Was für ein Comeback für einen Mann, dessen politische Karriere vor 20 Jahren schon beendet schien. Anfang Mai wird Merz nun aller Voraussicht nach zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik gewählt. Das Amt tritt er freilich als Kanzler ohne Vertrauensvorschuss an.
Wenig Vertrauen in den Umfragen
Den Koalitionsvertrag für seine Regierung pries Merz als "Aufbruchssignal". Dass die breite Öffentlichkeit diese Einschätzung teilt, ist aber fraglich. "Es gab noch nie einen Kanzler, der mit so wenig Vertrauen in seinem Amt begonnen hat", sagt Politikprofessor Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel der Nachrichtenagentur AFP. "Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, dass er kein starker Kanzler wird, sehr groß."
Der CDU-Chef trete das neue Amt mit dem Makel an, "Wählertäuschung" begangen zu haben mit seiner Kehrtwende in der Schuldenpolitik, sagt Schroeder. "Merz hat eine starke Misstrauensposition erzeugt, die für ihn problematisch wird."
Begeisterung löst die Aussicht auf eine Merz-Kanzlerschaft im Land nicht aus, seine Umfragewerte sind seit der Wahl noch einmal schwächer geworden. Zu den Aufgaben des neuen Kanzlers wird es nun gehören, den Wunsch vieler Bürgerinnen und Bürger nach spürbaren politischen Veränderungen zu verkörpern.
Merz will Aufbruchstimmung vermitteln
Merz selbst hat immer wieder betont, die neue Regierung habe möglicherweise die letzte Chance, die Stimmung im Land noch einmal zum Besseren zu drehen, um die in Teilen rechtsextremistische AfD von der Macht fernzuhalten. Zu Amtsantritt sieht sich Merz nun einer AfD gegenüber, die in Umfragen stärker ist als je zuvor.
Merz versuchte bei der Vorstellung der Koalitionsvertrags, eine Art von Aufbruchsstimmung zu vermitteln. "Wir wollen wieder ein mutiges, ein zukunftsfähiges Land werden", sagte er. "Wir wollen ein Land werden, in dem die Menschen Freude haben zu arbeiten." Sein Ziel formulierte er so: "sehr schnell das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen".
An Merz' Risikobereitschaft, seinem rhetorischen Talent und seinem Ehrgeiz zweifelt niemand. Ins neue Amt bringt er allerdings auch die Erfahrung des persönlichen politischen Scheiterns mit.
"Wir wollten beide Chef werden"
Merz stammt aus dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Geboren wurde er im November 1955 in der Kleinstadt Brilon im Hochsauerland, einer zwar ländlich geprägten, aber dank erfolgreicher mittelständischer Unternehmen wirtschaftsstarken Region. Schon als Schüler bei den Christdemokraten engagiert, zog Merz nach einem Jusstudium in die große Politik, zunächst 1989 als Abgeordneter im Europäischen Parlament und von 1994 an im Bundestag. Nach dem Ende der Ära von CDU-Kanzler Helmut Kohl (1982-1998) und den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre wurde Merz 2000 Chef der CDU/CSU-Fraktion und damit Oppositionsführer im deutschen Bundestag.
2002 verdrängte CDU-Chefin Angela Merkel den aufstrebenden Christdemokraten vom einflussreichen Fraktionsvorsitz. "Es gab ein Problem, und zwar von Beginn an: Wir wollten beide Chef werden", schrieb Merkel in ihrer Autobiographie mit Blick auf Merz.
Merz zog sich grollend in die zweite Reihe zurück und trat schließlich 2009 nicht mehr für den Bundestag an. Der Jurist wechselte in die Wirtschaft, hatte einen lukrativen Spitzenposten beim Investmentkonzern Blackrock.
Marktwirtschaft und Freihandel
Merz glaubt an die Marktwirtschaft und den Freihandel - eine Überzeugung, die aktuell unter schwerem Beschuss ausgerechnet aus den USA stehen, denen der Transatlantiker Merz sich verbunden fühlt. Anders als frühere Bundeskanzler bringt er eigene Erfahrungen aus der internationalen Wirtschaft mit. Und noch etwas unterscheidet Merz von allen seinen Vorgängern: Er ist reich.
Finanziell hatte Merz also ausgesorgt, als er 2022 in die aktive Politik zurückkehrte. Die CDU wählte ihn nach der vergeigten Bundestagswahl zu ihrem Vorsitzenden - im dritten Anlauf: Auf den Bundesparteitagen 2018 und 2021 war er noch unterlegen.
Der Merz von heute ist freilich nicht mehr der Merz der Merkel-Jahre. Jenen Christdemokraten, denen Merkels Kurs zu liberal war, galt Merz lange Zeit als verlässlicher Bannerträger eines soliden bürgerlichen Konservativismus.
Schmerzhafter Kompromiss
Dieses Bild hatte in den vergangenen Wochen sichtbare Risse bekommen - an Teilen der Basis machte sich die Furcht breit, dass Merz der SPD zu weit entgegenkommt. Dass die SPD nun gleich sieben Ministerien in seiner Regierung besetzen wird, darunter auch die mächtigen Ressorts für Finanzen und Verteidigung, ist ein schmerzhafter Kompromiss für die CDU.
"Es wird daran möglicherweise Kritik geben", sagte Merz am Mittwoch. "Aber auch die SPD hat ihre Interessen hier artikuliert", fügte er erklärend hinzu.

(VOL.AT)