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"Wollen die Gäste nicht bevormunden" – Trinkgeldtasten sorgen für geteilte Meinungen

Wie sehen Vorarlberger Gastronomen das amerikanische Trinkgeldsystem?
Wie sehen Vorarlberger Gastronomen das amerikanische Trinkgeldsystem? ©VOL.AT/Mayer, Stiplovsek, Paulitsch, Canva
Sollten Trinkgeldhöhen bei der Kartenzahlung fix vorgegeben sein, wie es in Amerika gang und gäbe ist? VOL.AT sprach mit Gastronomen aus Vorarlberger über ihre Sichtweise.

Trinkgeld gehört in Österreich zum guten Ton – meist sind es etwa zehn Prozent der Rechnung, die Gäste als Zeichen der Wertschätzung für guten Service hinterlassen. Ein neuer Trend aus den USA sorgt jedoch auch hierzulande für Diskussionen: Trinkgeldtasten an Kartenzahlungsterminals, die vordefinierte Beträge vorschlagen. Wie reagieren Vorarlbergs Gastronomen?

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Über die amerikanische "Tipping Culture"

In den USA ist die sogenannte "Tipping Culture" ein fest verankerter Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Dort ist Trinkgeld keine freiwillige Geste, sondern de facto eine Verpflichtung: 20 Prozent gelten oft als Mindestbetrag, bei exzellentem Service kann der Wert weit darüber liegen. Der Grund dafür liegt in den niedrigen Grundgehältern des Servicepersonals, das stark auf Trinkgelder angewiesen ist. Immer häufiger wird das Trinkgeld direkt bei der Kartenzahlung über voreingestellte Tasten abgewickelt, was das System effizienter, aber auch weniger flexibel macht. "Leave a tip", heißt es bei der Kartenzahlung. Dann kann beispielsweise zwischen 10, 15 und 20 Prozent gewählt werden.

Stefan Köb mit einem der Bezahlterminals in der "Lust Café Bar". ©VOL.AT/Mayer

Stefan Köb: "Weit weg" vom amerikanischen System

Stefan Köb ist Vollbrutgastronom in Bregenz. Er hat seine Finger beim "Pier 69", der Beachbar, der "LuSt Bar" und auch beim Surfmax im Spiel. Köb sieht das Trinkgeldsystem in den USA kritisch und hält es für wenig geeignet für Vorarlberg. "In Amerika ist es tatsächlich auch so, dass ein Großteil des Gehalts das Trinkgeld ausmacht", meint er. "Wir haben ein grundsätzlich anderes System bei uns, gerade in Anbetracht der Kollektivanpassung und der verbesserten Rahmenbedingungen", betont Köb. Erst im November wurden die Rahmenbedingungen angepasst, man sei "weit weg" vom amerikanischen System, so der Gastronom gegenüber VOL.AT. In Österreich seien die Gehälter inzwischen auf einem Niveau, das im Branchenvergleich vorn liege.

Video: Stefan Köb zum amerikanischen Trinkgeldsystem

"Ich befürworte das amerikanische System so nicht"

Er sieht Trinkgeld vor allem als freiwillige Wertschätzung, die in direkter Form den Mitarbeitern zugutekommen sollte: "Wir arbeiten oftmals streng, intensiv und auch längere Tage", verdeutlicht er. Rund 10 Prozent Trinkgeld bekommen die Mitarbeiter im Schnitt, wie er meint. "Ich befürworte das amerikanische System grundsätzlich so nicht. Auch in Anbetracht dessen, dass das Trinkgeld kein Teil vom Lohn ist und das soll es grundsätzlich nicht werden", so Köb. "Es ist immer eine direkte Schenkung an den Mitarbeiter und somit zu einem Teil auch noch steuerfrei." Ein System, das Trinkgeld stärker formalisiert oder besteuert, lehnt er ab, da dies die Gastfreundschaft und die individuelle Wertschätzung beeinträchtigen könnte.

Zwar gibt es die Option, der Trinkgeldtasten, doch für Köb sind sie nur ein Vorschlag. ©VOL.AT/Mayer

Trinkgeldvorschlag ja, aber kein Muss

Trinkgeldtasten auf Kartenzahlungsterminals finden sich aktuell bereits in einigen Lokalen in Vorarlberg. Von den Zahlungsanbietern werden sie teilweise vorgegeben, der Unternehmer kann aber auch Anpassungen vornehmen, wie er Köb gegenüber VOL.AT verdeutlicht. "Wir haben das teilweise auch bei unseren Terminals, man kann es auch einfach überspringen – das ist kein Thema – oder selbst einen Betrag eingeben", schildert er. Der Gastronom sieht diese Trinkgeldtasten als klare Vorschläge und nicht als "Muss". Sie seien ein nützlicher Reminder, falls Gäste das Trinkgeld im Eifer des Bezahlens vergessen sollten. "Es ist am Ende des Tages immer freiwillig", betont er.

Marcel Lerch in seinem neuesten Lokal, dem Rio in Dornbirn. ©VOL.AT/Mayer

Marcel Lerch: "Das ist gehupft wie gesprungen"

Marcel Lerch kennt man durch seine sieben Lokale in Lustenau und Dornbirn. "Seit der Pandemie sind die Kreditkartenzahlungen stark gestiegen", gibt er beim VOL.AT-Besuch im "Rio" in Dornbirn zu verstehen. Er ergänzt: "Bei den Kreditkartenzahlungen gibt es weniger Trinkgeld für das Servicepersonal." Bis zu einem gewissen Teil sei das Personal auf die Trinkgelder angewiesen, verdeutlicht er. Beim Kreditkartengerät einen Prozentsatz vorzugeben, sei "eine Möglichkeit". In seinen Lokalen wird bisher der vom Gast gewünschte Trinkgeldbetrag einfach eingegeben. "Ich glaube, es bleibt sich fast gleich. Ob ich jetzt 10 Prozent angebe oder 20 oder ob ich einfach den Betrag angebe, den ich gerne dem guten Service zukommen lasse", so Lerch. "Das ist gehupft wie gesprungen."

Video: So denkt Marcel Lerch über die "Tipping Culture"

Trinkgeld bleibt zu 100 Prozent beim Mitarbeiter

Das Trinkgeld kommt übrigens auch bei der Kartenzahlung zu hundert Prozent bei den Mitarbeitern an – teilweise geben Gäste in seinen Lokalen kaum Trinkgeld, teilweise bis zu 10 Prozent. Wie geht ein Kellner mit dem Trinkgeld um? "Bei der Abrechnung gibt es eine eigene Auswertung – Tipp, heißt das. Das wird dann automatisch bei seinem Umsatz abgezogen, das heißt um das muss er weniger abrechnen und das bleibt dann in seiner Geldtasche", erklärt der Gastronom.

Ein Blick ins "Rio" in Dornbirn. ©VOL.AT/Mayer

"Wollen die Gäste nicht bevormunden"

Die Umsetzung des amerikanischen Vorbilds "wäre sicher möglich", so Lerch gegenüber VOL.AT. "Aber wir wollen die Gäste nicht bevormunden beziehungsweise ich finde es schon etwas penetrant, wenn man dem Gast sagt: Und wie viel Trinkgeld gibst du uns? Das würde ich mich jetzt im Moment nicht trauen, durchzusetzen." Ganz ausschließen will er es für die Zukunft nicht: "Vielleicht irgendwann einmal, wenn es sich mehr durchgesetzt hat. Aber im Moment finde ich diese Situation – so wie wir es jetzt handhaben – ganz in Ordnung."

Dietmar Nußbaumer – hier bei einem Lokalaugenschein bei der "Eis Trafik" im Sommer 2024 – ist Gastgeber in der Krone Hittisau. ©Archivbild: VOL.AT/Mayer

"Das entscheidet der Gast, sonst niemand"

Dietmar Nußbaumer ist Gastgeber im Hotel Gasthof Krone in Hittisau. Für den Bregenzerwälder Gastwirt kommt ein Trinkgeld-System nach amerikanischem Vorbild nicht infrage. "Ich bin der Meinung, dass wir unseren Mitarbeitern so viel zahlen müssen, dass sie nicht wie in den USA auf das Trinkgeld angewiesen sind, um überhaupt über die Runden zu kommen", so Nußbaumer gegenüber VOL.AT. In Österreich sei die gesetzliche Lage anders als in den USA, zudem zahle man "wesentlich mehr" als im Kollektivvertrag festgelegt sei. "Weil uns wichtig ist, dass unsere Mitarbeitenden nicht vom Trinkgeld überleben müssen", so der Gastronom. Die Trinkgeldhöhe vorzuschreiben, ist für ihn ein No-Go. "Das entscheidet der Gast, sonst niemand", so Nußbaumer. "Das ist nicht der europäische Weg. Das ist der falsche Weg", fasst er seine Sicht zur "Tipping Culture" zusammen."

Das Hotel Gasthof Krone in Hittisau. ©Archivbild: VOL.AT/Mayer
Hugo Bandeira in der Tagesbar "Dia". ©Roland Paulitsch

"Der Gast rundet auf oder nicht"

Hugo Bandeira begeistert mit seinen Cocktails Gäste in der "Dia Tagesbar" in Hohenems und in der "August" Bar in Dornbirn. "Persönliche finde ich das System bei uns nicht passend", meint er im VOL.AT-Telefongespräch. In Amerika gebe es andere Grundgehälter: "Mitarbeiter in der Gastronomie leben quasi vom Trinkgeld", weiß er. In Österreich sei man besser aufgestellt, es gebe einen klaren Unterschied in der Gastronomie. Trinkgeldvorschläge findet er völlig okay. "Das ist in unserem System schon drinnen", erklärt er. Hier gibt es neben der Eingabe einer bestimmten Trinkgeldsumme auch die Option, bei Kartenzahlung zwischen fünf, sieben und zehn Prozent Trinkgeld zu wählen. "Unten steht dann natürlich auch 'kein Trinkgeld'", so Bandeira. Der Gast bekomme diese Vorschläge kaum zu Gesicht, da der Mitarbeiter das Gerät halte und die Summe nennen. "Der Gast rundet dann auf oder nicht. Ich finde Trinkgeld in unserer Branche sehr wichtig. Die Arbeit zu schätzen und Geld zu geben, ist berechtigt. Gleichzeitig sollte es jedem selbst überlassen sein, ob er Trinkgeld gibt oder nicht", so Bandeira. Am Ende des Tages entscheide der Gast, ob er mit dem Service zufrieden sei und Trinkgeld gebe.

Michael Häfele-Locher im Rösslepark. ©Dietmar Stiplovsek

"Der Gast kann frei wählen, was er eintippt"

Mike Häfele-Locher ist Wirt in der Braugaststätte Rösslepark in Feldkirch. "Wenn man es zur Vorschrift macht, finde ich das nicht gut", meint er. "Der Gast soll immer noch frei sein Trinkgeld wählen können." Er befürwortet einen automatischen Trinkgeldvorschlag: "Weil auch viele Touristen, die bei uns verkehren, nicht wissen, dass ein Trinkgeld im Preis nicht inkludiert ist – allein schon aus Nachbarländern wie der Schweiz, wo es teilweise inbegriffen ist." Der Gast solle aber nicht gezwungen sein, draufzuzahlen. Bei den mobilen Kassengeräten werde bei einer Kartenzahlung automatisch die Frage nach dem Trinkgeld angezeigt, so Häfele-Locher gegenüber VOL.AT. "Ohne Prozentvorschlag oder Größenordnungsvorschlag. Der Gast kann frei wählen, was er eintippt. Ob das ein Euro ist oder ob er nur aufrundet", betont er.

Die Balmalp ist einer der Gastrobetriebe der Lech Bergbahnen AG. ©Lech Zürs Tourismus/Markus Hahn

Lech: "Wir überlassen es den Gästen"

Wie sieht es in den Skigebieten in Vorarlberg aus? In Lech am Arlberg tummeln sich im Winter bekanntlich auch Gäste aus Amerika, die neben Schwüngen auf der Piste auch die Lokale besuchen. VOL.AT hat bei den Bergbahnen Lech (zuständig für die Rud-Alpe, Balmalp, Rüfikopf Panoramarestaurant und andere Lokale im Skigebiet) nachgefragt, ob das US-System in Lech eine Option wäre: "Nein, wir überlassen es den Gästen, ob sie Trinkgeld geben möchten oder nicht", erklärt Unternehmenssprecherin Kirstin Burr. "Es ist kein Muss und sie sollen frei entscheiden." Wie viel Trinkgeld die Gäste geben, ist individuelll: "Sie geben im Schnitt so um die 10 Prozent unserer Erfahrung nach, aber pauschal sagen kann man es nicht", so Burr gegenüber VOL.AT. Die Trinkgeld-Thematik werde auch von amerikanischen Gästen nicht angesprochen.

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(VOL.AT)

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