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Aliyev-Prozess: Überschaubares Interesse beim Verhandlungsauftakt in Wien

Großes Polizeiaufgebot beim Aliyev-Prozess in Wien
Großes Polizeiaufgebot beim Aliyev-Prozess in Wien ©APA
Auftakt für den Aliyev-Prozess: Im Wiener Straflandesgericht hat am Dienstag mit einigen Minuten Verspätung der Prozess um die Entführung und Ermordung der kasachischen Banker Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov begonnen.
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Der Große Schwurgerichtssaal war beim Verhandlungsauftakt gut besucht, aber bei weitem nicht bis auf den letzten Platz gefüllt.

Aliyev war Hauptangeklagter

Nach dem Ableben des Hauptangeklagten Rakhat Aliyev, der am 24. Februar erhängt in seiner Zelle im Wiener Straflandesgericht aufgefunden wurde, müssen sich Alnur Mussayev (61), der Chef des ehemaligen kasachischen Geheimdiensts KNB, und Vadim Koshlyak (42), zuletzt Sicherheitsbeauftragter und persönlicher Assistent Aliyevs, in den kommenden Monaten wegen Doppelmordes vor einem Schwurgericht (Vorsitz: Andreas Böhm) verantworten.

Medieninteresse überschaubar

Aufgrund des erwarteten Medieninteresses – es wurden neben heimischen Medienvertretern Journalisten aus Kasachstan, Russland und Deutschland erwartet – war der Große Schwurgerichtssaal bereits um 8.20 Uhr und damit 40 Minuten vor Verhandlungsbeginn geöffnet worden. Neben Pressevertretern und den ehemaligen Anwälten von Aliyev, die im Publikum Platz nahmen, kamen allerdings kaum “Kiebitze” ins Graue Haus.

16 Geschworene – acht Haupt- und acht Ersatzgeschworene, die am Ende des Verfahrens über Schuld oder Schuldlosigkeit der Angeklagten entscheiden müssen – hatte der vorsitzende Richter geladen. Eine Geschworene fiel allerdings aus – laut einer fachärztlichen Bestätigung soll die Frau zuletzt an Depressionen und einem Burn-out-Syndrom gelitten haben und auf ihre Bestellung zur Geschworenen hin einen Hörsturz und Schlafstörungen erlitten haben. Dem ärztlichen Attest zufolge ist sie infolge ihrer psychischen Probleme nicht in der Lage, als Laienrichterin zu fungieren.

“Nicht alltägliches Verfahren”

Mit dem Anklagevortrag begann zunächst nicht Staatsanwältin Bettina Wallner, die nach umfangreichen Ermittlungen die Anklage verfasst hatte, sondern ihr Kollege Markus Berghammer. Das Verfahren sei “ganz sicher nicht alltäglich” und “von Beginn an von massiven Medienberichten” begleitet worden, referierte Berghammer. Man werde “von der Informationsflut fast erschlagen”, weshalb der Staatsanwalt die Geschworenen aufforderte, den “Blick auf das Wesentliche” nicht zu verlieren.

Die Verhandlung fand unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen statt. Vor dem Verhandlungssaal waren mobile Sicherheitsschleusen installiert worden, die jeder Besucher vor dem Eintritt in den Großen Schwurgerichtssaal passieren musste. Die Anklagebank selbst wurde von einem Großaufgebot der Justizwache abgeschirmt.

Ermittlungen für Aliyev-Prozess

Wie Berghammer betonte, habe die österreichische Justiz in dieser Sache völlig eigenständig ermittelt und nicht die Ergebnisse der kasachischen Behörden übernommen. Die kasachische Justiz hatte im Jänner 2008 Aliyev, Mussayev und Koshlyak in Abwesenheit im Fall um die Ermordung der beiden Nurbank-Manager zu 20, 15 und 18 Jahren Haft verurteilt. Österreich habe unabhängig davon die Mordvorwürfe untersucht, über 100 Zeugen vernommen, zahlreiche Sachverständige bestellt und Beweismittel geprüft.

Österreich habe auch nicht allfälligen Wünschen Kasachstans entsprochen, betonte Berghammer. Im Gegenteil, man habe zwei Mal die Auslieferung Aliyevs abgelehnt, “weil wir vermuten, dass das Verfahren dort nicht fair ist”. Das Einzige, woran sich die österreichische Justiz orientiert habe, “waren die österreichischen Gesetze”, bemerkte Berghammer abschließend.

“Ein klassisches Mordmotiv, nämlich Geld”

Nach den einleitenden grundsätzlichen Bemerkungen von Staatsanwalt Markus Berghammer übernahm die Anklage-Verfasserin Bettina Wallner das Wort. Ausführlich legte sie den Geschworenen die konkreten Vorwürfe gegen den verstorbenen ehemaligen kasachischen Botschafter in Wien, Rakhat Aliyev, sowie Alnur Mussayev und Vadim Koshlyak dar. Ihren Vortrag illustrierte sie mit einer Powerpoint-Präsentation.

Wallner begann ihr Plädoyer mit dem Hinweis darauf, dass “ein klassisches Mordmotiv, nämlich Geld” vorliege. Die Anklage höre sich “streckenweise wie ein Hollywood-Film an. Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass diese Dinge passiert sind”, erklärte die Staatsanwältin.

Aliyev war Bank-Eigentümer

Rakhat Aliyev – im anklagegegenständlichen Zeitraum Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew – war, wie Wallner darlegte, Mehrheitseigentümer der Nurbank. Abilmazhen Gilimov, Vorstandsvorsitzender der Nurbank, hielt für Aliyev treuhändisch 23.300 Aktien an der Bank. Gilimov und Zholdas Timraliyev, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Nurbank, sollen jedoch hinter dem Rücken Aliyevs Kredite vergeben, dafür Provisionen eingestreift und der Bank einen erheblichen vermögensrechtlichen Schaden zugefügt haben. Die beiden sollen sich außerdem dadurch ein eigenes Imperium aufgebaut haben.

“Aliyev fühlte sich vom Vorstand betrogen und beschloss, sie gemeinsam mit den hier sitzenden Angeklagten zur Rede zu stellen und eine Rückzahlung und Wiedergutmachung zu verlangen”, stellte die Staatsanwältin fest. Aliyev habe Gilimov und Timraliyev am 18. Jänner 2007 in einen Sauna-Komplex in Almaty bringen lassen, dort verhört, eingeschüchtert und zum Unterfertigen eines Geständnisses genötigt. Laut Anklage führte das Bedrohungsszenario dazu, dass die Banker Nurbank-Anteile an Aliyevs damalige Ehefrau übertrugen und das Bürogebäude “Ken Dala” um 26 Millionen Euro und damit weit unter Wert verkauft wurde. Der Büro-Komplex soll einen Verkehrswert von 87 Millionen Euro gehabt haben.

Freilassung der Banker

Wie Staatsanwältin Wallner erläuterte, wurden die Banker nur deshalb am 19. Jänner 2007 freigelassen, weil es Gilimov gelungen war, mit seiner Ehefrau telefonischen Kontakt aufzunehmen. Keine zwei Wochen später – am 31. Jänner – soll sich Aliyev neuerlich Timraliyevs und des Leiters der Verwaltungs- und Wirtschaftsabteilung der Nurbank, Aybar Khasenov, bemächtigt haben, um die Bank-Manager zu verhören. Die beiden sollen im Auftrag Aliyevs misshandelt und gefoltert worden sein – laut Anklage wurden Timraliyev die Haare geschoren und er auf eine Art und Weise malträtiert, die einer Vergewaltigung gleichkam. Bis zum 9. Februar sollen Timraliyev und Khasenov auf dem Gelände der Residenz von Aliyev gefangen gehalten worden sein, wobei ihm sein persönlicher Assistent, Vadim Koshlyak, eine große Unterstützung war, wie die Anklägerin sagte: “Koshlyak war stets bereit, wenn es erforderlich sein sollte, seinem Chef zu helfen.”

Der Anklageschrift zufolge sollen Timraliyev und Khasenov am 9. Februar umgebracht worden sein, nachdem ihnen Aliyev zunächst ein ihre Beweglichkeit stark herabsetzendes Neuroleptikum und zusätzlich stark sedierende Substanzen injiziert hatte. Aliyev und Koshlyak sollen Alnur Mussayev beigezogen haben, den die Staatsanwältin als “Freund und Mentor” Aliyevs bezeichnete, “ohne den Doktor Aliyev keine wesentlichen Entscheidungen getroffen hat”.

Tatplan gemeinsam geschmiedet

“Zu dritt schmiedeten sie den Tatplan”, betonte Wallner. Man habe die Banker auf ein Gelände geschafft, an dem Unternehmen Aliyevs ihren Sitz hatten. Man habe ihnen Plastiksäcke über die Köpfe gestülpt und sie anschließend mit einer Schnur erdrosselt.

Die sterblichen Überreste der verschwundenen Banker wurden erst am 12. Mai 2011 auf einer Mülldeponie in der Nähe der Remisovka-Schlucht bei Almaty in mehreren Metern Tiefe in mit gelöschtem Kalk gefüllten Metallfässern gefunden. “Sie konnten identifiziert werden, weil der gelöschte Kalk nur die Hautoberfläche angriff”, bemerkte die Anklagevertreterin. Am Ende ihres Plädoyers wurde Wallner emotional. Sie forderte die Geschworenen “im Namen der Familien der Opfer, die Gerechtigkeit verdient haben, aber auch im Interesse der Angeklagten” auf, dem Fortgang des Verfahrens aufmerksam zu folgen.

(apa/red)

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