Es ist eine starke Platte geworden, hart in Wort und Ton, aber auch mit ruhigen, nachdenklichen Momenten.
Auf den Hauruck-Punkrock der frühen Tage haben sich die Düsseldorfer, die am 12. Dezember ein ausverkauftes Konzert in der Wiener Stadthalle geben, nicht beschränken lassen. “Das ist eine der Qualitäten des Älterwerdens, dass man sich Schritt für Schritt von seinem jugendlichen Fundamentalismus lösen kann”, sagt Sänger Campino.
“Wir waren früher sehr puristisch und in unserer Auslegung, was man als Punkband machen kann, sehr eng”, erzählte der 46-Jährige. “Zu dieser Zeit hatte das vielleicht seine Berechtigung, aber es ist überlebenswichtig, dass man aus diesen engen Schablonen irgendwann ausbricht und neue Wege entdeckt, ohne seine Vergangenheit zu verleugnen. Es geht nicht um einen Entwicklungsbruch, aber um ein stetiges Weiterkommen.” So präsentiert sich “In aller Stille” als typisches Hosen-Werk, setzt die Richtung des Albums “Auswärtsspiel” von 2002 fort und geht dabei mitunter neue Wege.
“Es war mein Wunsch, an ‘Auswärtsspiel’ anzuschließen”, erklärte Campino. “Das war in unserer späteren Zeit ein Höhepunkt. Und die Messlatte, die es zu erreichen oder überbieten galt, war eben dieses Album. Die ‘Zurück zum Glück’ (der bisher letzte Longplayer von 2004, Anm.) hat mich persönlich ein wenig unglücklich gemacht.” Warum? “Wir waren zu der Zeit ein bisschen schwerfällig geworden und zu schnell zufrieden mit den ersten Entwürfen der Lieder. Da ist der eine oder andere Füller aufs Album gekommen.”
Die Toten Hosen beschäftigen sich in den neuen Stücken u.a. intensiv mit Trennung, dem Leben und dem Tod. Dazu Campino: “Man kann mit Lebenserfahrung eine Glaubwürdigkeit bekommen. Wenn man dann existenzielle Themen behandelt, nehmen es einem die Leute ganz anders ab, weil da Sachen gemeint und nicht nur dahergeredet werden.” Zugleich relativierte der Frontman: “Es darf auf keinen Fall nur um die große Botschaft gehen. Das wäre unangemessen, man sollte sich nicht versteigen, zu viel Wichtigkeit in die eigene Arbeit zu legen. Am Ende des Tages ist es bloß Musik.”
Natürlich habe das Älterwerden Auswirkungen auf die Texte. Campino scheut dabei nicht davor zurück, durch die Erfahrungen des Lebens neue Erkenntnisse zuzulassen: “Gerade die Einstellung zum Tod und zum Leben kann man sich täglich neu überlegen. Das ist das Leben, das muss etwas Formbares sein. Ich glaube nicht, dass jemand inkonsequent ist, nur weil er heute ängstlich über den Tod nachdenkt und ihm das morgen vielleicht gleichgültig ist.”
“In aller Stille” bietet außer der Hymne “Strom” und dem ironischen “Disco” keine “witzigen” Lieder. Auf “Opium für das Volk” (1996) hatte man noch den Spaß-Song “Zehn kleine Jägermeister” zu den ernsten Stücken gepackt. “Vielleicht waren wir damals noch nicht so weit, ein Statement über Moral, Philosophie und den Glauben an Gott abzuliefern, ohne das am Schluss mit so einer Blödelnummer zu relativieren”, betonte Campino. “Ich bin dem Jägermeister-Lied noch heute dankbar, ich schäme mich nicht dafür, aber es war ein Fremdkörper auf der Platte. Es war ein Kontrapunkt am Schluss, um zu beweisen: ‘Ihr wollt uns für erwachsen erklären, wir spielen da nicht mit.’ Dieses Statement brauchen wir jetzt nicht mehr abgeben. Es gibt nichts zu relativieren, kein ‘wir haben das nicht so gemeint’.”
Video-Interview mit Campino