WANN & WO: Wann hast du gemerkt, dass du ein Alkoholproblem hast? Wie lange ging es da schon?
Valentin Fetz: Nun, ich denke nicht, dass es hier einen „Zeitpunkt X“ gibt, bei dem man am einen Tag noch kein Suchtproblem hat und am nächsten Tag dann aber schon. Eine Sucht ist ein schleichender Prozess, der jeden Menschen treffen kann. Ich denke aber, dass mir im Frühjahr 2020 während des ersten Corona-Lockdowns aufgefallen ist, dass da etwas mit meinem Trinkverhalten nicht stimmt. Damals war ich 25. Das Problem hat sich aber wahrscheinlich bereits in den Jahren zuvor angebahnt und ist dann immer größer geworden.
WANN & WO: Wie war dein Trinkverhalten? Woran hast du gemerkt, dass es problematisch wurde?
Valentin Fetz: Es ist mir lange nicht aufgefallen. In unserer Gesellschaft ist es dermaßen normal, zu jedem noch so kleinen Anlass Alkohol zu trinken, dass es beinahe als unnormal gilt, wenn man keinen Alkohol trinkt. Das hat es für mich ungemein schwierig gemacht, zu erkennen, dass ich süchtig bin. Ein Punkt hat es für mich aber dann doch sehr deutlich gemacht: Ich habe, vollkommen unabhängig davon, ob ich direkt von der Arbeit heim gegangen bin oder davor noch auswärts etwas trinken war, täglich alleine zu Hause ein bis zwei Flaschen Wein getrunken. Am Morgen gab es dann zum Frühstück erstmal ein halbes Glas Wodka, damit die Hände aufhören zu zittern. An diesem Punkt war es dann für mich nicht mehr zu ignorieren, dass ich definitiv Alkoholiker bin.

WANN & WO: Was hast du dann gemacht? Hast du dir Hilfe von außen geholt?
Valentin Fetz: Der Weg von diesem stillen Eingeständnis, süchtig nach Alkohol zu sein, bis zum tatsächlichen Entschluss, dagegen etwas zu unternehmen, hat dann doch noch einige Zeit und etliche Räusche gebraucht. Eines Tages bin ich gerade von einem meiner Lokalbesuche nach Hause gegangen. Es klingt beinahe etwas hollywoodesk, aber ich bin vor dem Badezimmerspiegel gestanden, habe in mein betrunkenes Gesicht geblickt und zum ersten Mal laut ausgesprochen, was sich schon lange in mir gefestigt hatte: „Valentin, du bist Alkoholiker.“ Von da an gab es für mich kein Zurück mehr. Ich bin ein paar Tage später zu einem Arzt gegangen und habe mir dann psychologische Hilfe im Suchtbereich geholt. Der erste wichtige Schritt war geschafft.
WANN & WO: Hatte niemand aus deinem Umfeld etwas vermutet?
Valentin Fetz: Ich gehöre ja zu den so genannten „funktionierenden Alkoholikern“. Ich habe bei meiner Arbeit stets gut abgeliefert und alle waren immer zufrieden mit meiner Leistung. Meine Sucht konnte ich eigentlich immer recht bequem kaschieren. In unseren Breitengraden fragt ab spätestens 16 Uhr ohnehin kaum noch wer, ob es denn nicht etwas zu früh fürs erste Bier wäre. Selbst mein engster Freundes- und Familienkreis hat mir im Nachhinein gesagt, dass sie nicht einmal auch nur ansatzweise vermutet hätten, dass ich ein Alkoholproblem haben könnte.
WANN & WO: Also hast du sie nach deinem Eingeständnis dir selbst gegenüber einbezogen?
Valentin Fetz: Ab dem Augenblick, als ich dann trocken wurde und mir auch Hilfe gesucht hatte, war ich auch selbst soweit, dass ich damit in meinem Familien- und Freundeskreis offen umgehen konnte. Dass ich so lange durchgehalten habe und mich nun damit an die Öffentlichkeit wage, wäre ohne meine Familie und meine Freunde, die Unterstützung meines Chefs und meiner Arbeitskollegen, letztlich aber vor allem ohne die professionelle Hilfe, nicht möglich gewesen.
WANN & WO: Hast du eine Erklärung dafür, wie es zu deinem Alkohol-problem kam? Schließlich gehörst du mit deinem Alter und beruflichem Erfolg nicht zum Stereotyp eines Trinkers.
Valentin Fetz: Suchtverhalten und Suchterkrankungen können ganz viele verschiedene Ursachen haben. Ganz oft ist ein solches durch Einflüsse in der frühesten Kindheit bereits geprägt. Mir ist aber ganz wichtig, Folgendes zu betonen: Sucht ist weit mehr als das Klischee vom Obdachlosen mit dem Dosenbier. Alkoholismus findet in ausnahmslos jeder Gesellschaftsschicht und Berufsgruppe statt. Vom Minister bis zum Maurer, von der Richterin bis zur Ärztin und vom Polizisten bis zum Studenten. Es mag vielleicht ungewöhnlich erscheinen, dass sich ein vergleichsweise junger Mensch eine Alkoholsucht eingesteht, aber es ist gerade die jüngere Generation, die heute ungemein gefährdet ist: Der enorme Leistungsdruck, der auf jungen Menschen lastet, und der durch unsere Gesellschaft immer mehr wird, drängt Menschen geradewegs in eine Sucht.
WANN & WO: Muss sich in deinen Augen also auch innerhalb der Gesellschaft etwas tun?
Valentin Fetz: Unbedingt. Der eigene Alkoholkonsum sollte stärker reflektiert und nötigenfalls auch kritisch hinterfragt werden. Und auch die Entscheidung, keinen Alkohol zu trinken, muss respektiert werden. Stichwort: „Komm, sei nicht so ein Spaßverderber, trink mit! Eins geht doch schon! Und eins ist keins, also gehen auch zwei!“ So etwas kann fatal enden.
WANN & WO: Wie geht es dir heute? Spürst du die Sucht noch?
Valentin Fetz: Sich ehrlich einzugestehen, dass man süchtig ist und ernsthaft dagegen etwas unternehmen muss, ist ein großer und schwieriger Schritt. Ich hatte ungeheuren Respekt davor, wie wohl mein Umfeld reagieren würde und ob ich die Selbstdisziplin dafür wohl aufbringen würde, das durchzustehen. Aber: Es ist machbar! Eine Sucht ist bezwingbar. Es gibt Höhen und Tiefen und es ist kein Tag wie der andere – da darf man sich nichts vormachen. Auch ich bin noch lange nicht „geheilt“. Denn eine Heilung gibt es in Wirklichkeit nicht. Wer einmal süchtig ist, bleibt das sein Leben lang. Für mich bedeutet das: Nie wieder im Leben auch nur einen Tropfen.
Hier findet ihr Hilfe bei Problemen mit Alkohol:
Für Menschen, die selbst ein Problem mit Alkohol haben, Angehörige sind oder ein solches Problem bei einem Mitglied des Familien- und Freundes-kreises vermuten, gibt es mehrere Anlaufstellen in Vorarlberg:
Die Caritas hat Beratungsstellen in Dornbirn, Bregenz, Feldkirch, Bludenz, Egg und Hirschegg. Die Kontaktdaten finden sich unter www.caritas-vorarlberg.at/hilfe-angebote/sucht/suchtfachstellen.
Zahlen
- 800 VorarlbergerInnen erhalten jedes Jahr die Diagnose Alkoholabhängigkeit
- 1000 Personen in Vorarlberg werden jährlich ambulant wegen Alkoholproblemen behandelt
- 7 % der erwachsenen Vorarlberger-Innen trinken täglich Alkohol
- 5 % trinken täglich in einem problematischen Ausmaß
- 66 % der SchülerInnen der 9. und 10. Schulstufe trinken mindestens einmal im Monat Alkohol. 20 Prozent trinken dabei bis zum Rausch
- 600 Milliliter Bier oder 250 Milliliter Wein sollten Männer pro Tag maximal trinken, um ihr Risiko zu verringern. Für Frauen gilt die Hälfte. Quelle: Vorarlberger Suchtbericht 2018
(WANN & WO)