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"Trügerische Ruhe": Terror-Experte arbeitet Wien-Anschlag 2020 in Buch auf

Stockhammer arbeitet in "Trügerische Ruhe" den Anschlag in Wien vom 2. November 2020 auf.
Stockhammer arbeitet in "Trügerische Ruhe" den Anschlag in Wien vom 2. November 2020 auf. ©Martina Berger/APA/Amalthea Verlag
Am 2. November jährt sich der Anschlag in Wien zum dritten Mal. Der Terrorexperte Nicolas Stockhammer setzt sich in seinem neu erschienenen Buch "Trügerische Ruhe" mit dem behördlichen Versagen und der terroristischen Bedrohung in Europa auseinander.
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Dass der Terror-Anschlag in Wien am 2. November 2020 nicht verhindert werden konnte, beschäftigt seitdem Politik und Justiz. Im Februar wurden vier Männer als Beitragstäter nicht rechtskräftig zu langen Haftstrafen verurteilt. Mit dem soeben erschienenen Buch "Trügerische Ruhe - Der Anschlag von Wien und die terroristische Bedrohung in Europa" versucht sich der Terrorexperte Nicolas Stockhammer an einer umfassenden Aufarbeitung für ein breites Publikum.

Stockhammer sieht in Wiener Terror-Anschlag "behördliches Versagen"

Kurz nach dem Anschlag sprach Stockhammer von "graduellem Systemversagen", und das würde er mit seinem heutigen Wissenstand wieder tun. "Definitiv liegt ein behördliches Versagen vor", schreibt er in dem am 24. Oktober erschienenen Sachbuch. Der Grund dafür laute Überforderung. Im ohnehin krisengebeutelten, mittlerweile aufgelösten Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) lag im Herbst 2020 der Fokus auf der bevorstehenden "Operation Luxor" - mehrere groß angelegte Razzien im Milieu der Muslimbrüder -, der Corona-Pandemie und damit einhergehenden Demonstrationen gegen die Corona-Politik und Maßnahmen der Bundesregierung. Diese hätten weitere Kapazitäten der Behörden gebunden, wodurch sich der spätere Attentäter vor den Augen der Justiz, des Staatsschutzes und Deradikalisierungsvereinen vom "schmächtigen Jugendlichen" zum überzeugten Islamisten entwickeln konnte.

Buch zieht drei Jahre nach Terror-Anschlag in Wien Bilanz

Auf 288 Seiten geht Stockhammer der Frage nach, wie sich der Mann, der dem Verfassungsschutz schon in Jugendjahren aufgefallen war und später nach Syrien ausreisen wollte mit dem Ziel, sich dem Islamischen Staat anzuschließen, im Gefängnis weiterradikalisieren konnte und weshalb seine mörderischen Pläne nicht vereitelt wurden. "Mein Beweggrund dieses Buch zu schreiben, war, dass ich denke, dass es eine Aufarbeitung von jemandem aus der Forschung braucht, die auch bei der breiten Masse ankommt", sagte der Autor mehrerer Fachbücher zur APA. Neben dem Fall des Wiener Attentäters, der am 2. November 2020 vier Menschen tötete und zahlreiche weitere verletzte, geht "Trügerische Freiheit" auf die Trends und Phänomene des europäischen Jihadismus und die Herausforderungen in der Radikalisierungsbekämpfung ein.

Europa derzeit mit "Gelegenheits-Terrorismus" konfrontiert

Denn in einigen Punkten sei die Entwicklung des Wiener Attentäters "typisch" für die eines europäischen Attentäters gewesen. Als "Einzeltäter Plus" hatte er zwar ein Netzwerk, dass ihn in seiner Ideologie unterstützte, die Planung des Anschlags dürfte er aber alleine durchgeführt haben. Derzeit sei man in Europa mit sogenanntem "Gelegenheits-Terrorismus" konfrontiert. In der Regel seien es junge Männer, die keine direkte Verbindung zum IS hätten, die Anschläge durchführen. Attentate würden von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen, immer öfter über Ländergrenzen hinweg geplant, die Durchführung meist logistisch einfach, mit Stichwaffen, Alltagsgegenständen wie Küchenmessern oder Autos, wie in Nizza oder Barcelona. Durch diesen "Low-Level-Terrorismus" würden die Kosten, die operative Planung und die koordinierende Kommunikation reduziert und damit die Wahrscheinlichkeit, dass der Anschlag vereitelt werden könnte, minimiert.

Experte ortet verstärkte Radikalisierung bei jungen Islamisten und Rechtsextremen

Derzeit beobachte Stockhammer eine "drastisch zunehmende Radikalisierung bei jungen Islamisten und Rechtsextremen", verstärkt durch den Anfang Oktober erneut aufgeflammten Nahost-Konflikt sieht er im islamistischen Terrorismus aber die größte Gefahr, sagte er zur APA. Stockhammer, der seit einigen Wochen das neu ins Leben gerufene Studium "Counter Terrorism, CVE and Intelligence" an der Uni Krems leitet, sieht auch in der Virtualisierung des Extremismus große Schwierigkeiten in der Terrorbekämpfung. Künftige Täter kommunizieren über Messenger-Dienste und würden sich im "Darknet" für Anschläge rüsten, die Handhabe der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (Nachfolgebehörde des BVT) sei hier zu gering, kritisiert Stockhammer im Gespräch einmal mehr, dass Geheimdienste in anderen Ländern über deutlich mehr Kompetenzen verfügen.

Gewidmet ist das Buch den "zahlreichen selbstlosen Helfern, den wahren Helden vom 2. November 2020" sowie den Opfern, denn "es obliegt unserer Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die Opfer des Terroraktes nicht vergessen werden", so Stockhammer.

Nicolas Stockhammer: "Trügerische Ruhe. Der Anschlag in Wien und die terroristische Bedrohung in Europa", Amalthea Verlag, 288 Seiten, 29,00 Euro

(APA/Red)

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