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Caritas-Direktor Schwertner warnt vor Einsamkeit

Caritas-Direktor Klaus Schwertner warnt vor den Folgen der Einsamkeit.
Caritas-Direktor Klaus Schwertner warnt vor den Folgen der Einsamkeit. ©APA/GEORG HOCHMUTH (Archivbild)
Der Advent ist für zahlreiche Menschen eine äußerst emotionale Zeit, in der es wünschenswert ist, dass keiner sich alleine fühlt. Jedoch haben gerade aufgrund der Pandemie und steigender Preise viele Personen niemanden, mit dem sie ein persönliches Gespräch führen können, so Caritas-Direktor Schwertner.
Jeder Vierte fühlt sich seit Corona einsamer
100. "Plauderbankerl" gegen Einsamkeit eröffnet

"Was wir beobachten ist, dass Einsamkeit eine total unterschätzte Not ist. Eine Not unserer Zeit, die viel verbreiteter ist, als wir annehmen", sagte Caritas-Direktor Klaus Schwertner im Gespräch mit der APA. Darüber sprechen wollen die wenigsten, die Scham ist zu groß.

Caritas-Direktor Schwertner: Einsamkeit kann jeden treffen

Gemäß einer Eurostat-Studie gaben bereits vor der Pandemie 372.000 Menschen in Österreich an, dass sie niemanden für persönliche Gespräche haben. Schwertner bezeichnete diese Zahl als erstaunlich hoch. Durch die Pandemie und die steigenden Preise hat sich die Situation weiter verschärft. Wenn niemand zu Hause ist, wird die Situation natürlich dramatisch. In der kalten Jahreszeit, wenn es bereits um 16.00 oder 17.00 Uhr dunkel ist und die Tage grau sind, steigt auch die Anzahl der Anfragen bei der Caritas, wie der Caritas-Direktor berichtete.

Insbesondere der Heilige Abend wird für diese Menschen als der schwierigste Tag im Jahr empfunden, da an solchen Abenden schmerzhaft bewusst wird, dass man einsam ist. "Einsamkeit kann jede und jeden treffen, alle Altersstufen." Das Thema hat die gleiche Auswirkung auf beide Geschlechter. Frauen haben zwar eine größere Leichtigkeit, Sozialkontakte zu pflegen als Männer. Im Gegenzug sind Frauen häufiger von sozialer Isolation betroffen, da sie häufiger als Alleinerzieherinnen oder pflegende Angehörige fungieren.

Einsamkeit noch immer Tabu-Thema

Das Thema wird ungern offen angesprochen, wie der Caritas-Direktor betonte. Man unternimmt alles, um zu verhindern, dass andere bemerken, dass man einsam ist. Besonders auf dem Land möchten die Menschen nicht, dass Nachbarn, Gemeindemitglieder oder Gasthausbesucher mitbekommen, dass sie niemanden haben. Es fällt den Menschen schwer, Hilfe anzunehmen. Schwertner betont, dass es sich hierbei um eine individuelle Einschätzung handelt. Selbst wenn jemand eine Familie, Freunde und Bekannte hat, kann er sich dennoch einsam fühlen. Das ist der Unterschied zum Alleinsein. "Wir alle haben mal ein Bedürfnis allein zu sein, Zeit für uns zu haben, aber Einsamkeit ist ein ungewolltes, negatives Gefühl", so der Caritas-Direktor.

Die Caritas hat Anfang des letzten Jahres zusammen mit dem SORA-Institut 1.000 Menschen befragt, um einen Überblick über den aktuellen Stand zu erhalten. Laut der Umfrage sind 65 Prozent der Meinung, dass Einsamkeit in Österreich zugenommen hat. Die Hälfte der Befragten glaubt, dass Einsamkeit im Jahr 2023 immer noch ein Tabuthema sein wird. Laut Schwertner, dem Sprecher der Caritas, werden Themen wie Armut und Tod in unserer Gesellschaft leider oft gemieden. Es ist unangenehm, von sich selbst zu sagen, dass man einsam oder arm ist. Diese beiden Themen gehen oft Hand in Hand. Jeder dritte Mensch in der niedrigsten Einkommenskategorie musste aufgrund der Inflation seine sozialen Kontakte einschränken. Laut Schwertner ist es schwierig, sich an einem Ort aufzuhalten, ohne etwas zu konsumieren.

Caritas-Direktor Schwertner mit Appell an Politik

Laut der SORA-Umfrage äußerte die Hälfte der österreichischen Bevölkerung den Wunsch nach mehr politischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit. Schwertner betonte, dass Einsamkeit auf die politische Agenda gesetzt werden sollte. Andere Länder wie Großbritannien, Deutschland oder die Niederlande haben bereits umfangreiche Maßnahmen ergriffen. Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines Pakts gegen Einsamkeit oder die Ernennung einer Regierungsbeauftragten oder eines Regierungsbeauftragten, der sich speziell diesem Thema widmet. In Großbritannien beispielsweise wurde das Thema in das Gesundheitssystem integriert und Hausärzte dienen als Schnittstelle zur sozialen Arbeit ("soziales Verschreiben"). Dadurch erhalten Menschen, die unter Einsamkeit leiden, eine Art "Rezept" für entsprechende Angebote, um ein erfülltes und zufriedenes Leben führen zu können.

Plaudernetz hilft seit 2020 gegen Einsamkeit

Die Caritas hat verschiedene Initiativen ergriffen, um diesem Problem entgegenzuwirken. Während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 wurde gemeinsam mit Magenta das Plaudernetz ins Leben gerufen. Über die sogenannte Plauderhotline können Menschen freiwillige Gesprächspartner erreichen, die gerne zuhören und reden möchten. Inzwischen haben sich rund 4.000 Freiwillige gemeldet. Der Caritas-Direktor betont, dass die Nachfrage nach diesem Angebot enorm hoch ist. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es sich hierbei lediglich um eine präventive Maßnahme handelt und nicht um eine Krisenhotline für akute Fälle.

Das Plaudernetz ist täglich zwischen 10.00 und 22.00 Uhr erreichbar. Seit seiner Gründung wurden fast 40.000 Telefonate geführt. Laut Schwertner haben die Gespräche im Durchschnitt eine Dauer von 30 Minuten, was als relativ lang betrachtet wird. Bislang wurden insgesamt eine Million Minuten telefoniert. Der Initiator selbst hat bereits solche Gespräche geführt und empfindet es anfangs als etwas ungewohnt, mit einem völlig Fremden am Telefon zu sprechen. Doch es ist "bewegend und beeindruckend", wie schnell man Gemeinsamkeiten findet, insbesondere in einer Zeit, die von Krisen wie steigenden Preisen, Terror, Krieg und dem Klimawandel geprägt ist. Im Vergleichszeitraum von Oktober und November 2023 wurden 50 Prozent mehr Gespräche verzeichnet als im Vorjahr.

100 Plauderbankerl in Wien und Niederösterreich

Bisher haben mehr als 5.800 Personen angerufen. Inzwischen gibt es auch sogenannte Plauderbankerl mit 100 Bänken in Wien und Niederösterreich. Diese öffentlichen Plätze sind gekennzeichnet, um bewusst anderen zuzuhören. Schwertner betonte das Thema "Ich nehme mir Zeit, ich höre dir zu". Es hat sich gezeigt, dass das Telefon eine wesentlich bessere Möglichkeit zur Kommunikation ist als Social Media. Für viele Menschen ist es zwar einfacher und unkomplizierter als ein Telefonat. Jedoch wird dort oft eine verzerrte Realität vermittelt. Man sieht ständig andere Menschen, denen es scheinbar viel besser geht, was das Gefühl verstärkt, dass es anderen besser geht als einem selbst, so Schwertner.

Die Caritas verfügt über 47.000 ehrenamtliche Helfer, die sich in verschiedenen Projekten engagieren. Laut Schwertner handelt es sich dabei um Menschen, die nach sinnvollen Tätigkeiten suchen, Gemeinschaft erleben möchten und ein positives Gefühl dabei haben. Die Ergebnisse einer SORA-Umfrage zeigen zudem, dass 40 Prozent der Befragten ihr soziales Engagement auch als eine Möglichkeit betrachten, Einsamkeit entgegenzuwirken.

Hilfe bei Einsamkeit

Einige Angebote der Caritas gegen Einsamkeit etwa das Plaudernetz mit der Hotline unter Telefonnummer 05 1776 100. Ab Anfang Dezember werden wieder 42 Wärmestuben in Pfarren in Wien und Niederösterreich ihr Pforten öffnen und Gäste bewirten. Einmal in der Woche füllt sich der virtuelle Plauderraum mit Menschen, die sich zu unterschiedlichen Themen unterhalten, austauschen, gemeinsam Spiele spielen, mit einer geschulten Moderation unter plauderraum.caritas-wien.at. Auch Open2Chat at ist eine kostenlose, anonyme, Online-Begleitung von Jugendlichen für Jugendliche. open2chat bietet die Möglichkeit für Jugendliche, online mit Gleichaltrigen über ihre Sorgen, Fragen und Probleme zu chatten. open2chat ist kostenlos und anonym. Weitere Informationen gibt es hier.

Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Hier finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich.

(APA/Red)

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