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Warum in Lochau ein Gesetz aus dem Austrofaschismus Anwendung findet

Bei der Verbesserung der Gemeindefinanzen beweisen die Vorarlberger Gemeinden Kreativität und sorgen für Unmut bei vielen Bewohnern. Weil das Geld knapp ist, greifen manche Gemeinden zu ungewöhnlichen Mitteln.

In Lochau - geführt von einem grünen Bürgermeister - kommt sogar ein Gesetz aus der Zeit des Austrofaschismus zum Einsatz, um die Gemeindekasse aufzubessern.

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Die Lochauer Haushalte haben sich in den letzten Tagen über Post aus dem Rathaus verwundert gezeigt. Darin: eine Gebührenvorschreibung für 2025 mit dem Namen "Hand- und Zugdienste 2025". 40 Euro sollen bis spätestens zum 23. Oktober 2025 überwiesen werden.

Arbeiten oder zahlen

Begründet wird dies im genannten Schreiben wie folgt: "Die Gemeindevertretung hat die Einhebung der Hand- und Zugdienste am 03.12.2024 beschlossen: Hand- und Zugdienste dienen zur Errichtung, Instandhaltung und Erhaltung von Straßen, Gehsteigen, öffentlichen Wegen und Brücken sowie zur Beseitigung der Folgen von Elementarereignissen und dergleichen."

Lochau kein Einzelfall

Ein Blick in die Gemeindeverordnungen der Vorarlberger Gemeinden zeigt, Lochau ist hier nicht allein. Wenn auch in den letzten Jahren einige Gemeinden auf die Einhebung verzichtet haben, finden sich ähnliche Verordnungen noch bei etwas weniger als einem Drittel der 96 Vorarlberger Gemeinden, vorwiegend im Bregenzerwald oder anderen ländlichen Gemeinden. Im dicht besiedelten Rheintal ist dieses aus dem Jahr 1935 stammende Gesetz kaum verbreitet.

Hand- und Zugdienste in Vorarlberg – Herkunft, Gesetz und heutige Bedeutung

Die sogenannten Hand- und Zugdienste gehen auf eine alte Gemeindepflicht zurück, bei der Bürger gemeinsam an der Erhaltung öffentlicher Infrastruktur mitwirkten – etwa beim Bau und bei der Pflege von Straßen, Wegen oder Brücken. Diese Form der gemeinschaftlichen Arbeit stammt aus einer Zeit, in der Gemeinden kaum finanzielle Mittel hatten und auf die Mithilfe ihrer Einwohner angewiesen waren.

Rechtlich geregelt sind die Dienste bis heute in § 91 der Vorarlberger Gemeindeordnung 1935. Demnach dürfen Gemeinden Haushaltsvorstände verpflichten, jährlich eine bestimmte Zahl an Arbeitsstunden – meist zwischen vier und acht Stunden – unentgeltlich für gemeinnützige Aufgaben zu leisten. Alternativ kann die Gemeinde eine sogenannte Ersatzzahlung, auch Abschätzbetrag genannt, festsetzen. Diese Geldleistung ersetzt die persönliche Arbeit und wird von der Gemeinde per Verordnung festgelegt.

Einstimmig verabschiedeten die Lochauer Gemeindemandatare die neue Verordnung.

Die Verordnung von Lochau im Wortlaut

VERORDNUNG ÜBER DIE AUSSCHREIBUNG VON HAND- UND ZUGDIENSTEN der Gemeinde Lochau

Die Gemeindevertretung hat in ihrer Sitzung vom 03.12.2024 beschlossen, gemäß § 91
Gemeindeordnung 1935, LGBl. 25/1935 idgF, für die Gemeindeerfordernisse der Gemeinde
Lochau (z. Bsp. Errichtung, Instandhaltung und Erhaltung von Straßen, Gehsteigen, öffentlichen
Wegen und Brücken sowie zur Beseitigung der Folgen von Elementarereignissen und
dergleichen) Hand- und Zugdienste nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen zu
verlangen.

§ 1 Leistungsverpflichteter, Leistungsumfang

(1) Jeder Haushaltsvorstand, der in der Gemeinde Lochau zum Stichtag 30. April eines jeden
Jahres als solcher mit Wohnsitz gemeldet ist und an diesem Stichtag zwischen 16 und 70 Jahre
alt ist, wird zur Leistung von unentgeltlichen Hand- und Zugdiensten im Ausmaß von 1
Tagschicht zu acht Stunden pro Kalenderjahr verpflichtet.

(2) Haushaltsvorstände vom vollendeten 60. bis zum vollendeten 70. Lebensjahr haben nur eine
halbe Tagschicht zu leisten, außer im Haushalt angehörige Personen sind zwischen 16 und 60
Jahre alt.

(3) Bei unterjähriger Begründung oder Auflassung des Haushaltes erfolgt keine zeitliche
Aliquotierung des Leistungsausmaßes.

§ 2 Leistungserbringung, Ausnahmen

(1) Die zur Leistung von Hand- und Zugdiensten Verpflichteten haben bis spätestens 30. April
eines jeden Jahres beim Gemeindeamt Lochau die Erbringung ihrer Leistung anzumelden.

(2) Die Gemeinde Lochau weist innerhalb von 6 Monaten dem Verpflichteten eine Arbeit oder
einen Dienst zu.

(3) Der Verpflichtete kann die von der Gemeinde Lochau zugewiesene Arbeit bzw. den ihm
übertragenen Dienst entweder selbst erbringen oder durch einen tauglichen Vertreter ableisten
lassen.

(4) Von der Leistung von Hand- und Zugdiensten sind jene Haushaltsvorstände ausgenommen,
die auf Grund einer physischen oder psychischen Leistungsunfähigkeit die von der Gemeinde
vorgeschriebenen Hand- und Zugdienste nicht selbst erbringen können. Hierüber entscheidet
über Antrag der Gemeindevorstand.

§ 3 Abschätzbetrag

(1) Die zur Leistung von Hand- und Zugdiensten Verpflichteten können anstelle der Ableistung
von Hand- und Zugdiensten auch einen Abschätzbetrag an die Gemeindekasse einzahlen.

(2) Der Abschätzbetrag für die zu erbringende Tagschicht wird mit € 40,00 für eine Tagschicht
bzw. € 20,00 für eine halbe Tagschicht festgesetzt.

(3) Verpflichteten, die innerhalb der in § 2 festgesetzten Frist die Erbringung ihrer Hand- und
Zugdienste nicht anmelden, wird der Abschätzbetrag zur Zahlung vorgeschrieben, wobei keine
zeitliche Aliquotierung vorgenommen wird.

(4) Hat der Leistungsverpflichtete seinen Wohnsitz in einer Mietwohnung oder sonstigen
Räumlichkeiten, die ihm zur Nutzung überlassen werden, so ist die Gebührenschuld vom
Leistungsverpflichteten zu entrichten. Der Eigentümer der Liegenschaft haftet persönlich für die
Abgabenschuld.

(5) Der Abschätzbetrag ist innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung der Vorschreibung zur
Zahlung an die Gemeindekasse fällig.

§ 4 Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
Diese Verordnung wird sodann einstimmig (Abstimmungsverhältnis 26:0) genehmigt.

Vorarlberger Grüne vs. Lochauer Grüne

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass die zehn Gemeindevertreter der Grünen, darunter auch der Bürgermeister, sich für die Verordnung ausgesprochen haben. Dies im Gegensatz zum Standpunkt der Landespartei, die bereits 2005 gemeinsam mit der SPÖ versucht hat, diese Bestimmung in der alten Gemeindeordnung aufzuheben. Gescheitert war man damals mit dem Antrag an den Gegenstimmen der ÖVP und FPÖ im Vorarlberger Landtag.

(VOL.AT)

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