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"Schwer krank und allein gelassen in Vorarlberg": ME/CFS-Betroffene kämpfen um Hilfe

Im Kampf gegen die Krankheit ME/CFS gibt es noch einige Schwierigkeiten, insbesondere in Vorarlberg.
Im Kampf gegen die Krankheit ME/CFS gibt es noch einige Schwierigkeiten, insbesondere in Vorarlberg. ©VOL.AT/Waanders/Nussbaumer/Schuchter
Fünf Jahre sind seit der Corona-Pandemie vergangen. Einige müssen das Leid aus dieser Zeit noch immer mit sich tragen, da sie unter den Folgen von Post-Covid leiden. Während andere Bundesländer bereits spezialisierte Anlaufstellen planen, sollen Betroffene aus Vorarlberg nach Innsbruck ausweichen. VOL.AT hat sich umgehört, woran die Versorgung scheitert und was die Verantwortlichen dazu sagen.
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In Vorarlberg fehlt es an einer spezialisierten Anlaufstelle für ME/CFS-Patienten, die oft schwer krank und nicht mehr mobil sind. "Wir fühlen uns einfach im Stich gelassen. Es gibt keine Anlaufstellen in Vorarlberg, weder für finanzielle, noch medizinische Unterstützung", bedauert die Zweifach-Mutter.

Betroffene und Angehörige fordern dringend eine eigene Versorgung in Vorarlberg – doch bisher gibt es nur Vertröstungen. VOL.AT hat sich daraufhin erkundigt, woran die medizinische und finanzielle Versorgung scheitert und was die Verantwortlichen meinen.

Was ist ME/CFS?

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die als Folge von Infektionen auftreten kann. Viele Post-Covid-Betroffene leiden unter anhaltender, lähmender Erschöpfung, kognitiven Einschränkungen, auch "Brain Fog" genannt, und einer Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung.

Diese Erkrankung schränkt die Lebensqualität erheblich ein, oft bis hin zur Bettlägerigkeit. Obwohl die neurologische Krankheit seit 1969 von der WHO anerkannt ist, gibt es bisher keine heilende Therapie. Daher sind Betroffene auf symptomatische Behandlung und Schonung angewiesen. Die WHO schätzt, dass alleine in Europa 36 Millionen Menschen an Long-Covid erkrankt sind - und die Zahlen werden weiterhin steigen.

"Schwer krank und allein gelassen"

Für Beate Schuchter ist die Situation klar: Betroffene werden im Stich gelassen gelassen und nicht ausreichend versorgt. "Schwer krank und allein gelassen – das umschreibt das Krankheitsbild ME/CFS wohl am besten."

Sie selbst leidet seit vier Jahren an ME/CFS und setzt sich aktiv für mehr Awareness zu ME/CFS und Post-Covid in Vorarlberg und Österreich ein. Schuchter engagiert sich in der Selbsthilfegruppe ME/CFS Vorarlberg, im ME/CFS Bündnis Österreich, arbeitet in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft ME/CFS und wirkte beim nationalen Aktionsplane für postakute Infektionssyndrome mit.

Die Krankheit sei in Österreich kaum bekannt, es gebe nur wenige Ärzte, die sich damit auskennen. "Im Medizinstudium wird ME/CFS nicht gelehrt, und das zeigt sich auch in Vorarlberg – die Kenntnisse sind äußerst begrenzt", kritisiert sie.

Beate Schuchter fordert ein Kompetenzzentrum in Vorarlberg.
Beate Schuchter fordert ein Kompetenzzentrum in Vorarlberg. ©Beate Schuchter

Ärztetouren ohne Diagnose – "Ohne Diagnose keine soziale Absicherung"

Die erste Anlaufstelle für Patienten ist in der Regel der Hausarzt. Doch dieser habe meist keine Zeit, um sich mit der komplexen Krankheit auseinanderzusetzen. "Oftmals wird ME/CFS als psychisches Leiden abgetan – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen", so Schuchter. Denn während Bewegung und sportliche Akivitäten bei psychischen Erkrankungen oft vom Arzt empfohlen werden, kann sich der Zustand bei ME/CFS-Patienten dramatisch verschlechtern und sogar langfristig zur Bettlägerigkeit führen.

Viele Erkrankte durchlaufen einen regelrechten "Ärztemarathon", in dem sie von einer Praxis zur nächsten geschickt werden. "Es wird zum Spießrutenlauf", sagt Schuchter. Eine Überweisung zur Post-Covid-Koordinationsstelle in Hohenems sei nur für die schwersten Fälle möglich und oft nur ein weiterer frustrierender Termin. "Am Ende gibt es keine ME/CFS-Diagnose, stattdessen wird man an die Psychosomatik überwiesen – und ohne Diagnose gibt es keine soziale Absicherung."

"Niemand fühlt sich verantwortlich" – Zwischen den Systemen gefangen

ME/CFS-Erkrankte sind meist nicht mehr arbeitsfähig. Doch ohne anerkannte Diagnose werden sie von Arbeitsamt und Pensionsversicherung wie ein "Ping-Pong-Ball hin und her geschoben". "Niemand fühlt sich verantwortlich", betont Schuchter.

Ärzte und das Büro von Landesrätin Martina Rüscher scheinen ebenfalls hilflos zu sein. "Es ist schon des Öfteren vorgekommen, dass man Betroffene einfach an unsere Selbsthilfegruppe verwiesen hat", erzählt Schuchter. Dass in dieser Gruppe so viel Know-How existiert, sei dem täglichen Austausch und der mehrjährigen Recherche zu verdanken. "Diese Hilfestellung sollte eigentlich im Gesundheitssystem verankert sein – nicht in der Selbsthilfegruppe", fügt sie hinzu.

Schuchter hat ein großes Anliegen: "Es wäre wichtig, dass endlich eine Ambulanz in Vorarlberg errichtet wird." So wie es aktuell jedoch aussieht, ist dieser Wunsch noch weit von der Realität entfernt.

Vorarlberger sollen nach Innsbruck ausweichen

Primar Peter Cerkl.
Primar Peter Cerkl. ©VLKH/Nussbaumer

Lungenfacharzt Primar Peter Cerkl vom Landeskrankenhaus Hohenems sorgte vergangenes Wochenende mit seinen Aussagen gegenüber dem ORF Vorarlberg für Wirbel unter den Betroffenen.

Er betonte stets, dass es für die wenigen Erkrankten mit teils schweren Beschwerden eine spezialisierte Anlaufstelle brauche. Seiner Einschätzung nach würde aber eine zentrale Einrichtung in Innsbruck für betroffene Vorarlberger ausreichen.

Cerkl wollte sich gegenüber VOL.AT zu der Thematik nicht mehr äußern.

Schuchter macht deutlich, dass dieses Vorhaben für viele schwer Betroffene keine Lösung sei. "Wie sollen sich bettlägerige Menschen nach Innsbruck schleppen, ohne eine akute Verschlechterung zu riskieren?"

"Es ist ein Hinauszögern auf dem Rücken schwer kranker Menschen"

Schuchter verweist darauf, dass bereits fünf Bundesländer – darunter Wien, Niederösterreich, Steiermark, Burgenland und Salzburg – für Anlaufstellen abgestimmt haben und diese in naher Zukunft einrichten werden. Die Finanzierung sei durch eine 15a-Vereinbarung des ehemaligen Gesundheitsministers längst gesichert. "Das Geld ist da, es gibt keine Ausreden mehr!", macht sie deutlich. "Wieso sich Landesrätin Rüscher so gegen eine Anlaufstelle in Vorarlberg wehrt, ist uns schleierhaft", fährt Schuchter fort.

"Es ist ein Hinauszögern auf dem Rücken schwer kranker Menschen", kritisiert Schuchter. Während MS-Patienten, von denen es österreichweit 13.500 gibt, zahlreiche spezialisierte Ambulanzen haben, fehlt für 80.000 geschätzte ME/CFS-Erkrankte in Österreich die notwendige Versorgung.

"Jeder Tag ist verlorene Lebenszeit für Betroffene, die mit Schmerzen im Bett liegen und völlig unversorgt sind. Schwer krank und allein gelassen in Vorarlberg."

Landesrätin Martina Rüscher: "Versorgung nicht ausreichend"

"Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Versorgung von Betroffenen niederschwellig von der Primärversorgung übernommen wird und somit in die Zuständigkeit der Sozialversicherung fällt", erklärt Landesrätin Martina Rüscher.

Landesrätin Martina Rüscher. ©Shourot

"In Vorarlberg wurde das Zielsteuerungsprojekt 'Patientenversorgung – Long Covid' beschlossen, welches in Kooperation mit dem Landesinstitut für integrierte Versorgung Tirol etabliert wurde und auf drei Säulen beruht.":

  • Patient:inneninformation/Website: Das LIV hat im Zuge der Implementierung des Versorgungsprogrammes die Webseite www.postcovid.tirol erstellt. Diese stellt Informationen und Wissen zum Themenkomplex Long Covid zur Verfügung und gibt insbesondere Antworten auf Fragen zu Symptomen, zur Diagnosestellung und möglichen Behandlungspfaden. Diese Webseite wurde im Rahmen des Zielsteuerungsprojekts auch für Vorarlberger Patient:innen entsprechend adaptiert bzw. erweitert und ist unter www.vorarlberg.at/post-covid erreichbar.
  • Wissensnetzwerk: In Kooperation mit dem LIV Tirol wurde ein gemeinsames Wissensnetzwerk vorbereitet. Ziel ist der Austausch von gewonnenen Erkenntnissen und die Aufnahme von Fortbildungsaktivitäten zum Thema Long Covid, um einschlägige Expertise aufzubauen und dadurch den Umgang mit den fachspezifischen Fragestellungen zu erleichtern.
  • Koordinationsstelle für Diagnostik: Für Betroffene wurde eine Koordinationsstelle im LKH Hohenems angesiedelt, zum Zweck einer weiterführenden Diagnostik unter Einbezug der jeweiligen Fachbereiche. Die Befassung erfolgt mittels strukturierter Zuweisung durch die niedergelassenen Allgemeinmediziner, die die Komplexität und Fallschwere mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens beurteilen. Nach der Diagnostik werden über einen ärztlichen Bericht Behandlungsempfehlungen primär im extramuralen Bereich an den zuweisenden Arzt abgegeben.

"In Österreich wurde ein Aktionsplan für postvirale Erkrankungen wie Post-COVID und ME/CFS erstellt", erklärt Landesrätin Martina Rüscher. Daran hätten über 60 Experten mitgearbeitet, darunter auch eine Fachkraft aus Vorarlberg. Ziel sei es, die Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

"Menschen mit Post-Covid und ME/CFS brauchen langfristige, individuell abgestimmte Betreuung." Die Forschung stehe aber noch am Anfang, und "es gibt derzeit keine einheitliche Forschungszusammenarbeit in zu diesen Erkrankungen."

Ein Fortschritt sei das österreichische Nationale Referenzzentrum, das "Forschung und Wissen bündelt – aber keine direkte Versorgung bietet."

Wie es für Vorarlberg weitergeht? Das Gesundheitsministerium wolle zunächst auf Daten aus dem Referenzzentrum warten. "Vorarlberg wird diese bundesweiten Vorgaben abwarten und darauf aufbauend weitere Schritte setzen", so die Landesrätin. Rüscher betont jedoch, dass die aktuelle Versorgung für die Betroffenen in Vorarlberg nicht ausreicht.

Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige

Vor einiger Zeit gründete die ME/CFS-Erkrankte Bettina Todorovic per WhatsApp eine Selbsthilfegruppe für Post-Covid- und ME/CFS-Betroffene und auch Angehörige in Vorarlberg. Wer der Community beitreten möchte, kann eine Nachricht mit Telefonnummer an folgende E-Mail-Adresse schreiben:

(VOL.AT)

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