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Mysterium Bodensee: Abgestürzt und nie gefunden - Das Schicksal zweier englischer Piloten

In der Nacht vom 6. auf den 7. April 1944 herrschte über dem Bodensee wolkenloser Himmel. Der Vollmond sorgte für ideale Sichtverhältnisse. Um 22.47 Uhr startete von Bradwell Bay in Essex eine britische De Havilland Mosquito Mk. VI, Kennzeichen NS 875 mit dem Code UP-R, zu einem sogenannten Intruder-Einsatz in den Raum Bodensee–Straßburg.

An Bord befanden sich Squadron Leader Michael Negus und der kanadische Navigator Flying Officer Arthur Jack Gapper. Beide sollten ihr Ziel nicht erreichen.

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Ein Mosquito Nachtjäger. ©handout

Auftrag am Bodensee

Intruder-Einsätze waren nächtliche Störflüge, mit denen die Royal Air Force den Gegner durch gezielte Angriffe auf Bahnanlagen, Verkehrswege und militärische Einrichtungen schwächen wollte. Die Maschinen der 605 Squadron waren für solche Einsätze speziell ausgerüstet: statt leichter Maschinengewehre trugen sie vier 20-Millimeter-Kanonen im Bug. Unter den Tragflächen konnten zusätzliche Bomben oder Treibstofftanks montiert werden, um auch entfernte Ziele anzugreifen.

Die NS 875 startete gemeinsam mit zwei weiteren Mosquitos, die Ziele in Frankreich angreifen sollten. Negus und Gapper nahmen Kurs auf den Bodenseeraum.

Die Einheit

Das Wappen der NO 605 Squadron. ©handout

Die No. 605 Squadron, auch als „County of Warwick Squadron“ bekannt, wurde am 15. Oktober 1926 in Castle Bromwich bei Birmingham ins Leben gerufen. In ihren frühen Einsatzjahren war die Einheit mit Flugzeugen wie der Gloster Gladiator, der Hawker Hurricane sowie den Douglas Boston III und Havoc I ausgestattet. Von verschiedenen Stützpunkten in England, auf Malta und im Fernen Osten aus führte die Staffel Einsätze durch.

Im Juli 1942 begann die eng verbundene No. 23 Squadron mit den ersten Einsätzen auf der Mosquito Mk.II. Im Februar 1943 folgte die No. 605 Squadron und wechselte ebenfalls auf diesen Flugzeugtyp. Dank präziser und erfolgreicher Intruder-Missionen, die bei Tag und Nacht bis tief nach Deutschland hineinreichten, erarbeitete sich die Staffel schnell einen ausgezeichneten Ruf. Im Juli 1943 erfolgte schließlich die Umrüstung auf die modernere Mosquito F.B. Mk.VI.

Am 15. April 1944 verzeichnete die Einheit ihren 100. Luftsieg. Insgesamt brachte die „County of Warwick Squadron“ im Laufe des Krieges 73 V-1-Flugbomben, zahlreiche Eisenbahnzüge sowie Schiffe zur Strecke. Ein Beispiel für die intensiven Einsätze: Am 6. April 1944 um 22.48 Uhr startete eine Mosquito F.B. Mk.VI zu einer der letzten Missionen von Bradwell Bay aus. Nur wenige Tage später wurde die Staffel unter neuer Führung nach Manston verlegt. Ab September 1944 flog die Einheit als Teil der No. 2 (Bomber) Group gezielte Bombereinsätze bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.

Die Besatzung

Michael Negus, geboren in Dunmow (Essex), trat 1940 in die Royal Air Force ein und wurde innerhalb weniger Jahre zu einem erfahrenen Nachtjäger. Am 17. Februar 1944 war er zum Squadron Leader befördert worden. Am 5. April, nur einen Tag vor seinem letzten Einsatz, erhielt er das Distinguished Flying Cross für erfolgreiche Nachtflüge, bei denen ihm mindestens zwei bestätigte und drei wahrscheinliche Abschüsse deutscher Flugzeuge zugeschrieben wurden.

Pilot Michael Negus war erst am Tag vor dem Unglück befördert und für seinen Einsatz ausgezeichnet worden. ©handout/warbird.ch

An seiner Seite saß Arthur Jack Gapper, 1923 in Kanada geboren. Er hatte seine Ausbildung im Februar 1943 abgeschlossen und flog seitdem als Navigator zahlreiche Einsätze mit Negus – unter anderem über Frankreich, Holland und Süddeutschland. Zum Zeitpunkt des Absturzes war er erst 21 Jahre alt.

Der kanadische Flying Officer Arthur Jack Gapper beendete nach sechs Monaten seine Ausbildung am 19. Februar 1943. Bereits ein Jahr später gehörte er zur Besatzung von Squadron Leader Michael Negus. Gemeinsam flogen die beiden in den ersten beiden Monaten des Jahres 1944 insgesamt zwölf Einsätze.

Der Absturz

Die Maschine überquerte kurz nach Mitternacht den Bodensee. Um 00.15 Uhr stürzte sie schließlich rund vier Kilometer vor Uttwil in den See. Schweizer Armeeposten bei Romanshorn meldeten in jener Nacht mehrere Flugzeuge, ohne diese genau identifizieren zu können. Um 00.08 Uhr wurde ein Flugzeug über Altnau in rund 3000 Metern Höhe beobachtet, das kurz darauf bei Arbon südostwärts den Schweizer Luftraum verließ. Minuten später registrierten die Beobachter ein Feuergefecht aus Richtung Friedrichshafen, wo die 26. Flak-Division mit ihren 88-Millimeter-Geschützen stationiert war.

Nach diesem Gefecht wurde das Motorengeräusch eines Flugzeugs wieder lauter, bevor es plötzlich verstummte. Wenige Augenblicke später zerschellte die Mosquito im Bodensee.

Wrackteile im See

Am Morgen des 7. April wurden ein Flügelteil, ein Strebenstück mit Turbine sowie drei Treibstofftanks an der Wasseroberfläche entdeckt. Die Schifffahrtsinspektion Romanshorn brachte die Teile an Land und verlud sie auf das Motorschiff Hecht. Später wurden die Überreste nach Dübendorf gebracht und dort verschrottet.

Nur ein paar wenige Wrackteile wie dieses Flügelteil wurden im Bodensee treibend gefunden. ©handout/warbird.ch
Trümmerteile nach der Bergung. ©handout/warbird.ch

Der Bodensee - das kalte Grab

Das eigentliche Wrack sowie die Leichen von Negus und Gapper konnten nie geborgen werden. Man nimmt an, dass die Maschine bis heute in rund 200 Metern Tiefe am Grund des Bodensees liegt.

Die beiden Toten wurden nie gefunden. Sie sind auf der Gedenktafel ©Roll-Of-Honour.com
©Roll-Of-Honour.com

(VOL.AT)

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