Ukraine: Angst vor Großangriff der Russen in Kiew

In der Nacht auf Samstag und in der Früh wurden Gefechte aus Kiew gemeldet, unter anderem um ein Heizkraftwerk und eine Kaserne der ukrainischen Streitkräfte. Bilder zeigten Treffer in einem Wohngebäude. Schließlich warnten die ukrainischen Behörden: "Auf den Straßen unserer Stadt laufen jetzt Kampfhandlungen. Wir bitten darum, Ruhe zu bewahren und maximal vorsichtig zu sein!" Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, betonte, die Hauptstadt sei weiter in ukrainischer Hand. Mit Stand 5.00 Uhr MEZ gebe es 35 Verletzte, unter ihnen zwei Kinder.
Selenskyj fordert Aufnahme der Ukraine in die EU
Selenskyj meldete sich in der Nacht auf Samstag und am Morgen immer wieder in Videobotschaften. Unter anderem forderte er die Aufnahme seines Landes in die EU - derzeit ein aussichtsloses Unterfangen. Vor allem wollte er zeigen, dass er die Ukraine nicht verlassen habe: "Ich bin hier." Das Land müsse verteidigt werden. Putin hatte die ukrainische Armee aufgefordert, die Waffen niederzulegen. Das zeichnete sich nicht ab.
Ukraine und Russland melden militärische Erfolge
Von beiden Kriegsparteien gab es militärische Erfolgsmeldungen. Das ukrainische Militär erklärte, man habe 3.500 russische Soldaten getötet und 200 weitere gefangen genommen. Zudem seien 14 Flugzeuge, acht Hubschrauber und 102 Panzer sowie mehr als 530 weitere Militärfahrzeuge zerstört worden.
Russland meldete seinerseits, es seien mehr als 800 ukrainische Militärobjekte "außer Gefecht" gesetzt worden. 14 Militärflugplätze, 19 Kommandoposten, 24 Flugabwehr-Raketensysteme vom Typ S-300 und 48 Radarstationen seien zerstört, acht Marine-Boote der Ukraine getroffen worden. Russische Truppen hätten die Kontrolle über die südostukrainische Kleinstadt Melitopol.
Gescheiterte Friedensverhandlungen?
Diese Angaben der Kriegsparteien können nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Gesicherte Informationen sind immer schwerer verfügbar. Viele westliche Journalisten haben Kiew verlassen. Eine diplomatische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Um Druck auf Russland auszuüben, traten in der Nacht auf Samstag neue EU-Sanktionen in Kraft.
Russland wirft Ukraine Beschuss von Wohngebieten im Dobass vor
Russland warf der ukrainischen Seite indes den Beschuss von Wohngebieten im Separatistengebiet Donbass vorn. "Ukrainische Nationalisten" hätten am Samstagvormittag unter anderem die Stadt Starobilsk im Luhansker Gebiet angegriffen, erklärte das Moskauer Verteidigungsministerium der Agentur Interfax zufolge. "Infolgedessen ist in der Stadt ein Feuer ausgebrochen, es gibt zerstörte Wohngebäude und Tote unter der Zivilbevölkerung", hieß es.
Zugleich betonte das Ministerium in Moskau erneut, die russische Seite attackiere keine ukrainischen Wohnsiedlungen. Zuvor war allerdings ein Hochhaus in der Hauptstadt Kiew bei schweren Angriffen russischer Truppen getroffen worden. Bilder von dem Hochhaus zeigten deutlich sichtbar einen Einschlag in oberen Stockwerken. Mindestens vier Etagen auf einer Seite des Hauses wurden dabei zerstört. Unklar war zunächst, was genau vorgefallen war und ob es Opfer gab.
Angst vor russischem Großangriff in Kiew: Ausgangssperre
Aus Furcht vor einem großen Angriff russischer Truppen weitete die Stadtverwaltung von Kiew die nächtliche Ausgangssperre aus. Sie gilt von diesem Samstag an bereits ab 17.00 Uhr (Ortszeit, 16.00 Uhr MEZ) bis 8.00 Uhr (7.00 Uhr MEZ) in der Früh. Zuvor galt sie ab 22.00 Uhr Ortszeit. Zudem habe die U-Bahn ihren Betrieb eingestellt, schrieb Bürgermeister Klitschko auf Telegram. Die Metro-Stationen werden von Einwohnern derzeit als Schutzraum bei Luftangriffen genutzt.
Die ukrainische Armee rief die Bevölkerung auf, den russischen Vormarsch mit allen Mitteln zu stoppen. "Fällt Bäume, baut Barrikaden, verbrennt Reifen! Nutzt alles, was Ihr zur Hand habt!", zitierte die Agentur UNIAN am Samstag aus einer Mitteilung. Auch der Bau sogenannter Molotow-Cocktails könne helfen. "Die Besatzer müssen verstehen, dass sie hier nicht erwünscht sind und dass ihnen in jeder Straße Widerstand geleistet wird."
Waffen an Einwohner Kiews verteilt
In Kiew wurden zahlreiche Waffen an die Einwohner verteilt. Insgesamt seien 25.000 automatische Waffen sowie 10 Millionen Patronen ausgegeben worden, sagte Innenminister Denys Monastyrskyj. Auch Panzerabwehrwaffen seien ausgehändigt worden.
"Mehr als 100.000 Eindringlinge sind in unserem Land"
Nach Darstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind inzwischen Zehntausende russische Truppen in die Ukraine einmarschiert. "Mehr als 100 000 Eindringlinge sind in unserem Land", schrieb das Staatsoberhaupt am Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter. "Sie schießen heimtückisch auf Wohngebäude." Er appellierte an den UN-Sicherheitsrat, die Ukraine dringend politisch zu unterstützen. "Stoppt gemeinsam den Angreifer!"
Selenskyj appellierte am Samstagnachmittag auf Twitter an den UNO-Sicherheitsrat, die Ukraine dringend politisch zu unterstützen. "Stoppt gemeinsam den Angreifer!" Eine gegen den russischen Angriff gerichtete Resolution im Sicherheitsrat war zuvor freilich wie erwartet am Veto Moskaus gescheitert.
(APA/Red)