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Emily.
Emily. ©zVg

So erging es den K.O.-Tropfen-Opfern

„Ich weiß nicht, was passiert ist, als ich mit ihm draußen war.” Nach dem K.O.-Tropfen-Skandal beim Maturaball der HLW Rankweil im Festspielhaus Bregenz zeigt WANN & WO Geschichten der Opfer.

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Am Sonntag sieht Marie* die Fotos auf Instagram: Ihre Freundinnen drängen sich in die Fotobox, lachen, umarmen sich. Marie klickt die Bilder durch, betrachtet jedes einzelne – und in ihrem Kopf schreien die Fragen: Warum bin ich nicht auf den Bildern? Wo war ich? Was habe ich gemacht? Oder, noch viel schlimmer: Was wurde mit mir gemacht?

Horror-Heimweg

„Meine Schwester wurde Opfer von K.O.-Tropfen“, ist sich Emily Bickel aus Bludenz sicher. Die 22-Jährige erinnert sich genau an den Abend: „Meine Schwester kam schon gegen 2 Uhr nachts heim, obwohl sie sich schon lange riesig auf den Ball gefreut hatte. Das kam mir gleich seltsam vor.“ Doch das sollte nicht das einzige Unheimliche bleiben: „Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, riss ihre Augen auf. Sie nahm mich überhaupt nicht wahr, sah durch mich hindurch und übergab sich ewig lang auf der Toilette“, schildert Emily. „Meine Eltern und ich nahmen an, dass sie unglaublich betrunken sei – an so etwas wie K.O.-Tropfen hat ja niemand von uns gedacht.“ Am nächsten Morgen steht Marie unter Tränen vor ihrer Familie: „Ich hatte nur ein Sekt-Orange und zwei Weiß-Sauer. Ich glaube, jemand hat mir etwas ins Glas getan.“ Sie erreicht einen Bekannten, der Licht ins Dunkel des Abends bringt:  „Marie habe ihm gegen Mitternacht gesagt, dass sie heimgehe. Sie habe auf ihn nicht fit gewirkt und er sei ihr dann sicherheitshalber nach draußen gefolgt.“ Dort ging es los: Der jungen Frau ging es immer schlechter, sie war kaum bei Sinnen, musste sich immer wieder übergeben. „Er hat sie dann zum Zug gebracht und nach Hause begleitet.“ Als die Familie das hört, fährt sie sofort mit Marie ins Krankenhaus – aber vergebens: „Es waren bereits keine Spuren mehr nachweisbar. Aber auch die Ärzte sagten uns, dass ihre Symptome und die Umstände nach K.O.-Tropfen klangen. Und dass sich die Fälle von Verdacht auf K.O.-Tropfen in letzter Zeit häuften.“

Schreckliche Gewissheit

„Das alles mitzuerleben, zu sehen, wie meine kleine Schwester völlig neben sich steht und komplett schutzlos ist, das war grauenvoll. Das tat weh, sehr weh.“ Darum steht für die Jus-Studentin schnell fest: Sie will etwas tun. Und das auf eigene Faust, „denn schon sechs bis acht Stunden nach der Verabreichung sind bestimmte Stoffe nicht mehr nachweisbar.“ Deshalb würden viele die Fälle gar nicht anzeigen, der Polizei sind daher nur wenige Fälle bekannt. Opfer sollten dennoch so schnell wie möglich zur Polizei und ins Spital. „Auch wenn man sich schämt oder Angst hat: Die Polizisten und Ärzte können rechtzeitig Beweise sichern und nur so kann eine Anzeige überhaupt etwas bringen. Und je mehr Fälle angezeigt werden, desto bekannter wird das Problem und desto mehr kann dagegen getan werden.“

Gemeinsam stark

Nach dem Erlebnis ihrer Schwester wendet sich Emily an die Öffentlichkeit. In einem Post bei Facebook sucht sie nach Betroffenen und bittet sie, sich bei ihr zu melden. „Ich dachte mir: Gemeinsam sind wir stark“, schildert sie. „Nach nur einer Stunde hatte ich schon mehrere Nachrichten bekommen. Mittlerweile habe ich etwa 20 Berichte von Betroffenen – allein zehn nur von diesem einen Maturaball.“ Alle Betroffenen haben eingewilligt, dass ihre Berichte hier in WANN & WO anonym veröffentlicht werden. „Sie wollen ein Zeichen setzen, wollen, dass hingeschaut und nicht unter den Teppich gekehrt wird“, erklärt Emily. „Ich kann natürlich nicht nachprüfen, ob und unter welchen Einflüssen sie standen. Aber nichts davon klingt nach reinen Alkohol-Folgen.“ Dabei gehe es weder den Betroffenen noch der Studentin um Schuldzuweisung: „Die HLW Rankweil und auch das Festspielhaus können nichts dafür, ihnen mache ich keinen Vorwurf. Auch die Polizei kann erst handeln, wenn Anzeigen da sind.“

ERFAHRUNGSBERICHTE

„Jede Mühe wert“

Noch immer erreichen Emily täglich weitere Mails von Betroffenen oder Angehörigen. „Ich weiß, ich werde damit nicht den oder die Täter finden“, gibt sie zu. „Aber wenn auch nur ein solcher Täter hier liest, was er den Opfern antut und seinen Fehler einsieht, ist es jede Mühe wert.“

*Name zum Schutz des Opfers geändert, der Redaktion aber bekannt

„Weiß nicht, was passiert ist, als ich mit ihm draußen war”

„Ich hatte nach zwei Weiß-Süß auf dem Ball einen kompletten Filmriss, weiß nur aus Erzählungen von anderen, was passiert ist. Ich habe mich sehr offensiv an einen Jungen herangemacht und lange mit ihm geschmust, was überhaupt nicht typisch für mich ist. Dann bin ich beim Tanzen zweimal umgefallen und der Junge hat mich an die frische Luft gebracht. Als ich wieder hereinkam, habe ich mich wohl an noch einen anderen Jungen heranmachen wollen. Stunden später hat mich ein Kollege alleine am Bahnhof angetroffen. Ich weiß nicht, wie ich dahin gekommen bin. Es gibt Fotos von mir auf der Party, an die ich mich nicht erinnern kann. Ich weiß auch nicht, was passiert ist, als ich mit dem Jungen draußen war.“ Ball-Besucherin

„Konnte nicht aufhören, mich zu übergeben”

„Ich war von einem Moment auf den anderen völlig euphorisiert. Ich rannte zu Kollegen, rannte auf die Bühne, wurde gefilmt. Irgendwann wurde mir schlecht und ich ging raus an die Luft. Dort übergab ich mich in einen Blumenkübel und schlug mir den Kopf an einem Pfosten an, was ich nicht einmal gespürt habe. Ab da habe ich nur noch erbrochen, gefühlt ewig, ohne Pause. Von all dem weiß ich nichts mehr, das habe ich nur aus Erzählungen von anderen. Ich hatte nur zwei Weiß-Süß und zwei Shots, eine normale Menge.“ Ball-Besucherin

„Tropfen lösten Krampfanfall aus”

„Ich leide an einer Nervenerkrankung, ähnlich wie Epilepsie. Nach nur drei Sekt und zwei Weiß-Süß wurde mir plötzlich schlecht, ich fing an, stark zu schwitzen und bin auf Toilette gegangen. Dort hatte ich dann einen Krampfanfall. Zum Glück merkten es Leute dort und riefen die Rettung. Ich bin im Zuge des Anfalls auch auf den Kopf gefallen und habe Schnittwunden – woher, weiß ich nicht.“ Ball-Besucherin

„Mit blutenden Füßen getanzt”

„Auf dem Ball hat es nicht nur mich, sondern auch meinen Freund erwischt. Wir waren erst beide extrem gut drauf, hatten Spaß. Irgendwann merkte ich, dass mein Fuß blutete: Ich hatte beim Tanzen meine Schuhe ausgezogen und war in eine Scherbe getreten. Das war mir aber in dem Moment total egal, alles war scheinbar gut. Erst im Zug nach Hause ging es mir und meinem Freund plötzlich immer schlechter. Er musste unaufhörlich erbrechen, ich schwitzte stark, zitterte am ganzen Körper und uns beiden fehlte jegliches Zeitgefühl.“ Ball-Besucherin­­

INFOS

Was genau sind K.O.-Tropfen?

Der Begriff K.O.-Tropfen bezeichnet keine einzelne Substanz, sondern eine ganze Reihe von Chemikalien. Darunter auch Schlaf- oder Beruhigungsmittel, die erst durch die Überdosierung und heimliche Verabreichung zu K.O.-Tropfen werden. Die Wirkung hält meist zwischen 15 Minuten und vier Stunden an. Sie kann nicht nur betäubend sein, sondern die Betroffenen auch euphorisch oder manipulierbar machen.

Betroffene können sich noch immer bei Emily melden

Wart ihr selbst bereits von K.O.-Tropfen betroffen? Oder gab es einen solchen Vorfall in eurem Familien- oder Freundeskreis? Dann meldet euch bei Emily. Sie sammelt die Erfahrungen und bündelt sie – natürlich diskret und sicher. „Mein Wunsch wäre es, dass auf Grundlage dieser Berichte später Vorträge in Schulen organisiert werden“, sagt die Bludenzerin. Betroffene können sich per Mail bei ihr melden, sie vermittelt an die Organisationen weiter: emily.bickel@outlook.com

Tipps fürs sichere Feiern:

• Lass dich nicht von jemandem einladen, dem du nicht vertraust.

• Hole dir lieber ein kleines Getränk, das du vor dem Tanzen oder vor dem Gang zur Toilette austrinken kannst.

• Behalte dein Getränk im Auge, im Zweifelsfall ein neues Getränk besorgen.

• Vereinbare mit FreundInnen, dass ihr untereinander auf die Getränke aufpasst.

• Wenn ihr in der Gruppe unterwegs seid, geht auch zusammen! KeineR geht oder bleibt allein.

Wenn es schon zu spät ist und doch etwas passiert ist:

• Geh nicht allein weg. Oft merken andere nicht, dass du bereits „kippst“.

• Auf Privatpartys und bei Dates kann es ebenso Angriffe mit KO-Tropfen geben. Nicht immer sind es Fremde oder Zufallsbekanntschaften.

• Geh zur Polizei und ins Spital! Selbst wenn es dir unangenehm ist, sie können helfen und rechtzeitig Beweise sichern.

(WANN & WO)

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