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Aggressionspotenzial steigt: 180 Personen in Wien in Schubhaft

Die klassische Zelle für Schubhäftlinge im PAZ am Hernalser Gürtel.
Die klassische Zelle für Schubhäftlinge im PAZ am Hernalser Gürtel. ©APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Schubhaft bedeutet für die Polizisten, die dort eingesetzt sind, den schwierigen Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen. "

Es sind Menschen, die gegen ihren Willen angehalten sind”, sagte Josef Zinsberger, Leiter der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der Wiener Polizei, am Donnerstag im APA-Gespräch. Mit Stand Freitag befanden sich 180 Personen in Wien in Schubhaft.

Mehrere Brände durch Schubhäftlinge

Zinsberger sagte, dass ein Ereignis wie am vergangenen Freitag, als alle sechs Insassen einer Schubhaftzelle im offenen Vollzug einen Brand gelegt hatten, außergewöhnlich gewesen sei. “Im vorigen Jahr hatten wir einen Schubhäftling, der seine Einzelzelle angezündet hat”, schilderte der Brigadier. Dieser habe dann selbst Hilfe geholt. Im Schnitt komme es alle zwei Jahre vor, dass es in den drei Wiener Polizeianhaltezentren (PAZ) ein von Häftlingen verursachtes Brandereignis gibt – aber nie in dem Ausmaß wie zuletzt im PAZ am Hernalser Gürtel.

Wien verfügt derzeit über drei PAZ: Jenes auf der Rossauer Lände dient vor allem zum Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen bei Verwaltungsdelikten, wenn die Verurteilten die Geldstrafen nicht begleichen können oder wollen. Außerdem gibt es eine Frauenabteilung. In Simmering in der Zinnergasse befindet sich eine Spezialanstalt für Familien, die abgeschoben werden sollen. “Das ist eine Unterbringung auf Wohngruppenbasis”, erläuterte Zinsberger. Für längstens drei Tage werden Familien in etwa 55 Quadratmeter großen Appartement-ähnlichen Wohneinheiten mit Küche, Bad, Toilette und zwei Wohnräumen untergebracht.

PAZ am Hernalser Gürtel “klassische” Schubhaftanstalt

Die “klassische” Schubhaftanstalt ist das PAZ am Hernalser Gürtel. Im Erdgeschoss und im ersten Stock gibt es von 8.00 bis 17.00 Uhr den offenen Vollzug. Die Häftlinge dürfen sich im Stockwerk frei bewegen, die Zellentüren sind in der Zeit offen. In den darüber liegenden Stockwerken gibt es den geschlossenen Vollzug für besonders aggressive oder psychisch sehr mitgenommene Schubhäftlinge sowie für Personen mit ansteckenden Krankheiten. “Wir müssen darauf schauen, dass die Sicherheit des schwächsten Häftlings im offenen Vollzug gewährleistet ist”, sagte der Brigadier. 2003 wurde das PAZ am Hernalser Gürtel generalsaniert. “Aber es ist als klassisches Gefängnis gebaut und daher auch relativ schwer veränderbar”, räumte Zinsberger ein.

Offener Vollzug bedeutet auch, dass geraucht werden darf. “Es gibt Raucher- und Nichtraucherzellen. Die meisten Schubhäftlinge sind Raucher. 90 Prozent sind Raucherzellen”, sagte der Brigadier. Rauchmelder gibt es nicht zuletzt deshalb in den Zellen und auch auf den Gängen nicht, sie würden ständig Fehlalarme produzieren.

Sehr wohl habe man aber im Rahmen der Möglichkeiten für Brandschutz gesorgt. “Die Matratzen sind schwer entflammbar. Nur irgendwann brennen auch die.” Die Idee ist aber, dass ein Feuer, wenn es ausbricht, wenigstens lokal begrenzt bleibt. Alle Zellen sind deshalb mit Brandschutztüren versehen. Die Stockwerke sind wiederum in Brandabschnitte geteilt. “Im Zuge der Generalsanierung haben wir das Haus brandschutzmäßig auf den letzten Stand gebracht.”

Insassen flüchteten ins WC

Zinsberger relativierte auch eine Meldung, die im Zuge der Berichterstattung über den jüngsten Brand im PAZ aufgetaucht war. Es hieß, die Häftlinge hätten die Matratzen und das Bettzeug in Brand gesteckt und sich dann ins an die Zelle angeschlossene Bad zurückgezogen. Dabei handelt es sich in Wahrheit um ein WC mit einer Fläche von etwa 1,5 Quadratmetern, auf dem sich die sechs Zelleninsassen zusammendrängen wollten. Weil dies natürlich nicht funktionierte und der Rauch in die Toilette eindrang, eilte einer hinaus und drückte den Alarmknopf.

Für solche Ereignisse gibt es in jeder Schicht speziell ausgebildete Beamte, die ein Feuer schnell mit einer Pressflaschen bekämpfen können, bis die Feuerwehr übernimmt. Auch am vergangenen Freitag wurde der erste Zelleninsasse von den Polizisten geborgen.

Der Brigadier sagte, dass sich bei der Personalzusammensetzung der Polizisten im PAZ einiges geändert habe: “In den 90er-Jahren war es eher so: Du kommst ins Polizeigefangenenhaus (wie das PAZ früher hieß, Anm,), wenn du, salopp gesagt, etwas ausgefressen hast”, schilderte Zinsberger. Jetzt gebe es eine Personalentwicklungsmaßnahme, derzufolge Polizisten am Beginn ihrer Dienstzeit ein halbes Jahr entweder in der Bereitschaftseinheit oder im PAZ arbeiten müssen. Dazu kommen Freiwillige, die 20 bis 25 Jahren in den Bezirken Dienst versahen und sich nun verändern wollen. In den vergangenen drei Jahren seien auch einige junge Chargen gekommen.

Hohes Aggressionspotenzial

Zinsberger räumte ein, dass das Aggressionspotenzial unter den Häftlingen in den vergangenen Jahren gestiegen sei. Die Zahl der Schubhäftlinge sei leicht angestiegen. Das Aggressionspotenzial habe ebenfalls zugenommen, was nicht zuletzt die höhere Zahl der kriegstraumatisierten Flüchtlinge mit sich gebracht habe.

“Es liegt an den Mitarbeitern, wie hellhörig sie sind. Ein guter Aufsichtsbeamter ist hellhörig. Er sieht, hört, nimmt Entwicklungen wahr”, sagte Zinsberger. So kann man mit einer umsichtigen Zellenbesetzung einiges abfangen. Und die psychologische Betreuung spiele eine große Rolle: “Ich denke, das fängt viel ab”, betonte der Brigadier. Verantwortlich ist dafür der Verein Dialog, der eigentlich aus der Suchthilfe und -prävention kommt und seit Ende der 90er-Jahre auch in der Schubhaftbetreuung tätig ist.

(APA/red)

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