"Jahr der Entscheidung": Das war die emotionale Kanzler-Rede samt FPÖ-Bashing

ÖVP-Chef Karl Nehammer hat am Freitag vor rund 2.000 Unterstützern in Wels seinen Nationalratswahlkampf gestartet und sich dabei zum einzigen Gegner von FPÖ-Chef Herbert Kickl stilisiert, ohne ihn namentlich zu nennen. "Es wird die Entscheidung sein zwischen ihm und mir als Bundeskanzler von Österreich", sagte er und versprach ein Jahr der Bewährung und Wehrhaftigkeit. Punkten will Nehammer mit seinem "Österreichplan". Kein Wort verlor er zum Zeitpunkt der Wahl.
Kanzler stilisiert sich bei Rede in Wels zum einzigen Gegner Kickls
"Es wird ein Jahr der Entscheidungen sein zwischen demjenigen, der sich in der dunklen Vergangenheit verliert und lieber an Verschwörungen glaubt", so Nehammer, "und es wird die Entscheidung sein zwischen ihm und mir als Bundeskanzler von Österreich, der an die Zukunft dieses Landes und die Zukunft der Menschen in diesem Land glaubt." Die Frage für Nehammer lautet: "Gestalten oder Spalten?"
Bereits im Vorprogramm hatte es Angriffe vor allem gegen die FPÖ, aber auch die SPÖ und Klimaaktivisten gesetzt. Speziell Generalsekretär Christian Stocker und Klubchef August Wöginger schossen sich auf Kickl ein, Stocker nannte den Freiheitlichen-Chef gar einen Versager. Eingespielt wurden auch Videos, die etwa Kickls früheres Plädoyer für Lockdowns zur Corona-Zeit zum Inhalt hatten.
Bebildert wurde auch die Kritik an SPÖ-Chef Andreas Babler, indem dessen Sager, Marxist zu sein, zu Gehör gebracht wurde. Ihr Fett ab bekamen schließlich die Klimakleber, derer sich Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm annahm: "Diese sinnlose Kleberei muss ein Ende haben."
Start in Früh-Wahlkampf: Das ist der "Österreichplan" von Kanzler Nehammer
In seiner knapp 40-minütigen Rede breitete Nehammer dann jene Inhalte aus, die bereits in den vergangenen Tagen Medien zur Verfügung gestellt worden waren. Nehammer will etwa Wohnungseigentum stärken. Eine halbe Million mehr Eigentümer soll es bis 2030 geben, was zu stehenden Ovationen im Auditorium führte. 800 neue Kassenstellen will er in diesem Zeitraum, die Lohnnebenkosten senken, mit dem "Regulierungswahnsinn" aufhören, alle Steuern auf Überstunden abschaffen und jene mit 1.000 Euro belohnen, die Vollzeit arbeiten.
Ökologie will Nehammer mit Ökonomie vereinen. Der Straßenbau soll dabei nicht zu kurz kommen. Denn irgendwo müssten die Autos neuer Technologien ja fahren. Weiterer Schwerpunkt ist die Sicherheit - von erhöhtem Verteidigungsbudget bis Terror-Bekämpfung. Sozialleistungen für Zuwanderer soll es erst nach fünf Jahren geben und was er von diesen erwartet machte der Kanzler auch klar. "In meinem Verständnis ist Integration Anpassung", auch wenn die FPÖ diese Idee für sich reklamiere.
Auch sonst wilderte der Kanzler in freiheitlichem Territorium, sprach er sich doch für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen sowie in Drittstaaten und generell für eine Neukonzeption des europäischen Asylsystems aus. Doch auch hier, so betonte Nehammer, gebe es "eine klare Abgrenzung zu den Rechtsextremen". Die ÖVP sei nämlich nicht gegen eine geordnete Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Card. Auch den Leitkultur-Begriff reklamierte er für sich, weder von "den Radikalen" noch von "linken Träumern" dürfe man sich das wegnehmen lassen.
Parteiprominenz und Großteil der Regierungsmannschaft in Welser Messe
In die Welser Messe gekommen waren ein großer Teil der schwarzen Regierungsmannschaft und fast alle Landeshauptleute aus den Reihen der ÖVP, aber auch Parteiprominenz von früher: Von Ex-Parteichef Josef Pröll über die Ex-Präsidentschaftskandidaten Andreas Khol und Benita Ferrero-Waldner bis hin zu den Alt-Landeshauptleuten Erwin Pröll, Josef Pühringer und Waltraud Klasnic.
Zum Auftakt begrüßte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer die Gäste, lobte Nehammer als Staatsmann und Umsetzer und formulierte eine Absage an "unrealistische Träumerleins mit Umsetzungsschwächen" ebenso wie an "verbitterte Hetzer". "Darum bist du der Bundeskanzler", so Stelzer, "und es soll auch kein anderer werden."
Babler ortete "Verhöhnung der Bevölkerung" und "Heiratsantrag an FPÖ"
Die Rede und der vorgelegte "Österreichplan" sind auf viel Kritik gestoßen. SPÖ-Chef Andreas Babler sah darin etwa einen "Heiratsantrag" der ÖVP an die FPÖ. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger wertete die ÖVP als planlos, müde und korrupt, und die Freiheitlichen sahen die "Kopiermaschine" von FPÖ-Ideen angeworfen. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ortete in der "ZIB 1" "viel altes Denken einer rechtskonservativen Partei."
SPÖ-Chef Andreas Babler sah eine Verhöhnung der Bevölkerung. Türkis-Grün sei Geschichte und die ÖVP habe einen Heiratsantrag an die FPÖ gestellt, meinte er. NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte bereits am Vormittag die ÖVP als müde und korrupt bezeichnet und sich für eine baldige Neuwahl ausgesprochen.
Dass der Kanzler am Ende der Legislaturperiode erkläre, was er verbessern wolle, sei "eine Verarschung", sagte Babler bei einer Pressekonferenz. Die ÖVP wolle damit wohl vom eigenen Versagen ablenken, verwies er auf Teuerung, Lehrer- und Fachkräftemangel. Der Volkspartei attestierte er, nach der nächsten Wahl auch hinzunehmen, Juniorpartner in einer Koalition mit der FPÖ zu sein. Er selbst wolle antreten, um eine solche Koalition zu verhindern, bedrohe doch die FPÖ die Grundpfeiler der Demokratie. Die Hand in Richtung ÖVP bleibe aber ausgestreckt. Jedoch seien demokratische Grundeinstellungen bei der Rede "massiv in Frage gestellt worden", meinte Babler, hier müsse sich innerhalb der ÖVP zunächst etwas ändern.
Ankuscheln an FPÖ: NEOS werfen Kanzler mangelnde Glaubwürdigkeit vor
Ähnlich negativ die Einschätzung seitens der NEOS. "Was soll man zu einer Zukunftsrede von jemandem sagen, der in der Gegenwart versagt?", warf deren Generalsekretär Douglas Hoyos dem Kanzler mangelnde Glaubwürdigkeit vor. So sitze die ÖVP seit fast vier Jahrzehnten im Wirtschaftsministerium und wünsche sich jetzt einen "Regimewechsel" in der Wirtschaftspolitik. Meinl-Reisinger hatte bereits vor der Rede ein "Ankuscheln an die FPÖ" erwartet und einmal mehr rasche Neuwahlen gefordert.
Ein "Bürgertäuschungsmanöver" sah FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker in der Rede, Nehammer ist für ihn ein "notorischer Krisen-Leugner, der als Bundeskanzler keine Zukunft mehr hat." Der Spitzenkandidat der KPÖ bei der Nationalratswahl, Tobias Schweiger, sieht durch die Rede bestätigt, "dass die ÖVP keinerlei Interesse an leistbarem Wohnen hat."
Auch Greenpeace kritisierte die publik gewordenen Inhalte aus Nehammers Plan im Vorfeld der Rede scharf. "Der Österreichplan entpuppt sich als reine ÖVP-Klientelpolitik für Konzerne zu Lasten von Klima und Umwelt", erklärte Greenpeace-Sprecherin Lisa Panhuber in einer Aussendung. Für Umwelt- und Klimamaßnahmen erhält der Plan ein klares "Nicht genügend", denn die ÖVP wolle den Naturschutz schwächen, Milliarden an Steuergeld in ineffiziente Technologien wie E-Fuels oder CO2-Speicherung investieren und friedlichen Protest kriminalisieren.
Die Umweltschutzorganisation WWF Österreich bewertete das Papier als "umweltpolitische Bankrotterklärung". Im Klimakapitel dominierten Allgemeinplätze und Nebelgranaten, der Natur- und Bodenschutz werde fast komplett ignoriert. "Das ist kein Plan, sondern eine inhaltliche Selbstaufgabe", sagte WWF-Programmleiterin Hanna Simons.
Gewerkschaftsbund-Bundesgeschäftsführerin Ingrid Reischl monierte fehlende Lösungsvorschläge zu den "drängendsten Problemen", etwa den hohen Preisen, insbesondere bei den Mieten, Nahrungsmitteln und der Energie. Auch kritisierte sie die angedachte Großelternkarenz, die eine institutionelle Kinderbetreuung nicht ersetzen könne.
Weitere Reaktionen auf "Österreichplan" von Kanzler Nehammer
Einige gute Ansätze sah die Ärztekammer. So würden sich einige der skizzierten Maßnahmen mit den eigenen Forderungen decken, etwa beim Ausbau der Kassenstellen und bei den Plänen zur verbesserten Vorsorge, so Präsident Johannes Steinhart. Kritisch sah Vizepräsident Harald Mayer etwa die angedachte Berufspflicht für ausgebildete Ärzte, solche Maßnahmen würden einen Wettbewerbsnachteil nach sich ziehen.
Die Wirtschaftskammer sieht Österreich 2024 vor großen Herausforderungen stehen. Die Notwendigkeit von Maßnahmen für einen "erfolgreichen Re-Start" am heimischen Wirtschaftsstandort seien in Nehammers Rede angesprochen worden, so Generalsekretär Karlheinz Kopf. Er betonte, dass es etwa eine Senkung der Lohnnebenkosten brauche, die dem Kanzler auch vorschwebt.
Die Industriellenvereinigung (IV) reagierte großteils positiv, habe der Kanzler doch etwas angesprochen, das für die Industrie von zentraler Bedeutung sei - einen starken, von sozialer Marktwirtschaft, Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung getragenen Standort. Auch sie sieht die Lohnnebenkostensenkung als dringend notwendig und begrüßt Anreize wie den vorgeschlagenen "Vollzeit-Bonus". Viel Applaus für Nehammer gab es naturgemäß aus der ÖVP und ihren Teilorganisationen.
(APA/Red)