Doch die Antwort fällt nüchtern aus: Gerade die einzige Neuerung macht deutlich, dass der Anfang vom Ende der im Wesentlichen 2002 konzipierten Christian-Stückl-Inszenierung angebrochen ist.
Sophie von Kessel, im siebenten Jahr des “Jedermann” Peter Simonischek bereits dessen vierte Gespielin, bleibt ein Fremdkörper in der auf barocke Opulenz setzenden Inszenierung. Ihr fehlt es an Frivolität und Laszivität, an Ausgelassenheit und Lebensfreude. Aus der schlanken, modernen, zurückhaltenden jungen Frau wird nur mit äußerster Überwindung das sich beschwingt im Kreis drehende und immer wieder innig an Jedermanns Lippen saugende Liebchen. Sie muss sich im schmucken blauen Kleid vom reichen Gespons immer wieder betatschen lassen und hat sich innerlich wohl schon längst von ihm verabschiedet (tatsächlich gelingt ihr der Abschied am Glaubhaftesten). Der Verdacht liegt nahe: Die beiden hat nicht das Leben, sondern das Casting zusammengeführt, und Sophie von Kessel bleibt vielleicht ein blau schillernder Einjahres-Schmetterling, ganz ähnlich ihrer Vorgängerin Marie Bäumer. Gut denkbar, dass sie in einer anderen, heutigeren Inszenierung die richtige Wahl wäre – in dieser wird sie häufig einfach stehen gelassen.
Sven-Eric Bechtolf ist in diesen zwei pausenlosen Stunden, in denen der Schatten langsam über die Domfassade wandert, das genaue Gegenteil seiner Kollegin. Er, seit dem Vorjahr als Teufel und Guter Gesell im Amt, scheint sich in der Inszenierung sauwohl zu fühlen und hat einen teuflischen Spaß. Mit sardonischem Gelächter, Hinkefuß, Bockshörnern und langen Fingern beherrscht er die weite Bühne souverän und wurde bei der Premiere auch mit den meisten Bravos bedankt.
Auch Peter Simonischek wurde heftig akklamiert (jedenfalls heftiger als seine Buhlschaft). Und doch zeigt er deutliche Abnutzungserscheinungen, gelingt ihm der vitale Lebemann Jedermann wesentlich weniger glaubwürdig als der ängstliche Zweifler und schlotternde Büßer. Seine Verführungskraft ist geschwunden, und sogar sein Mammon (Gabriel Raab) wirkt nur noch wie ein müdes Überbleibsel des letzten Life Balls. Doch der Tanz geht zu Ende und Jedermann, der zum Mauerblümchen zu werden droht, klammert sich an das Kreuz und an die Guten Werke (souverän und zu Herzen gehend: Elisabeth Rath). “Hier wird kein zweites Mal gelebt”, schreit Jedermann seine Verzweiflung hinaus, und das sollten die Verantwortlichen nach der 2008er-Saison wohl bedenken. Auch eine Cash-Cow kann trotz ständig wechselnden weiblichen Attraktionen und hübschen Pyrotechnik-Effekten auf Dauer nicht unhinterfragt am Bühnenleben erhalten werden, ohne ihre künstlerische Berechtigung inmitten eines Top-Festivals zu verlieren.
Ansonsten gibt es – mit Ausnahme des unauffälligen Friedrich Mücke als Schuldknecht – im Wesentlichen die alte Besetzung des Vorjahres (mit einem dämonisch-stoischen Clemens Schick als Tod, Peter Fitz als Gott und armer Nachbar, Elisabeth Trissenaar als Jedermanns Mutter, Heinz Zuber als dicker und Thomas Limpinsel als dünner Vetter) und wenig Neues. Doch, eines: Das ständige Piepsen und Klicken von Handy- und Digi-Kameras im Zuschauerraum ist noch um einiges enervierender als früher. Es geht zu wie bei der Fotoprobe. Es wäre eine Labsal, wenn die Festspiele Mittel und Wege finden würden, diesen störenden Unfug abzustellen.