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Dr. Wolfgang List.
Dr. Wolfgang List. ©VOL.AT/Emilia Waanders

"Die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Organ zu brauchen, ist etwa hundertmal höher als selbst Spender zu werden"

Immer weniger Organspender – immer mehr Menschen auf der Warteliste. In Vorarlberg sind vergangenes Jahr bereits zwei Patienten gestorben, weil kein Organ rechtzeitig kam. Dr. List warnt: "Es kann jeden treffen."

In Österreich warten aktuell Hunderte Patienten verzweifelt auf ein rettendes Organ – doch die Zahl der Organspender lässt zu wünschen übrig. Dr. Wolfgang List, geschäftsführender Oberarzt der Intensivstation am LKH Feldkirch und seit 2013 Transplantationsbeauftragter für Vorarlberg, warnt im Gespräch mit VOL.AT eindringlich: "Schlechte Spenderzahlen bedeuten längere Wartezeiten." Und das könnte tödlich enden.

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Zu niedrige Spenderquote: "Wir kommen nicht wirklich ran"

Eigentlich, sagt List, strebe man seit über zehn Jahren 30 Spender pro Million Einwohner an – eine Zahl, mit der man die Versorgung Wartender gut decken könnte. "Aber wir kommen nicht wirklich ran", so List. Stattdessen liege man in Gesamtösterreich seit Jahren bei unter 20 Spendern pro Million Einwohner. In einem kleinen Bundesland wie Vorarlberg wirkt sich jede einzelne Spende stark auf die Statistik aus. Im Schnitt gibt es hier zwischen 6 und 12 Organspenden pro Jahr. Zwar wurden 2020, 2021 und im ersten Halbjahr 2025 kurzzeitig die angestrebten 30 Spender pro Million erreicht – dazwischen gab es aber auch Jahre mit deutlich niedrigeren Zahlen.

Das Landeskrankenhaus Feldkirch. ©Hartinger

Als Gründe für den Rückgang nennt List unter anderem Fachkräftemangel und die Belastung des Gesundheitssystems – vor allem während der Pandemie. "Eine Organspende bedeutet für das Personal immer Zusatzarbeit. Und in einem ohnehin knappen System wird das manchmal nicht in aller Konsequenz verfolgt."

"Wenn es vorher nie Thema war, bleiben Unsicherheit und Zweifel"

Doch nicht nur im System selbst sieht List das Problem. Auch gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle: "Ich habe das Gefühl, dass die Ich-Zentriertheit in der Gesellschaft über die Jahre mehr geworden ist. Und die Bereitschaft sich für etwas Allgemeinnütziges einzusetzen, weniger." Hinzu kommt: Angehörige müssten im Ernstfall oft binnen 24 Stunden eine Entscheidung treffen – in einer Extremsituation, in der sie gerade einen geliebten Menschen verlieren.

"Wenn es vorher nie Thema war, bleiben Unsicherheit und Zweifel", erklärt List. Diese Unsicherheit führe oft dazu, dass sich Familien gegen eine Spende entscheiden. Deshalb sei es so wichtig, den eigenen Willen klar zu äußern – nicht nur im offiziellen Widerspruchsregister, sondern vor allem im Gespräch mit der Familie.

"Niemand würde etwas gegen die Familie durchsetzen"

Rechtlich gilt in Österreich die Widerspruchsregelung: Wer sich zu Lebzeiten nicht aktiv gegen eine Organspende ausgesprochen hat, darf grundsätzlich Spender werden. Dennoch, betont List, werde in der Praxis niemals gegen den erklärten Willen der Angehörigen transplantiert. "Auch wenn es rechtlich möglich wäre – niemand würde in einer solchen Ausnahmesituation etwas gegen die Familie durchsetzen."

Gerade deshalb sei es so essenziell, dass Familien wissen, was der Verstorbene gewollt hätte. "Das nimmt ihnen den Druck und ermöglicht es uns, seinen Willen zu respektieren."

2024 bereits zwei Vorarlberger auf Warteliste verstorben

Stand Juli 2025 stehen in Vorarlberg 31 Menschen auf der Warteliste für ein Organ. Zwei Patienten seien im vorigen Jahr bereits verstorben – beide warteten auf eine Lebertransplantation. "Es wurde nicht rechtzeitig ein passendes Organ gefunden", bedauert er. Für Patienten mit Herz- oder Leberversagen sei die Zeit besonders knapp: "Da geht es oft nur um wenige Tage."

Bei anderen, wie etwa Nierenpatienten, sei die Wartezeit zwar länger, aber dennoch enorm belastend. "Dialyse bedeutet, jeden zweiten Tag viele Stunden im Krankenhaus zu verbringen", erklärt Dr. List. Die Behandlung sei körperlich anstrengend und greife massiv in den Alltag ein: "Ein normales Leben mit Arbeitsalltag oder Reisen ist dabei schwer umsetzbar." Während Patienten mit Leber- oder Herzversagen akut bedroht seien, leide diese Gruppe eher still – oft über viele Jahre hinweg. Die Dialyse halte zwar am Leben, aber es sei kein freies Leben. Erst eine Nierentransplantation könne diesen Menschen wieder zu echter Lebensqualität verhelfen.

FAQ: Was ist Dialyse?

Was bedeutet "Dialyse"?
Dialyse ist ein medizinisches Verfahren, das die Funktion der Nieren ersetzt, wenn diese nicht mehr ausreichend arbeiten. Dabei werden Giftstoffe, überschüssiges Wasser und Stoffwechselprodukte aus dem Blut gefiltert.

Wann braucht man eine Dialyse?
Wenn die Nieren versagen – etwa durch chronische Erkrankungen – kann der Körper Abfallstoffe nicht mehr selbst ausscheiden. Dann ist eine regelmäßige Dialyse lebensnotwendig.

Wie oft muss man zur Dialyse?
Meistens drei Mal pro Woche für jeweils vier bis fünf Stunden. Manche Patienten benötigen sogar alle zwei Tage eine Behandlung.

Wie läuft eine Dialyse ab?
Das Blut wird über einen Schlauch aus dem Körper geleitet, in einer Maschine gereinigt und wieder zurückgeführt. Die Behandlung findet meist im Krankenhaus oder in einem Dialysezentrum statt.

Wie lange muss man dialysiert werden?
Solange keine Spenderniere zur Verfügung steht, ist die Dialyse dauerhaft notwendig – oft über viele Jahre hinweg.

Wie beeinträchtigt die Dialyse den Alltag?
Dialysepatienten sind stark eingeschränkt: Beruf, Freizeit und Reisen müssen oft um die Behandlung herum geplant werden. Ein normales Leben ist nur schwer möglich.

"Die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Organ zu brauchen, ist etwa hundertmal höher als selbst Spender zu werden"

Dass Organspende nur alte Menschen betrifft, ist ein Irrglaube. Auch junge, gesunde Personen können durch plötzliche Erkrankungen wie beispielsweise verschleppte Virusinfekte in Situationen geraten, in denen sie auf ein Spenderorgan angewiesen sind. "Es kann jeden treffen. Eine Herzmuskelentzündung kann einen 20-jährigen Sportler in wenigen Monaten in die Transplantation führen", warnt List.

Außerdem: "Die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Organ zu brauchen, ist etwa hundertmal höher als selbst Spender zu werden." Dr. List rät, sich selbst ehrlich zu fragen, ob man im Ernstfall bereit wäre, ein Spenderorgan anzunehmen – denn wer diese Frage mit Ja beantwortet, habe damit meist auch die Antwort darauf, ob er selbst zur Organspende bereit sein sollte.

Dr. Wolfgang List. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Aufklärung fehlt

Trotz der alarmierenden Lage ist das Thema Organspende kaum im öffentlichen Diskurs. List unterrichtet zwar an der Pflegeschule, doch darüber hinaus gebe es kaum Projekte. "Im Bildungssystem ist das Thema praktisch nicht verankert", kritisiert er. Dabei wäre es gerade in jungen Jahren wichtig, ein Bewusstsein zu schaffen.

Zahlen & Fakten zur Organspende

Allgemeine Daten zur Organspende in Österreich:

  • Zielwert: 30 Organspender pro 1 Mio. Einwohner
  • Tatsächlicher Wert:
    • 2024 unter 18,1 Spender pro 1 Mio. Einwohner
    • Früher teils 20–24 Spender pro 1 Mio., aktuell rückläufig

Vorarlberg:

  • 6 bis 12 Organspenden jährlich am LKH Feldkirch (entspricht 15-30 Spenden pro Mio. Einwohner)
  • 31 Personen auf der Warteliste (Stand: Juli 2025)
  • 2 Patienten verstorben 2024 auf der Warteliste (beide warteten auf Leber)

Wartezeiten auf Organe:

  • Niere: ca. 3 Jahre
  • Herz, Leber, Lunge: ca. ½ Jahr
  • (kann aber auch zu lang sein – Lebensgefahr!)

Altersgrenze bei Spenden:

  • Keine feste Altersgrenze
  • Nierenspenden wurden auch schon mit 90 Jahren durchgeführt

Wie läuft eine Organspende ab?

Wird eine Organspende möglich, so läuft die Therapie zunächst weiter wie bisher. "Wir versuchen, die Organfunktionen so stabil wie möglich zu halten", erklärt List. Parallel dazu wird gemeinsam mit dem Transplantationszentrum Innsbruck geprüft, ob und welche Organe transplantierbar sind.

Den Angehörigen werde ausreichend Raum für Abschied und seelsorgerische Begleitung gegeben – ganz ohne Besuchsbeschränkungen. Und: "Die Spende selbst ist eine Operation wie jede andere. Der Körper wird nicht entstellt", macht List klar. Nach der Spende stehe einer regulären Bestattung nichts im Weg.

Auch auf die Frage nach möglichen zukünftigen Entwicklungen hat Dr. List eine vorsichtige Einschätzung: Die Forschung an tierischen Organen – etwa genetisch angepassten Schweineherzen – sei vielversprechend, aber aktuell noch nicht im klinischen Alltag angekommen.

(VOL.AT)

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