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Linzer "Bettleroper" in der Sprache von Realityshows

Theresa Palfi als Polly Peachum
Theresa Palfi als Polly Peachum ©APA
Susanne Lietzow und Gilbert Handler haben "Die Bettleroper" aus dem 18. Jahrhundert überschrieben und in die 2020er geholt. Geworden ist es ein Sozialporno in der Sprache von mit C- und D-Promis besetzten Realityshows. Bei der Premiere am Freitag im Linzer Schauspielhaus gab es teils Standing Ovations für ein Ensemble, das sich einen Abend lang in der nuschelig-genudelten Artikulation trashiger deutscher Dokusoaps suhlt und sichtlich Spaß dabei hat - ebenso wie das Publikum.

"Die Bettleroper" ("The Beggar's Opera") von John Gay mit Musik von Johann Christoph Pepusch wurde 1728 am Lincoln's Inn Fields Theatre in London uraufgeführt. Sie parodierte die damals hippe Händel-Oper, steif und gestelzt, und verlegte die Handlung weg von höfischen Kreisen in die untersten Schichten der Gesellschaft. Eine Oper für Bettler sollte es sein. Bertolt Brecht nahm den Stoff als Basis für seine "Dreigroschenoper".

Dresscode bauchfrei

Lietzow verortet die Handlung in der Halb- und Unterwelt der Neuzeit auf einem Autofriedhof unter einem verfallenen Stuckgewölbe (Bühne: Aurel Lenfert), Dresscode bauchfrei, tätowiert, man hat Kampfhunde, ist supercool, bildungsfern und meist auf Gin. Jonathan Peachum (Klaus Müller-Beck als glatzköpfiger Silberrücken) hat ein doppelt lukratives Geschäftsmodell: Er lässt Diebe für sich arbeiten und wenn das Kopfgeld dann höher ist als die Beute, die sie herbeischaffen, liefert er sie an die Polizei aus.

Als seine Tochter Polly heimlich den Straßenräuber Macheath heiratet, will er, dass sie ihn verpfeift, um die Belohnung zu kassieren, ihn zu beerben und dann als reiche Witwe dazustehen. Mama Peachum - Katharina Hofmann ist als blonde Puffmutter in hautengem Leoprint für den horizontalen Zweig des Familienbetriebs zuständig - sieht das genauso, aber Polly schwebt auf Wolke sieben. Macheath hat nebenbei auch was mit Lucy am Laufen, der Tochter von Polizeichef Lockit. Lucy ist schwanger und stinksauer, weil sie draufgekommen ist, dass ihr Liebster verheiratet ist. Das soll er büßen.

Dativ oder Akkusativ - egal

Susanne Lietzows Fassung bedient sich der prolligen Sprache von Dokusoaps - mit schwerer Zunge, völliger Abstinenz von harten Konsonanten, Dativ und Akkusativ fahren Ringelspiel, Grammatik wird überbewertet. Es ist eine reife Leistung der Schauspieler, in dieser virtuellen "Fremdsprache" zu bleiben. Das Publikum muss gehörig die Ohren spitzen, um folgen zu können, aber es lohnt sich und bald dud man selbst gans dief in dem Gelalle eindauchen. Einzig Lockit (Christian Higer) und Lucy, die zumindest offiziell etwas Besseres sind, bedienen sich der Hochsprache.

Theresa Palfi als Polly Peachum ist eine naive Romantikerin, die ihren "Captain" Macheath anhimmelt und vom Glück träumt, obwohl die Witwenpension auch eine attraktive Option wäre und zudem weniger Ärger mit der schrecklich netten Familie bringen würde. Macheath (Benedikt Steiner) ist ein selbstverliebter Nadelstreif-Stizzi, immer mit einem Fuß auf der Galgentreppe, der glaubt, er kann sie alle haben. Seine Geliebte Lucy - Cecilia Pérez lässt sich vom Babybauch nicht abhalten, den einen oder anderen Mini-Stunt hinzulegen - weiß, was sie will und nimmt es sich.

Soundtrack der Unterwelt

Der mit Intelligenz nicht übermäßig bedachte Filch (Julian Sigl), der seit der Schule jeden "ausgemacht" hat, der ihn auslacht, fällt einem Zufall zum Opfer, der so dumm ist wie er selbst. Horst Heiss brilliert als herausragende Bordsteinschwalbe Dolly, Angela Waidmann als leseschwache Schwarze Molly verkalkuliert sich und bekommt den Kodex der Straße zu spüren. Frauensolidarität endet in dieser Welt dort, wo es ums eigene Leben geht, auch wenn die Damen der Nacht am Ende durchaus die Reihen schließen.

Lietzows Fassung ist vergnüglich, ohne in Slapstick abzudriften oder soziale Brennpunkte vorzuführen. Mit Gilbert Handler, von dem die Musik stammt, bildet sie seit Jahren ein eingespieltes Team. Er garniert die Klänge immer wieder mit punkigen Sequenzen und lässt die Sänger ihre Emotionen in den höchsten Tönen rausschreien, dass die Gläser bersten, ein gelungener Soundtrack der Unterwelt. Für Leading Team, Ensemble und die Band gab es viel Applaus, die Bettleroper wurde einmal mehr, aber ganz sicher nicht einmal zu oft adaptiert.

(Von Verena Leiss/APA)

(S E R V I C E - "Die Bettleroper" von Susanne Lietzow und Gilbert Handler, nach John Gay und Johann Christoph Pepusch. Inszenierung: Susanne Lietzow, Bühne: Aurel Lenfert, Kostüme: Jasna Bosnjak, Musik: Gilbert Handler. Mit u.a.: Klaus Müller-Beck (Peachum), Katharina Hofmann (Mrs. Lorraine Peachum), Theresa Palfi (Polly Peachum), Christian Higer (Lockit), Cecilia Pérez (Lucy), Benedikt Steiner (Captain Macheath), Julian Sigl (Filch), Horst Heiss (Dolly Drull), Angela Waidmann (Schwarze Molly). Weitere Vorstellungen am 10., 19. und 31. Dezember, 2., 15., 22., 26. und 28. Jänner 2026 im Linzer Schauspielhaus. )

(APA)

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