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Ägypten: Putsch, Staatsstreich oder Regierungsumsturz?

Präsident Mursi von ägyptischem Militärgestürzt.
Präsident Mursi von ägyptischem Militärgestürzt. ©AP
In Ägypten hat das Militär Präsident Mohammed Mursi abgesetzt. Eine zivile Übergangsregierung wird bis zu Neuwahlen installiert. Aber: was ist das - ein Staatsstreich, ein Putsch oder ein Umsturz?

Und: Ist die islamistische Regierung Ägypten nun durch einen Putsch gestürzt worden, wie der gestürzte Präsident Mohammed Mursi am Mittwochabend erklärte?

Putsch oder nicht – davon hängen Milliarden ab

Für Ägypten geht es dabei mehr als um bloße Wortklauberei. Schließlich hängt für das Land am Nil der Zufluss einer nicht unwesentlichen finanziellen Unterstützung ab: Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP bekommt Ägypten jährlich 1,5 Milliarden Dollar an Auslandshilfe von Washington. Nun will US-Präsident Barack Obama prüfen lassen, ob die Grundlage für diese Auslandshilfe weiterhin gegeben ist – das Wort “Putsch” verwendete er in der in diesem Zusammenhang veröffentlichten Erklärung jedoch nicht.
Warum? Das erläuterte  Patrick Leahy vom Ausschuss für Auslandshilfe: “US-Hilfe wird beendet, wenn eine demokratisch gewählte Regierung durch einen Militärputsch oder durch einen Erlass abgesetzt wird”, zititert die AP den US-Senator.

In einer ersten Reaktion sprach der entmachtete Präsident über den Kurznachrichtendienst Twitter von einem “Staatsstreich”, dem sich alle freien Menschen in Ägypten widersetzen müssten. Später war von einem “Putsch” die Rede, seine Anhänger rief Mursi auf, gegen diesen ohne Blutvergießen aufzubegehren.

Der Staatsstreich:

Der Begriff leitet sich ab von dem seit etwa 300 Jahren gebräuchlichen französischen Wort Coup d’État. Bei diesem illegalen, verfassungswidrigen Akt wird ein Verfassungsorgan oft von einer Gruppe gestürzt, die bereits mit an der Machtausübung beteiligt war. So könnte etwa ein Parlament den Regierungschef aus dem Amt drängen oder ein Präsident das gewählte Parlament unter Androhung von Gewalt auflösen.

Bei diesem Regimewechsel als “Revolution von oben” werden meist nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert, sondern es wird lediglich das politische Spitzenpersonal ausgetauscht. Ein Staatsstreich wird von seinen Akteuren mit übergeordneten Werten begründet. Das galt für die Machtübernahme Napoleon Bonapartes 1799 und von Russlands Präsident Boris Jelzin, der 1993 bis zu Neuwahlen Parlamentssitzungen verbot.

Der Putsch:

Er ist nach gängiger Definition der meist gewaltsame Umsturz einer Regierung durch eine bisher nicht an der Macht beteiligte Gruppe. Das Wort stammt aus dem Schweizerdeutschen und bedeutet Stoß, Zusammenstoß. Erstmals wurde der Begriff mit der jetzt bekannten Bedeutung 1839 für einen Aufstand gegen die Regierung von Zürich verwendet.

Putschisten waren zuvor nicht an der Macht beteiligt – also keine Minister, Parlamentarier oder Verfassungsrichter. Oft putschten das ganze Militär oder Gruppen von Offizieren gegen eine zivile Regierung.

In einigen Fällen wurde nach dem Putsch eine mehrjährige Militärdiktatur errichtet – zum Beispiel in Griechenland nach 1967 oder Chile nach 1973. Nach anderen Putschen übergaben die Militärs die Macht wieder an eine zivile Regierung, behielten sich aber weiterhin politischen Einfluss vor, so nach Militärputschen in der Türkei und in Thailand.

Der Umsturz:

Seine Definition ist weiter gefasst und nicht immer trennscharf. Im Allgemeinen bezeichnet er den Vorgang, dass eine legitime Regierung gestürzt wird. Dazu kann Gewalt gehören, muss aber nicht. Am Ende eines Umsturzes steht oft eine andere, neue politische Ordnung. Begleitet wird ein Umsturz oft von Massenbewegungen, die je nach Ausrichtung auch als revolutionär bezeichnet werden.

In anderen Definitionen gilt Staatsstreich als der übergeordnete Sammelbegriff. Staatsstreich und Putsch werden zum Teil ebenso synonym verwendet wie Umsturz und Revolution.

Ägypten und der Sturz des “Pharao”

Die Armee, seit 60 Jahren einer der Hauptakteure auf der politischen Bühne Ägyptens, stürzte den ersten gewählten Präsidenten des Landes und seine Regierung, nachdem sie beiden Seiten ein 48-Stunden-Ultimatum zur Beilegung der Differenzen und zur Umsetzung der Forderungen des Volkes gestellt hatte. Die Militärführung handelte nach tagelangen, teils blutigen Massenprotesten. Millionen waren auf die Straße gegangen und hatten gefordert, dem “System Mursi” endgültig ein Ende zu setzen. Die Streitkräfte sahen ihr Vorgehen damit durch den Appell Zehntausender legitimiert, es handle sich um “eine Interaktion mit dem Puls der ägyptischen Straße”, so die Armee selbst.
Nach der Entmachtung Mursis schließlich wurde kein General als Machthaber eingesetzt, sondern eine zivile Übergangsregierung, die bis zu den angekündigten Neuwahlen die Geschicke des Landes leiten wird. Bereits am Donnerstag wurde der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansour, in Kairo als Übergangspräsident vereidigt.

Vor diesen Hintergründen ist nicht von einem Putsch, sondern vielmehr von einem Sturz Präsident Mursis’ durch das Militär zu sprechen.

(red./ dpa/ AP)

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