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Afghanistan: Drittgrößte Stadt Herat ging an Taliban

Herat befindet sich unter den Top 3 der größten Städte Afghanistans.
Herat befindet sich unter den Top 3 der größten Städte Afghanistans. ©SAJJAD HUSSAIN / AFP (Symbolbild)
Die radikalislamischen Taliban kommen im Zuge ihres Eroberungszugs durch Afghanistan voran. Die Stadt Herat ging laut Informationen aus Sicherheitskreisen der Regierung am Donnerstag an die Extremisten.
Disput um Abschiebungen

Zuvor hatten die Taliban die Provinzhauptstadt Ghazni erobert. Angesichts der Sicherheitslage setzten indes auch Frankreich und Dänemark Abschiebungen in das Krisenland aus. In Österreich gibt es Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern in der Frage.

Mehrere Städte in Afghanistan gingen an Taliban

Herat ist die elfte Provinzhauptstadt, die innerhalb einer Woche von den Taliban erobert wurde. Sicherheitskreise in Herat erklärten: "Wir mussten die Stadt verlassen, um weitere Zerstörung zu verhindern" und bestätigten damit entsprechende Angaben der Islamisten. Der Vorsitzende des Provinzrates von Ghazni, Nassir Ahmed Fakiri, seinerseits betonte: "Die Taliban haben die Kontrolle über die wichtigsten Bereiche der Stadt erlangt." Die strategisch wichtige Stadt Ghazni liegt an einer zentralen Verbindungsstraße zwischen Kabul und Kandahar. Auch die zweitgrößte Stadt Kandahar sowie Lashkar Gah sind schwer umkämpft.

Die Taliban kontrollieren inzwischen etwa zwei Drittel von Afghanistan. Von US-Geheimdiensten wird nicht ausgeschlossen, dass sie Kabul binnen 30 Tagen isolieren und binnen 90 Tagen übernehmen könnten. In den vergangenen Tagen hatten die Taliban unter anderem Kunduz und Faizabad eingenommen und belagern nun Mazar-i-Sharif. Bei einer Einnahme von Mazar-i-Sharif würde die Regierung in Kabul die Kontrolle über den Norden des Landes endgültig verlieren.

Mehrere Staaten mit Änderung bei Abschiebungen nach Afghanistan

Nach Deutschland und den Niederlanden setzten am Donnerstag auch Frankreich und Dänemark Abschiebungen nach Afghanistan offiziell aus. Bereits seit Anfang Juli habe es keine Rückführungen mehr in den Krisenstaat gegeben, teilte das Innenministerium in Paris mit. Frankreich beobachte die Situation gemeinsam mit seinen europäischen Partnern genau. Das dänische Migrationsministerium erklärte, der Bitte Afghanistans nachzukommen und die Abschiebung von Asylwerbern bis 8. Oktober auszusetzen.

Dänemark hatte noch unlängst gemeinsam mit Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Griechenland die EU in einem Brief zu einer Fortsetzung der Abschiebungen nach Afghanistan gedrängt - trotz des Vormarsches der radikalislamischen Taliban.

BMI möchte Abschiebungen nach Afghanistan beibehalten

In Österreich will indes das ÖVP-geführte Innenministerium in Wien weiter an Rückführungen festhalten. Die Grünen stellen sich dagegen. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler erklärte laut Aussendung gegenüber oe24.TV, dass Abschiebungen "faktisch nicht möglich" seien "weil es für die Flieger gar keine Landeerlaubnis in Afghanistan gibt". Kogler: "Wie es in Afghanistan zugeht, ist richtig schlimm. Das hat auch Konsequenzen. Auch wenn die eine oder andere Stimme aus dem Innenministerium anderes sagt: Abschiebungen gibt es derzeit nicht nach Afghanistan." Rechtlich würden Einzelfallprüfungen dazu führen, dass dies "nicht mehr in Frage kommt". Abschiebeflüge seien auch in den nächsten Wochen "so gut wie unvorstellbar".

Abschiebungen laut Politikern "unmöglich"

Für die Fortführung von Rückführungsflügen setzte sich gegenüber Ö1 der FPÖ-Abgeordnete Hannes Amesbauer ein. Für den SPÖ-Parlamentarier Reinhold Einwallner sowie NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter hingegen sind Abschiebungen derzeit "unmöglich".

Immer mehr Länder rufen angesichts des rasanten Eroberungszugs der Taliban auch ihre eigenen Staatsbürger auf, Afghanistan zu verlassen. Die USA und Deutschland forderten ihre Bürger am Donnerstag dringend zur zügigen Ausreise auf. Das österreichische Außenamt hat bereits vor einiger Zeit eine Reisewarnung für ganz Afghanistan ausgesprochen und rät laut Website den im Land lebenden "Auslandsösterreichern und Österreichern, die sich aus anderen Gründen in Afghanistan aufhalten", "dringend" das Land zu verlassen.

USA möchten weniger Botschaftspersonal

Die USA wollen auch ihr Botschaftspersonal in den kommenden Wochen deutlich reduzieren. "Wir gehen davon aus, dass wir unsere diplomatische Präsenz in Afghanistan in den kommenden Wochen auf ein Minimum reduzieren werden", sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price, am Donnerstag. Die Botschaft in Kabul bleibe aber an ihrem derzeitigen Standort geöffnet. Um den geordneten Abzug von Teilen des Botschaftspersonals zu unterstützen, verlegen die USA zusätzliche Soldaten an den Flughafen Kabul.

Seit dem Beginn des US- und NATO-Truppenabzugs der USA Anfang Mai haben die Taliban massive Gebietsgewinne verzeichnet. Die Islamisten hatten von 1996 bis zur US-geführten Intervention 2001 weite Teile Afghanistans unter ihrer Kontrolle. Inzwischen ist der Abzug zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. US-Präsident Joe Biden verteidigte am Dienstag den Abzug des US-Militärs. Die Afghanen müssten nun "selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen", sagte er unter anderem im Weißen Haus in Washington.

Keine Bewegung bei Friedensprozess

Angesichts dieser Entwicklung boten Unterhändler der Regierung den Vertretern der Taliban am Donnerstag bei Verhandlungen in Doha an, die Macht zu teilen und dafür die Kämpfe zu beenden, wie es aus afghanischen Regierungskreisen hieß. Der Friedensprozess, der im September in der Hauptstadt Katars angestoßen worden war, geht jedoch bereits seit Monaten nicht mehr voran.

Hunderttausende sind in Afghanistan bereits vor den Kämpfen geflohen. In Kabul ist in den vergangenen Tagen eine große Zahl an Vertriebenen eingetroffen, die nun zum Teil in Parks und auf öffentlichen Plätzen campieren. Der deutsche Staatssekretär Niels Annen erwartet Auswirkungen auch für die Migration nach Deutschland. "Es ist naiv zu glauben, dass der Vormarsch der Taliban und die Gewalt in der Kriegsregion keine migrationspolitischen Folgen hat", sagte Annen der Funke Mediengruppe. "Entscheidend ist nun, dass Deutschland und Europa dabei helfen, die fliehenden Menschen vor Ort in der Region, etwa in Tadschikistan, Iran oder Pakistan, aber auch in Afghanistan selbst zu versorgen. Dafür muss schnell Geld bereitstehen."

(APA/Red)

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