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Symbolfoto: KI bzw. VOL.AT ©GLP-1-Präparate wie Semaglutid gelten als medizinischer Fortschritt – doch ihr Preis wirft Fragen auf. Gesundheitsökonom Armin Fidler fordert klare Kriterien für eine Kassenübernahme.

Abnehmspritze: Für wen sich das neue Medikament wirklich lohnen könnte

Immer mehr Menschen setzen auf GLP-1-Medikamente zum Abnehmen – doch die Kassen zahlen (noch) nicht. Der Gesundheitsökonom Armin Fidler erklärt, ob sich das ändern sollte – und warnt vor milliardenschweren Fehlentscheidungen.

Immer mehr Menschen greifen zu GLP-1-Medikamenten wie Semaglutid, um ihr Gewicht zu reduzieren. In Studien zeigte sich nicht nur eine deutliche Gewichtsabnahme, sondern auch eine Reduktion von Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes.

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Trotz ihrer möglichen Wirkung werden die Präparate in Österreich bislang nicht von der Krankenkasse bezahlt. Gesundheitsökonom Armin Fidler sieht darin eine potenzielle Chance – aber auch erhebliche Risiken.

Volkswirtschaftlicher Schaden in Milliardenhöhe

Dr. Armin Fidler, internationaler Experte für Gesundheitssysteme, verweist auf alarmierende Zahlen: "In Österreich liegen die direkten Kosten für Adipositas derzeit bei rund fünf Milliarden Euro jährlich." Rechnet man die indirekten Kosten – etwa durch Arbeitsausfälle – hinzu, summiert sich der volkswirtschaftliche Schaden auf rund zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Video: Experte Armin Fidler im VOL.AT-Interview

Ohne Gegenmaßnahme drohen 13 Milliarden jährlich

Prognosen der OECD zeigen: Die Zahl stark übergewichtiger Menschen könnte ohne wirksame Gegenstrategien von aktuell 17 auf 22 Prozent steigen – mit massiven Auswirkungen. "Wir reden dann ab 2035 von Folgekosten zwischen acht und 13 Milliarden Euro jährlich", so Fidler.

Besonders belastend seien Folgekrankheiten wie Typ-2-Diabetes – eine Erkrankung, die "praktisch alle Organe" beeinträchtige, wie Fidler betont. Sie gefährde nicht nur Nieren, sondern auch Herz und Gehirn. Dazu kommen Herzinfarkte, Schlaganfälle und Gefäßverschlüsse – der gesamte Komplex kardiovaskulärer Erkrankungen verursache enorme Kosten.

Orthopädische Beschwerden wie Rücken-, Hüft- oder Knieprobleme verschärfen die Belastung. Selbst medizinische Eingriffe, die nichts mit dem Übergewicht zu tun haben, würden bei Betroffenen komplizierter und teurer – das Infektionsrisiko sei erhöht, Operationen aufwendiger.

"Der Preis muss sich halbieren"

Die Abnehmspritze koste derzeit mehrere Hundert Euro im Monat – für die meisten unbezahlbar. Eine Kostenübernahme durch die Kasse sei nur vertretbar, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt seien: "Ich schätze, der Preis müsste sich halbieren. Liegt er bei rund 200 Euro im Monat, kann man ernsthaft darüber reden."

Andere Länder wie die USA, Dänemark oder das Vereinigte Königreich haben klare Kriterien eingeführt: Nur bei starkem Übergewicht und Begleiterkrankungen wird das Medikament übernommen – unter der Voraussetzung, dass ein definierter Gewichtsverlust erzielt wird. Bleibt der Erfolg aus, endet die Behandlung.

Kriterien für Kassenübernahme im Ausland

  • Sehr starkes Übergewicht (BMI über 35)
  • Zusätzliche Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden
  • Erfolgsnachweis: Mindest-Gewichtsverlust von 15–20 % in festgelegter Zeit

Ein Wundermittel ist es nicht

Fidler stellt klar: Die Spritze allein reicht nicht. Nur in Kombination mit Lebensstiländerungen wie gesünderer Ernährung und mehr Bewegung entfalte sie den gewünschten Effekt. "Wenn das ausbleibt, verpufft der Nutzen – und die Kosten bleiben."

Zudem warnt er vor einem ökonomischen Trugschluss: "Die Kosten fallen sofort an, während die Einsparungen durch weniger Folgeerkrankungen erst Jahre später sichtbar werden." Es handle sich um eine "sehr nüchterne Rechnung" – entscheidend sei, "wann der Nutzen kommt – und ob ich das Budget habe, um diese Anfangsinvestition zu stemmen."

Armin Fidler, Gesundheitsexperte. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Ein weiterer Bremsfaktor ist das sogenannte "Pharmapricing" – also die Preisbildung bei Medikamenten. In Europa werde dabei "im Hinterzimmer" zwischen Staat und Industrie verhandelt, erklärt Fidler. Entscheidend seien Volumen, Laufzeiten und Abnahmemengen. "Größere Länder mit höherem Volumen haben eine bessere Verhandlungsposition."

Dass dieselben Medikamente in der Schweiz teilweise deutlich günstiger sind, wundert Fidler nicht: "Aber es ist ungerecht." Fachleute erklären die Preisunterschiede unter anderem durch vertrauliche Verhandlungen ("managed entry agreements") sowie unterschiedliche regulatorische Systeme wie externe und interne Referenzpreisverfahren.

Milliardenersparnis – aber nur unter Bedingungen

Sollte der Preis sinken, die Zielgruppe medizinisch klar definiert und der Erfolg regelmäßig überprüft werden – dann könnte eine Kassenübernahme langfristig tatsächlich Milliarden sparen. Doch ohne begleitende Präventionsmaßnahmen und klare Regeln sieht Fidler ein ernstzunehmendes Risiko: "Dann verbrennen wir Milliarden – ohne Wirkung."

"Die Spritze allein und gleichzeitig weiter ungesund essen und sich nicht bewegen – das wird nicht funktionieren."

Public Health-Experte Armin Fidler

Damit sich eine Finanzierung durch die Krankenkasse überhaupt rechne, müsse sich der Preis laut Fidler deutlich senken: "Liegt er bei rund 200 Euro im Monat, kann man ernsthaft darüber reden." Solche Preissenkungen seien möglich – etwa durch mehr Wettbewerb zwischen Herstellern oder durch neue Darreichungsformen wie Tabletten oder Pflaster. Fidler betont: "Wenn ein Produkt neu auf den Markt kommt, ist es anfangs immer teurer."

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Zur Person: Armin Fidler

Mediziner & Gesundheitsökonom mit internationalen Stationen bei CDC, WHO, Weltbank.

  • Studium in Innsbruck, Hamburg, Harvard (MPH, MSc).
  • Ex-Weltbank-Chefberater für Gesundheitspolitik (2008–2015).
  • Lehre am MCI (Innsbruck) & internationale Netzwerke (EHMA, APHA, IHEA).
  • Mitbegründer der Initiative „Praevenire“ (seit 2016).

Schwerpunkte: Public Health, Impfprogramme, internationale Gesundheitspolitik.

(VOL.AT)

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