"Zu wenig Belastbarkeit, kaum Mathe-Grundlagen" – Ausbildungsbetriebe kritisieren massive Defizite bei Schulabgängern

Von den Unternehmen, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, geben 73 Prozent an, dass keine geeigneten Bewerber zu finden waren – und das nicht nur wegen fehlender Bewerbungen, sondern wegen gravierender qualitativer Defizite.
Schwächen im Sozialverhalten: Belastbarkeit und Disziplin fehlen
Für 92 Prozent der Betriebe ist ein solides Arbeits- und Sozialverhalten die wichtigste Anforderung an Auszubildende – doch gerade hier liegt aus Sicht der Wirtschaft das größte Problem. Mehr als die Hälfte der Betriebe stellt häufige Defizite bei der Belastbarkeit fest, 46 Prozent beklagen mangelhafte mentale Leistungsfähigkeit, 35 Prozent vermissen grundlegende Motivation und Leistungsbereitschaft.
Auch bei Disziplin, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sehen viele Unternehmen Defizite. Besonders gravierend: Die Kritik betrifft nicht nur Einzelne, sondern ist laut Umfrage breit gestreut. Die Auszubildenden seien oft nicht in der Lage, regelmäßige Arbeitszeiten einzuhalten oder mit Kritik produktiv umzugehen.
Grundlagen nicht vorhanden: Mathe und Deutsch als Schwachpunkte
Auch bei schulischen Basiskompetenzen zeichnen sich alarmierende Muster ab: 44 Prozent der Unternehmen berichten von häufigen Mängeln im mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögen, 43 Prozent sehen elementare Defizite in Mathematik. Dies betrifft vor allem einfache Rechenaufgaben, Prozentrechnungen oder das Verständnis von Texten.
Je nach Branche fällt die Kritik teils noch drastischer aus: In der Industrie und im Handel berichten rund die Hälfte der Betriebe über regelmäßige Matheprobleme bei Bewerbern, im Gastgewerbe liegt die Zahl derer, die an Deutschkenntnissen scheitern, bei über 50 Prozent.
Erschreckende Reifeprobleme: Junge Menschen oft ohne realistische Selbsteinschätzung
Besonders auffällig ist auch die Diskrepanz zwischen Selbstbild und Realität: 30 Prozent der Betriebe stellen fest, dass Bewerber häufig über keinerlei Berufswahlkompetenz verfügen – also weder ihre Interessen noch ihre Fähigkeiten realistisch einschätzen können.
Diese Unsicherheit führt nicht selten dazu, dass Jugendliche ihre Ausbildung frühzeitig abbrechen oder gar nicht erst antreten. Laut Umfrage gaben 11 Prozent der Betriebe an, dass Ausbildungsverhältnisse "geghostet" wurden – also nie angetreten. 10 Prozent der Verträge wurden während der Probezeit wieder gelöst.
Ähnliche Erfahrungen in Vorarlberg
Heimische Betriebe melden regelmäßig zurück, dass Lehrstellensuchende und Lehrlinge nach dem Abschluss der Pflichtschule Schwierigkeiten in den Grundkompetenzen wie sinnerfassendem Lesen, Rechnen und Schreiben haben. Dies bindet in den Betrieben viele Kapazitäten. "Es ist daher notwendig, dass die Politik gemeinsam mit den Betrieben verstärkt hinschaut und konkrete Maßnahmen ergreift, um diese Defizite gezielt zu beheben. Die Wirtschaftskammer Vorarlberg ist hier in intensivem und gutem Austausch mit der Landespolitik und der Bildungsdirektion für Vorarlberg", betont Gudrun Petz-Bechter, Direktor-Stellvertreterin der Wirtschaftskammer Vorarlberg.

Auch Dominik Ender, Leiter des Ausbildungszentrums Vorarlberg (AZV) im Hohenemser Hejomahd betonte im Februar in einem Blog der AK Vorarlberg: "Man müsste schon früher ansetzen, und zwar in der schulischen Ausbildung. Jugendliche kommen zu uns und können nicht einmal einfachste Rechnungen. Den Rest kann man ja lernen, aber ein Grundstock muss da sein. 2016 haben wir den Zweig Elektrotechnik gegründet, seitdem sehe ich, dass ab 2019 die Leistungen wirklich immer schlechter geworden sind."

Auf die Frage, ob der Vorwurf, Jugendliche wollen gar nicht mehr Vollzeit arbeiten, antwortete Ender: "Dass die Jugendlichen nicht mehr arbeiten wollen, entspricht nicht meiner Erfahrung. Sie legen mehr Wert auf Balance in der Firma. Das Arbeitsklima ist ihnen wichtig, die Möglichkeiten voranzukommen zählen. Deshalb kommen auch viele Jugendliche zu uns, weil sie das bei uns haben."
Das überbetriebliche Ausbildungszentrum (AZV) unterstützt Jugendliche, die im Regelbetrieb keine Stelle finden. Dort erhalten sie nicht nur praktische Lehre, sondern haben auch sozialpädagogische Begleitung – und können Defizite gezielt bearbeiten. Für das Jahr 2024/25 stehen 130 Plätze bereit, mit insgesamt 4,5 Mio. Euro Investition von AMS und Land Vorarlberg. Jedoch: Die Kapazitäten sind limitiert. Solange viele Jugendliche keine schulischen Grundkenntnisse mitbringen, steigert das den Aufwand in Betrieben und Institutionen.
Vorarlberg bleibt trotz Problemen Ausbildungsland
Zahlen: Lehrlingsrückgang trotz starker Ausbildungsquoten
- Rund 44,5 % der 15‑Jährigen entscheiden sich in Vorarlberg für eine Lehre – damit liegt Vorarlberg deutlich über dem österreichweiten Schnitt von etwa 37 %.
- Dennoch ist die Zahl der Lehrlinge leicht rückläufig: 6.480 Auszubildende Ende 2024, ein Minus von ca. 2,8 % gegenüber dem Vorjahr.
Bildungsdefizite gefährden Fachkräftesicherung
Die Umfrage zeigt klar: Es hapert nicht nur an der Anzahl der Bewerbungen – sondern zunehmend an der Qualität. 87 Prozent der Ausbildungsbetriebe berichten von Mängeln bei den Voraussetzungen der Schulabgänger. Das bringt nicht nur die Ausbildung, sondern langfristig auch die Fachkräftesicherung in Gefahr.
Vor diesem Hintergrund fordern viele Unternehmen eine Rückbesinnung auf grundlegende Kompetenzen – "Back to the Basics". Ohne ausreichende Förderung von Deutsch, Mathematik, Sozialverhalten und Arbeitsdisziplin könnten sich die strukturellen Probleme am Ausbildungsmarkt weiter verschärfen.
(VOL.AT)