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Ägypten: Tödliche Krawalle nach Mursis Entmachtung

Demonstranten und Soldaten jubelten auf dem Tahrir-Platz.
Demonstranten und Soldaten jubelten auf dem Tahrir-Platz. ©EPA
Bei nächtlichen Krawallen sind in Ägypten nach Angaben staatlicher Medien mindestens ein Dutzend Menschen getötet worden. Indes hat die Armee die Festnahme des von ihr abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi bestätigt, Übergangspräsident Mansour wurde am Mittwoch Vormittag vereidigt.
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Chronik: Ein Jahr unter Mursi

Nach dem Sturz von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi durch das Militär ist der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansour, am Donnerstag in Kairo als Übergangspräsident vereidigt worden. Dies berichtete die staatliche Nachrichtenagentur MENA. Mansour legte den Eid vor den Richtern des Verfassungsgerichts ab, hieß es. Die Militärführung hatte am Mittwoch nach tagelangen teils blutigen Massenprotesten den vor einem Jahr gewählten Mursi, einen Islamisten, abgesetzt.

Übergangspräsident Adly Mansour bei der Vereidigung. Bild: AP
Übergangspräsident Adly Mansour bei der Vereidigung. Bild: AP ©Übergangspräsident Adly Mansour bei der Vereidigung. Bild: AP

Tote bei Krawallen nach Absetzung

Nach Medienberichten kamen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi und dessen Gegnern mindestens sechs Menschen in der nördlichen Stadt Marsa Matruh ums Leben. In dem Küstenort sind die Islamisten sehr stark. Drei Tote habe es ferner in Alexandria sowie im oberägyptischen Minja gegeben. Auch in Fajum südlich von Kairo sei es zu tödlicher Gewalt gekommen. Die Krawalle waren ausgebrochen, nachdem das Militär den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens abgesetzt hatte.

Mursi von Getreuen getrennt

Ein ranghoher Vertreter der Mursi nahestehenden islamistischen Muslimbruderschaft hatte erläutert, Mursi und seine engsten Mitarbeiter seien von der Armee unter Hausarrest gestellt worden. Mursi sei später von seinen Getreuen getrennt und ins Verteidigungsministerium in Kairo gebracht worden, sagte Gehad al-Haddad, ein ranghohes Mitglied der Muslimbrüder und Sohn von Mursis nationalem Sicherheitsberater Essam Al-Haddad.
Der abgesetzte Präsident werde “vorsorglich” festgehalten, sagte ein ranghoher Armeevertreter am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine Strafverfolgung Mursis geplant ist.

Sicherheitskräfte gehen gegen Muslimbrüder vor

Die Sicherheitskräfte nahmen nach eigenen Angaben zudem den Führer der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit – des politischen Arms der Muslimbrüder – Saad al-Katatni, sowie den stellvertretenden Chef der Muslimbrüder, Rashad Bajumi, fest. Laut der staatlichen Zeitung “Al-Ahram” wird nach 300 Mitgliedern und Führern der Muslimbruderschaft gefahndet. Westliche Politiker forderten eine rasche Rückkehr Ägyptens zur Demokratie.

Weltweite Besorgnis

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich besorgt über das Vorgehen der Armee. Militärisches Eingreifen in die Angelegenheiten eines Staates sei immer bedenklich, erklärte er nach Angaben eines Sprechers. Er forderte eine rasche Wiedereinsetzung einer “zivilen Herrschaft in Übereinstimmung mit den demokratischen Prinzipien”.

US-Präsident Barack Obama äußerte sich ebenfalls “zutiefst besorgt”. Er lasse prüfen, welche rechtlichen Konsequenzen die Entwicklung auf die laufenden amerikanischen Hilfen an den ägyptischen Staat hätten, teilte das Weiße Haus mit.

Großbritannien “unterstützt kein militärisches Eingreifen als Weg, Konflikte in einem demokratischen System zu lösen”, erklärte der britische Außenminister William Hague.

König Abdullah von Saudi-Arabien gratulierte dagegen der neuen Führung in Kairo zur Machtübernahme. Zugleich lobte er die “Weisheit und Vermittlung” des ägyptischen Militärs, das das Land “im entscheidenden Moment gerettet” habe.

Auch der syrische Präsident Baschar Assad, der seit zwei Jahren mit einem Bürgerkrieg im eigenen Land zu kämpfen hat, meldete sich zu Wort: In einem Interview bezeichnete er den Sturz von Mursi als Ende des “politischen Islams”. Assad sagte in einem Interview mit der syrischen Zeitung “Al Thaura”, die Ägypter hätten die “Lügen” der Muslimbruderschaft aufgedeckt.

Mursis Sturz ist laut Syriens Präsident Assad
Mursis Sturz ist laut Syriens Präsident Assad "das Ende des politischen Islams". Bild: EPA ©Mursis Sturz ist laut Syriens Präsident Assad “das Ende des politischen Islams”. Bild: EPA

Mursi nach einem Jahr im Amt gestürzt

Die Armeeführung hatte Mursi am Mittwochabend entmachtet und Verfassungsgerichtspräsident Adli Mansur übergangsweise mit der Staatsführung betraut. Vorausgegangen waren tagelange Massenproteste gegen den islamistischen Präsidenten, dem seine Gegner vorwerfen, die Revolution von 2011 verraten zu haben. Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten waren seit Ende Juni fast 50 Menschen getötet worden.

Verfassung außer Kraft gesetzt

Bis zu Neuwahlen soll der bisherige Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, die Geschicke des Landes lenken. Medienberichten zufolge soll er am heutigen Donnerstag den Amtseid ablegen. Die US-Regierung zeigte sich besorgt über die Entwicklung.

Armeechef Abdel Fatah al-Sissi kündigte die Bildung einer Regierung aus Fachleuten an. Die islamistisch geprägte Verfassung soll außer Kraft gesetzt und überarbeitet werden. Zudem soll es rasch Neuwahlen zum Präsidentenamt geben. Ein Zeitplan wurde nicht genannt. Der Oppositionspolitiker Amr Mussa (Moussa) betonte, die Konsultationen zur Regierungsbildung hätten bereits begonnen. Mansur soll bereits am Donnerstag vereidigt werden.

Mursi spricht von “Staatsstreich”

Mursi sprach von einem “Putsch”. “Die Ankündigung der Streitkräfte wird von allen freien Menschen zurückgewiesen, die für ein ziviles, demokratisches Ägypten gekämpft haben”, teilte er über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Er rief die Ägypter auf, friedlich zu bleiben und Blutvergießen zu vermeiden.

Unter Hausarrest gestellt

Mursi selbst wurde nach Angaben eines Vertrauten in der Nacht von seinen engsten Mitarbeitern getrennt und ins Verteidigungsministerium gebracht. Zuvor hatte er in einer Videoansprache betont, er sei weiterhin “der gewählte Präsident Ägyptens” und das Volk müsse seine “Legitimität verteidigen”. Die Sicherheitskräfte schalteten einen TV-Sender der Islamisten ab und nahmen Mitarbeiter eines weiteren Senders fest, der Mursis Ansprache ausgestrahlt hatte.

Zehntausende feiern die ganze Nacht

In der Nacht zum Donnerstag feierten Zehntausende auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo den Sturz Mursis nach nur einem Jahr im Amt. Feuerwerk wurde gezündet, es herrschte Jubelstimmung, hupende Autokorsos kreuzten durch die Stadt.
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EPA ©EPA

Eine Demonstration von Mursi-Anhängern in einem Kairoer Vorort wurde von Sicherheitskräfte abgeschirmt. Größere Zwischenfälle wurden nicht gemeldet.

Livestream vom Tahrir-Platz in Kairo:

Muslimbruderschaft boykottiert Treffen

Vor der Absetzung Mursis war die Militärführung in einem Krisentreffen mit den Spitzen der Opposition und hohen kirchlichen Würdenträgern zusammengekommen. Mit dabei waren der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, Vertreter der Protestbewegung “Tamarud”, der Großscheich der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tajjib, und der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. Die Partei der Muslimbruderschaft – aus der Mursi stammt – nahm nicht teil.

Mursi vom Militär abgesetzt

Wie die Zeitung “Al-Ahram”, die über gute Verbindungen zum Militär verfügt, auf ihrer Webseite schrieb, wurde Mursi um 19.00 Uhr MESZ von der Armeeführung darüber informiert, dass er nicht mehr länger Präsident des Landes sei. Rund zwei Stunden später folgte die Fernsehansprache Al-Sisis:

©AP

Ultimatum abgelaufen

Das Militär hatte Mursi am Montag 48 Stunden Zeit gegeben, sich mit der Opposition zu verständigen und die Staatskrise zu beenden. Tagelang hatten massive Proteste für und gegen Mursi das Land erschüttert. Millionen Menschen hatten bei Kundgebungen in den vergangenen Tagen seinen Rücktritt gefordert. Die Islamisten wollen hingegen eine Entmachtung nicht hinnehmen. Mursi selbst hatte bis zuletzt einen Rücktritt ausgeschlossen.

Die Protestbewegung kritisierte Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf – für oder gegen den Islam. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen. (APA; dpa; red.)

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