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Abdullah Gül ist türkische Präsidentschaft kaum mehr zu nehmen

Die Präsidentschaft ist dem türkischen Außenminister Abdullah Gül so gut wie sicher: Spätestens seit Ende Juli gilt er als Nachfolger von Ahmet Necdet Sezer im höchsten Staatsamt.

Zum einen verfügt seine AK-Partei (Gerechtigkeit und Entwicklung) seit den Wahlen vom 20. Juli über 341 Sitze im Parlament. Zum anderen haben unlängst sowohl die 70 Abgeordneten der MHP (Nationale Bewegung) als auch etwa 20 kurdische Abgeordnete ihre Anwesenheit im Parlament bei der Wahl angekündigt. Das reicht für die Kür: Im dritten Wahlgang benötigt Gül statt einer Zweidrittelmehrheit nur mehr eine absolute Mehrheit (276 von 550 Stimmen). Die bringt die AKP im Alleingang zustande.

Die erste Abstimmungsrunde für die Nachfolge des nach sieben Jahren Amtszeit seit 16. Mai nur mehr interimistisch amtierenden Sezer ist für Montag, den 20. August angesetzt. Der zweite und dritte Wahlgang sollen am 24. und 28. August über die Bühne gehen. Noch bis Sonntag können Kandidaten aufgestellt werden; nur von der MHP war zu hören, sie denke über einen eigenen Bewerber nach. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) will die Amtshandlungen von Gül zwar nach seiner Wahl boykottieren, bei der Wahl aber ebenfalls anwesend sein.

Die Kemalisten sehen in Gül eine Gefahr für die strikte Trennung von Staat und Religion. Anders als im Frühjahr würde ein Sitzungsboykott diesmal jedoch ohne Wirkung bleiben, da die CHP nur mehr über 112 Abgeordnete verfügt. Auf dem Höhepunkt des Streits um Güls Kandidatur hatte das türkische Verfassungsgericht die Anwesenheit von mindestens 367 Abgeordneten bei den ersten beiden Wahldurchgängen vorgeschrieben. Die Kemalisten verhinderten sodann die Kür des AKP-Politikers Gül, indem sie einfach nicht im Parlament erschienen.

Zwar liegt die politische Macht in der Türkei vorwiegend in den Händen des Ministerpräsidenten, doch hat das Amt des Staatschefs große Symbolkraft: Erster Amtsträger war Mustafa Kemal Atatürk. Der als Gründer der modernen Türkei verehrte Atatürk stellte die junge Republik auf das Fundament des Laizismus; in Artikel eins der Verfassung wurde der Staatschef als „Hüter der Verfassung“ festgeschrieben.

Kemalisten wie Generäle befürchten, Gül könne an diesem Grundpfeiler rütteln. Sie prophezeien die schleichende Islamisierung der Türkei, wenn neben dem Regierungschef und AKP-Vorsitzenden Recep Tayyip Erdogan auch der Staatschef islamistisch geprägt ist. Gül äußerte hingegen wiederholt seine Entschlossenheit, als Präsident für das säkuläre System der Türkei einzustehen. Er ist für seine Reformen auf dem Weg zu einer Annäherung der Türkei an EU bekannt. Dennoch: Gül würde als erster im Verdacht des Islamismus stehender Präsident die Streitkräfte kommandieren und den Vorsitz über die misstrauischen Generäle im Nationalen Sicherheitsrat übernehmen.

Die Armee hatte schon im April mit einem Putsch gedroht, sollte er das höchste Amt bekleiden. Diese Drohung trug am 22. Juli zum Erdrutschsieg der AKP bei, da viele Menschen über die Einmischung der Generäle verärgert waren. Das letzte Mal stürzte das Militär 1997 die Regierung von Necmettin Erbakan und seiner islamischen Wohlfahrtspartei, die daraufhin verboten wurde. Zum ersten Mal würde zudem eine First Lady Kopftuch tragen, denn Gattin Hayrünnisa lässt sich das aus dem öffentlichen Leben verbannte Kopftuch nicht nehmen und klagte sogar vor dem Europäischen Menschenrechtsgericht gegen die Türkei, weil sie in ihrem eigenen Land damit nicht studieren durfte.

Während der das kemalistische Staatsdogma vertretende Sezer für innenpolitischen Konsens stand, steht Güls Name schon vor der Wahl für innenpolitischen Zwist. Gül repräsentiert aber auch die breite Masse der türkischen Wähler: Immerhin gab fast jeder zweite seiner AKP die Stimme – gerade, als am eindringlichsten vor den Islamisten gewarnt worden war.

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