lees zärtlicher Debütfilm "God's Own Country" (2017) spielte in den Mooren von North Yorkshire, wo ein Schafarbeiter und ein rumänischer Wanderarbeiter sich in die Arme fielen. "Ammonite" ist ähnlich rustikal. Intime Momente werden durch Klang und Unausgesprochenes ausdrückt und unterdrückte Gefühle werden neben Szenen hervorplatzender Erotik gestellt.
Als der Film beginnt, lebt die Fossilforscherin Mary Anning (Kate Winslet) mit ihrer kränklichen Mutter (Gemma Jones) in der englischen Küstenstadt Lyme Regis ein zurückgezogenes Leben, durchkämmt die salzigen Klippen am Meer wie ein alter Goldsucher nach den titelgebenden Ammoniten, und betreibt einen kleinen Souvenirladen für Touristen. Marys Inneres ist ungefähr so wettergegerbt wie ihr versteinertes Gesicht und ihre rissigen Hände, so als wäre sie selbst eine Art lebendes Fossil.
Das ändert sich, als ein eingebildeter Geologe (James McArdle) seine blasse Frau Charlotte (Saoirse Ronan) zu ihr bringt. Sie leidet an "Melancholie", sagt er, und Seeluft soll sie heilen. Er bezahlt Mary dafür, dass sie auf Charlotte aufpasst, ein Arrangement, das der älteren Frau nicht gefällt, aber sie braucht das Geld. Natürlich wird sie sich für die zarte Charlotte erwärmen und was folgt, ist eine stille Freundschaft zwischen zwei Frauen, die langsam zu einer leisen Liebesbeziehung wird.
Ammonite - Die Kritik
Man könnte sagen, Francis Lee praktiziert seine ganz eigene Ausgrabung, indem er Marys und Charlottes vergrabene Geheimnisse freilegt und sie Schicht für Schicht enthüllt. Saoirse Ronan ist hier, wie immer eigentlich, sehr gut, aber "Ammonite" ist der Film von Kate Winslet. Die englische Schauspielerin gibt sich so ungeschminkt wie in der US-Serie "Mare of Easttown". Sie hat bemerkenswert wenig Dialog, und doch vermittelt sie eine überwältigende Menge innerer Dämonen, ohne zu übertreiben.
Francis Lee hat die mutige Entscheidung getroffen, sich zurückzuhalten und die Geschichte in verstohlenen Blicken und mit dem Heulen von Wind und dem Knirschen von Kieselsteinen abspielen zu lassen. Sein Film wird von einigen als übermäßig traurig und manchmal etwas langweilig kritisiert, aber die stimmungsvolle Natur der Kulisse begleitet das Drama perfekt zwischen den Frauen, ohne jede Spur von Sentimentalität. Als Marys und Charlottes gemeinsame Zeit in einer ziemlich großartigen Sexszene endlich vor Leidenschaft explodiert, überrascht einen das. Diese Leidenschaft ist hart erkämpft.
Mary Anning war eine echte Paläontologin, die einige außergewöhnliche Funde zu Beginn des 19. Jahrhunderts machte (ein berühmtes Exemplar, das sie gefunden hat, befindet sich im British Museum in London), aber ihr wurde nie der Respekt zuteil, den sie verdient hätte, weil sie kein Mann war. Lee will das ändern, aber er hat ihr auch eine lesbische Affäre angedichtet. Beiden Frauen waren lebenslange Freundinnen, aber es gibt keine Beweise dafür, dass sie eine Romanze hatten. Das ist reine Spekulation - wenn auch eine plausible.
In den vergangenen Jahren haben lesbische Geschichten wie diese populären und kritischen Beifall erhalten, was schön ist. Wie in Céline Sciammas "Porträt einer jungen Frau in Flammen" (2019) und "The World to Come"(2020) von Mona Fastvold geht es in "Ammonite" um zwei Frauen in Unterröcken, die sich lieben. Zu lange gab es Kostümdramen über Männer in Kniehosen, die versuchten, Väter in Salons zu beeindrucken. Jetzt machen Frauen stattdessen eben miteinander rum.
(APA/Red)