Van der Bellens Lehrstunde

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte zu lange geschwiegen, eher er bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele diese Woche nicht nur redete, sondern auch etwas zu sagen hatte. In die Schlagzeilen schaffte es die Kopfwäsche für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und die übrigen Regierungsmitglieder. Sie müssten mehr liefern und vor allem auch besser und deutlicher kommunizieren, was Sache ist, lautete die Botschaft.
Im Grunde genommen war das ein vernichtendes Urteil, dem wohl kaum jemand widersprechen wird: Noch selten ist die Unzufriedenheit über eine Regierung so groß gewesen wie bei der gegenwärtigen. Selbst die mächtigste ÖVP-Funktionärin, die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, hat unlängst bestätigt, dass eine klare Führung fehlt.
Zu lange haben Nehammer und Kogler die Folgen der Teuerung unterschätzt, haben geglaubt, mit ein paar „Bonuszahlungen“ alles regeln und sich irgendwie dahinwursteln zu können. Zu ihren größten Schwächen zählt jedoch, dass sie nicht kommunizieren können. Politik heißt unter anderem, möglichst viele Menschen zu überzeugen. Diese Fähigkeit ist notwendiger denn je: Wer nicht überzeugt davon ist, dass aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine Sanktionen gegen Russland notwendig sind, wird negative Auswirkungen für sich selbst ablehnen. Werden diese Auswirkungen schmerzlich, wird er revoltieren. Tun das viele, entsteht eine Massenbewegung daraus. Befeuert von einer Partei wie der FPÖ, besteht in Österreich durchaus Potenzial für eine solche.
Wie man vermittelt, was läuft, hat Van der Bellen in seiner Rede bei den Festspielen gezeigt. Es sagte beispielsweise: „Wir leben in einer Zeit, wo die Grundelemente unseres Lebens angegriffen werden. Der Friede in Europa. Unsere Freiheit, unsere Demokratie, die Art wie wir leben wollen, unsere Versorgungssicherheit, und die Sicherheit insgesamt. Warum ist plötzlich alles unsicher, was über Jahrzehnte so sicher schien? Weil einige hundert Kilometer östlich von hier ein Diktator sitzt, der es nicht ertragen kann, dass Menschen in Europa in individueller Freiheit und Unabhängigkeit leben. Der vom verweichlichten, dekadenten Westen redet, der unsere Art zu leben, zutiefst verachtet. Weil er nicht erträgt, dass wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der jeder Mensch gleich viel wert ist. Das ist die Wahrheit und das ist der Kern der Sache. Weil der russische Präsident das nicht erträgt, hat er einen Krieg begonnen.“
Das macht deutlich, dass es hier nicht nur um einen Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern den gesamten Westen geht, zu dem auch Österreich gehört. Das bedeutet, dass man dagegenhalten muss. Zumindest durch Sanktionen etwa. Nehammer schafft es nicht, das verständlich zu machen. Van der Bellen kann es. Damit gelingt es ihm viel eher, Verständnis für die Sanktionen aufzubauen. Zumal er auch empathisch sein kann. Was zu den Folgen überleitet und Betroffenen zunächst immerhin das Gefühl vermittelt, endlich wahrgenommen zu werden: „Hunderttausende Menschen in unserem Land haben Angst und sind am Rande der Verzweiflung“, sagte Van der Bellen: „Alleinerziehende Mütter und Mindestpensionisten, aber genauso Menschen, die bislang keine gröberen Geldsorgen hatten.“ Ihnen muss geholfen werden.
Die Antwort kann nicht sein, an den Sanktionen zu rütteln, wie es ÖVP-Wirtschaftsmann Harald Mahrer und FPÖ-Chef Herbert Kickl tun, es gehört vielmehr ein nationaler Schulterschluss zur Verhinderung von Massenarmut her. Österreich könnte das zusammenbringen. Es fehlt „nur“ eine Regierung, die kann und will; und zwar reden wie tun.
Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik