"Wenn eine Bombardierung einen Kilometer entfernt ist, dann fällt es schwer, zu schlafen."
Inzwischen ist der Lingenauer Ramon Ritter wieder aus dem Libanon zurück, doch das Erlebte wirkt auch danach noch nach. Sogar Glasmüll hat dadurch eine ganz neue Bedeutung gewonnen: „Die ersten Tage, in denen ich zurück in Österreich war, war natürlich ein bisschen Unwohlsein dabei. Etwa wenn man nur die Müllentsorgung nebenan gehört hat. Dann erschrickt man ein bisschen, weil man immer das Gefühl hat, dass das halt eine Bombe oder Rakete sein kann." Inzwischen habe sich das aber nach wenigen Wochen bereits wieder gelegt.

Matratzen, Wasser und Essen
Im Oktober und November war der 33-Jährige für etwa sechs Wochen in Beirut, der Hauptstadt des Libanon, als Logistiker im Einsatz. Dort war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Hilfsgüter wie Linsen, Reis, Trinkwasser, Decken, Kissen, Diesel, Heizungen, medizinische Güter, aber auch Matratzen den Weg zu den Hilfsbedürftigen vor Ort fanden. Fürs Zubereiten der Rohmaterialien verteilten sie Gaskocher.


Decken für wärmere Nächte in den Bergen
"Die Hauptaufgabe war für mich, diese Mengen, die wir eigentlich brauchten, zu organisieren", so Ritter. "Der Fokus lag sehr stark auf den Non-Food-Items, damit die Leute gut schlafen konnten und es warm hatten." Dies sei immer mehr in den Vordergrund gerückt. Auch wenn es im Libanon lange warme Temperaturen gehabt hätte, seien es zu Ende seines Einsatzes in der Nacht nur noch etwa sechs Grad Celsius gewesen. Außerdem hätten sich viele Leute in den Bergen aufgehalten.
Nächte im Auto
"Wenn eine Bombardierung einen Kilometer entfernt ist, oder ein paar hundert Meter, dann fällt es einem schwer zu schlafen", blickt Ritter zurück. Dieses Gefühl überwog jedoch nicht. Vorwiegend fühlte sich der Vorarlberger im Libanon sicher. Dabei spricht er die Sicherheitsstandards von Ärzte ohne Grenzen bei derartigen Einsätzen an, die ihm generell ein gutes Gefühl gaben. Außerdem wohnte er im Gegensatz zu den langfristigen Mitarbeitern im Norden von Beirut, welcher nicht derart von Bombardierungen betroffen war wie der Süden.
Etwa sein Arbeitskollege, der dauerhaft in Beirut lebt, verließ seine Wohnung im Süden immer wieder. "Einmal ist in der Nacht eine Bombe 200 Meter neben ihm eingeschlagen", so Ritter. Danach verbrachte er die Nacht immer wieder im Auto im Norden von Beirut am Meer. „Es gibt Momente, in denen man sich unwohl fühlt. Man fühlt auch diese Spannungen, auch einfach die Personen, die um einen herum sind.“

Zwanzig Personen in einer Wohnung
Gerade im sicheren Gebiet hat Ritter beobachtet, wie in Wohnungen zwanzig Personen statt wie vorher nur zwei Personen in einem kleinen Raum schliefen, weil sie ihre Häuser aufgrund der Sicherheit verlassen mussten. "Man sieht das Leiden oder die Not oder den Bedarf an Hilfe, das kriegt man dann wirklich hautnah auch mit." Und das erlebte er nochmals anders, als wenn man dies in den Medien verfolgt. Eines jedoch beobachtete er auch: Die Motivation, wie alle vor Ort sich gegenseitig unterstützen und trotzdem positiv blieben. "Die Leute strahlen trotzdem eine Lebensfreude aus."

Bei vielen Bewohnern von Beirut beobachtet er schon eine Art Gewöhnung beziehungsweise Normalität. "Die Leute sagen: ‚Ja, wir sind damit aufgewachsen.‘ Teilweise haben die Großeltern schon den dritten Krieg mitgemacht", so Ritter.
Privilegiert
Doch warum begibt man sich freiwillig in ein Konfliktgebiet, um anderen zu helfen? Ritter möchte seinen Beitrag leisten, um die Welt ein bisschen zu verbessern, auch wenn es nur ein kleiner Beitrag ist. Schließlich habe er selbst eine privilegierte Lage, dadurch dass er in Vorarlberg aufgewachsen sei und eine gute Ausbildung genießen durfte, ergänzt er. Dies möchte er in nun zurückgeben. Die Summe vieler kleiner Beiträge würden irgendwann einen großen Beitrag ergeben, sagt er im VOL.AT-Interview. Der Lingenauer ist außerdem überzeugt, dass er vom Bürostuhl aus nicht genügend nahe am Geschehen dran ist: "Vom Büro in Wien bekomme ich nicht alles so mit."

"Innerhalb einer Woche war ich in Beirut"
Aufgrund der akuten Lage im Libanon, verstärkte Ärzte ohne Grenzen im Oktober 2024 die Hilfe vor Ort. "Für den Einsatz im Libanon wurden in kurzer Zeit viele Helfende gesucht.", so Ritter. Denn die israelischen Bombardierungen haben nach Angaben der nationalen Behörden mehr als eine Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, insbesondere im Südlibanon und im Süden der Hauptstadt Beirut.
Anfang Oktober wurden dann der 33-Jährige gefragt und dann ging es Schlag auf Schlag: "Innerhalb von einer Woche war ich dann in Beirut." Dort war er dann sieben Tage die Woche für sechs Wochen im Libanon am Arbeiten. Das war noch vor dem aktuellen Waffenstillstand. Für Ritter ist der Einsatz dort nun abgeschlossen. Doch dabei soll es nicht bleiben.

Pläne für die Zukunft
Fürs Jahr 2025 hat er bereits einen Neujahrsvorsatz: Er will wieder für Ärzte ohne Grenzen ins Ausland. Wohin es gehen soll, steht noch nicht fest. Was er wie bei jedem Einsatz im Koffer dabei haben wird, schon: Snacks aus der Heimat wie Mannerschnitten, ein Kissen und sein Espressokocher. Vielleicht kocht er dort dann auch wieder einmal Kaiserschmarren.
Spendeseite für Ärzte ohne Grenzen
Für die Hilfe im Libanon und auch andere Projekte freut sich Ärzte ohne Grenzen über eine Spende.
(VOL.AT)