Mitten im Blockbustersommer kommt ein kleiner, schöner, bildgewaltiger Film über das Erwachsenwerden eines Mädchens in den Südstaatensümpfen und bietet mehr Eskapismus als so mancher Superheldenfilm. Delia Owens Erfolgsroman "Der Gesang der Flusskrebse" wurde von Reese Witherspoon verfilmt. Taylor Swift hat den sehnsüchtigen Titelsong beigesteuert. Das Ergebnis enttäuscht nicht. Ab Freitag im Kino.
Der Gesang der Flusskrebse - Kurzinhalt zum Film
Kya Clark, gespielt von der Britin Daisy Edgar-Jones (bekannt aus der Serie "Normal People"), hat sich quasi im Alleingang in einer Hütte im feuchten Marschland von North Carolina selbst groß gezogen. Als wir sie treffen, schreiben wir das Jahr 1969, und sie wird wegen Mordes vor Gericht gestellt. Ein Bursche, mit dem sie eine Beziehung hatte, ist von einem Feuerwachturm in den Tod gestürzt. Hat sie ihn umgebracht? Alle scheinen das zu glauben. Dann spult der Film zurück.
Sechs Jahre alt ist Kya (jetzt gespielt von Jojo Regina), als ihre Familie beginnt, sich aufzulösen. Zunächst flieht ihre Mutter vor ihrem handgreiflichen Ehemann, dann verschwinden nach und nach die Geschwister, schließlich macht sich auch der alkoholkranke Vater aus dem Staub. Irgendwie überlebt das Mädchen allein im Marschland. Wie ein Huck Finn, hinaus aufs Meer, den Fluss hinunter oder irgendwohin, vermeidet sie die Zivilisation. Und weil sie wie eine andere beliebte literarische Figur, Pippi Langstrumpf, ohne Eltern lebt, muss sie sich mit Hilfe ihrer eigenen erfinderischen Ressourcen allem stellen.
Als Kya älter wird, tun zwei junge Männer aus der Stadt ihr Bestes, um die "wilde Schöne" aus ihrem Einsiedlertum zu locken. Zuerst bringt ihr der gutherzige Tate (Taylor John Smith) Lesen und Schreiben bei, verlässt sie aber fürs College. Es dauert nicht lange und ein gut aussehender Widerling namens Chase (Harris Dickinson) kommt vorbei. Wir wissen vom Beginn des Films, dass er tot in den Sümpfen landen wird. All jene, die den Roman nicht gelesen haben, werden bis zum Ende mit der Frage, ob sie den Mord begangen hat, oder nicht, in Atem gehalten, und der Film, so viel sei gesagt, bietet eine gelungene Überraschung.
Der Gesang der Flusskrebse - Die Kritik
Das grenzt natürlich alles an wohltuenden Kitsch. "Der Gesang der Flusskrebse" ist teils ein Krimi, teils eine Nicholas-Sparks-Liebesgeschichte, teils ein dunkles Märchen voller grüner Gräser und einsamer Strände und teils die Emanzipationsgeschichte einer Frau, die in einer Männerwelt fast zermalmt wird. Zum anderen steckt darin der uramerikanische Traum von Selbstbestimmung und Glück, der in der Realität nicht selten zerbricht.
Die Leinwandversion unter der Regie von Olivia Newman ("First Match") mit einem Drehbuch von Lucy Alibar ("Beasts of the Southern Wild") ist Reese Witherspoon zu verdanken. Die hat das Buch im Jahr 2018 zum Roman des Monats ihres Buchklubs "Hello Sunshine" gekürt und die Story mit ihrer Firma verfilmt. Während die Hollywoodschauspielerin nicht auf der Leinwand zu sehen ist, trägt der Film definitiv ihren Fingerabdruck als neuester in einer Reihe von visuell lyrischen, frauenzentrierten Geschichten wie "Gone Girl", "Big Little Lies" und die neue Serie "The Girl in the Water" (bei Apple TV+).
Inzwischen hat "Der Gesang der Flusskrebse" ("Where the Crawdads Sing") nicht nur gute Publicity bekommen. Die Geschichte ist erfunden, aber es besteht der Verdacht, dass hier die Grenzen von Fiktion und Realität verschwimmen. Die Autorin des Romans, die pensionierte amerikanische Zoologin Delia Owens, wird verdächtigt, in den 1990ern in einen echten Mordfall im afrikanischen Busch verwickelt gewesen zu sein.
Auch wer ihr Buch nicht kennt, wird kein Problem damit haben, in die Welt des "Marschmädchens" einzutauchen, dank Daisy Edgar-Jones klarem Einfühlungsvermögen für die Heldin. Die Atmosphäre des Marschlandes von North Carolina mit seinen hellen, sprudelnden Schattierungen und dunkleren Schatten sind meisterhaft von der Kamerafrau Polly Morgan ("A Quiet Place 2") eingefangen. Und während Flusskrebse nicht wirklich singen, so tut das Taylor Swift sehr schön über den Abspann.
(APA/Red)