Sozialwirtschaft: Einigung auf 3-Jahres-Abschluss

Mitten in der Coronakrise haben sich Arbeitgeber und -nehmer in der Sozialwirtschaft auf eine Lösung in den Kollektivvertragsverhandlungen geeinigt. Als Ergebnis wurde ein 3-Jahres-Abschluss erzielt, teilte die Gewerkschaft mit. Für die 125.000 Beschäftigten im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich bedeutet das heuer ein Lohnplus von 2,7 Prozent und eine Arbeitszeitverkürzung ab 2022.
Prämien auch bei Kundenkontakt während Corona-Krise
Darüber hinaus erhalten alle Beschäftigten, die während der Coronakrise arbeiten und Kundenkontakt haben, eine Corona-Prämie in der Höhe von 500 Euro.
"Verantwortungsvoller Abschluss" in Krisenzeiten
Die Gewerkschaften sprachen am Mittwoch von einem "verantwortungsvollen Abschluss". Mit Blick auf die Coronakrise sagte Eva Scherz, Verhandlerin für die Gewerkschaft GPA-djp: "Der Abschluss trägt dieser speziellen Situation Rechnung." Es sei ein "guter Abschluss mit Verantwortung für die besondere Situation", sagte Scherz - und betonte, dass der Abschluss ohne Coronakrise nicht so schnell erfolgt wäre.
Die KV-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) bereits seit November 2019. Die Gewerkschaften gingen mit der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in die Verhandlungen, die Arbeitgeber lehnten diese Forderung immer wieder ab, bezeichneten sie als nicht machbar und argumentierten dabei mit dem ohnehin bestehenden Personalmangel in der Pflege. Am 10. März hätte nach einer ergebnislosen siebenten Verhandlungsrunde eine große Protestveranstaltung in Wienstattfinden sollen, nach dem Verbot der Regierung von Großveranstaltungen wurde diese kurzerhand abgesagt. Eine Woche später wurden die Verhandlungen wegen der Coronakrise offiziell ausgesetzt.
Angebot am Montag eingetroffen
Die Arbeitnehmervertreter sagten damals, sie würden ein schriftliches Angebot der Arbeitgeber erwarten - und am Montag, 30. März, traf dann eines ein. "Wir haben am Montag ein Angebot übermittelt", bestätigte Walter Marschitz, Chefverhandler der Arbeitgeberseite. "Es hat ein bisschen gebraucht, bis wir es beisammen hatten", berichtete er weiter. Marschitz hatte zuletzt immer wieder auf einen baldigen Abschluss gehofft, besorgt um die Beschäftigten und den Ruf der Branche. Auf Arbeitgeberseite hatte jedoch die Zustimmung zu einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche gefehlt.
Die Verbreitung des Coronavirus habe dann alle aus der Bahn geworfen, auch Streiks und Protestmaßnahmen habe die Ausnahmesituation verhindert, so die Gewerkschaft. "Es war klar, dass das jetzt nicht möglich ist", sagte Scherz - obwohl die Beschäftigten nach wie vor kampfbereit gewesen wären. Die Coronakrise habe einen "enormen Einfluss auf die Branche", so Scherz. Einerseits seien die Beschäftigten im Arbeitsalltag besonders gefordert, andererseits sei die wirtschaftliche Unsicherheit groß. "Viele brauchen endlich ihre Gehaltserhöhung", betonte die Verhandlerin einen Beweggrund für den raschen Abschluss.
Sozialwirtschaft: Auf diese Punkte hat man sich geeinigt
Im Detail sieht dieser folgendermaßen aus: Für 2020 gibt es rückwirkend ab 1. Februar eine Gehaltserhöhung um 2,7 Prozent und ab 1. Jänner 2021 eine Gehaltserhöhung in der Höhe der Inflationsrate plus 0,6 Prozentpunkte. Am 1. Jänner 2022 wird dann die generelle 37-Stunden-Woche eingeführt, teilte die Gewerkschaft mit. Für die 70 Prozent Teilzeitbeschäftigten bedeute das noch einmal eine Gehaltserhöhung um 2,7 Prozent, hieß es. Derzeit gilt in der Branche die eine 38-Stunden-Woche, viele Beschäftigte arbeiten jedoch Teilzeit.
"Erleichtert" und "positiv gestimmt" zeigte sich am Mittwoch auch Erich Fenninger, Vorsitzender der Sozialwirtschaft und gleichzeitig Geschäftsführer der Volkshilfe. Er sprach von einer "schwierigen Situation" in den Verhandlungen, da die Gewerkschaften lediglich eine einzige Forderung hatten und daher wenig Bewegungsspielraum bestand. Auf Arbeitgeberseite hätte es zwar schon länger eine Mehrheit für eine Arbeitszeitverkürzung gegeben, aber nicht die notwendige Dreiviertelmehrheit, bedauerte er.
Fenninger selbst ist froh, dass bei der Einigung eine Arbeitszeitverkürzung enthalten ist. "Ich wollte keinen Abschluss ohne Arbeitszeitverkürzung", sagte er am Mittwoch. Als Sozialarbeiter wisse er um die Belastung der Arbeit in der Branche, betonte er. Vor allem im Bereich der Pflege müsste die Rahmenbedingungen für Beschäftigte verbessert werden - und eine Arbeitszeitverkürzung sei eine Möglichkeit dafür.
Abschluss in der Top-Liga der KV-Vertragsabschlüsse
"Mit 2,7 Prozent Plus reiht sich dieser Abschluss heuer in die Top-Liga der Kollektivvertragsabschlüsse", sagte am Mittwoch Michaela Guglberger, Verhandlerin für die Gewerkschaft vida. "Auch die Erhöhung um 0,6 Prozentpunkte über der Inflationsrate nächstes Jahr sichert trotz wirtschaftlicher Großwetterlage ein hohes Niveau ab", ist sie überzeugt. Mit der Verkürzung der Arbeitszeit auf 37 Stunden sei außerdem ein erster Schritt in Richtung Attraktivierung des Berufs gelungen, sagte Guglberger und sprach insgesamt von einem "guten Gesamtpaket".
Die Corona-Prämie von 500 Euro bezeichnete Scherz als "Zeichen der Wertschätzung" für die Beschäftigten, als Anerkennung für ihren Einsatz - auch in Krisenzeiten. Etwa 60 bis 70 Prozent der Beschäftigten würden von diesem "Zuckerl" profitieren, schätzte sie. Auch Fenninger sprach bei dieser "Gefahrenzulage" für die Beschäftigten von einer "wichtigen Anerkennung".
Forderung nach 35-Stunden-Woche bleibt aufrecht
Den Abschluss erachten die Gewerkschafterinnen Scherz und Guglberger zwar als Erfolg, hundertprozentig zufrieden wirkten sie aber nicht. "Unsere Forderung nach der Einführung einer 35-Stunden-Woche bleibt natürlich aufrecht und wird in die nächsten Kollektivvertragsverhandlungen aufgenommen", sagten sie. Die nächsten KV-Verhandlungen sind eigentlich erst für 2022 geplant, nachdem jetzt ein 3-Jahres-Abschluss erzielt wurde. "Wir werden uns jetzt aber nicht drei Jahre lang nicht sehen", sagte Scherz. Gemeinsam mit den Arbeitgebern gehe es auch weiterhin darum, den Kollektivvertrag zu modernisieren und die Branche attraktiver zu gestalten.
Sozialwirtschaft: Freude über KV-Abschluss in Corona-Zeiten
Das Echo auf den überraschenden Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) ist am Mittwoch sehr positiv gewesen. Die Einigung beinhaltet für dieses Jahr eine Gehaltserhöhung von 2,7 Prozent und ab 2022 eine Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 37 Stunden. Kritische Stimmen gab es anlässlich dieses Ergebnisses in Zeiten der Coronakrise kaum.
FPÖ-Obmann Norbert Hofer zeigte sich erfreut über den positiven Abschluss der KV-Verhandlungen. "Die erzielte Einigung zeugt von einem großen Verantwortungsbewusstsein der Verhandlungspartner", befand Hofer. Mitarbeiter im Gesundheitsbereich seien während der Coronakrise besonders gefordert und würden einen "essentiellen Beitrag" leisten, um das Gesundheitssystem am Laufen zu halten, so Hofer. Nach der Krise müsse die Politik die Schwachstellen des Pflegesystems beseitigen, forderte er und plädierte für die Gründung einer Bundesgenossenschaft für Pflege und Betreuung als Trägerorganisation.
Ergebnis sei "richtungsweisend für weitere Branchen"
Kärntens Arbeiterkammer-Präsident Günther Goach gratulierte am Mittwoch zum KV-Abschluss. "Für jene Beschäftigte, die besonders stark gefordert sind, ist dieser KV-Abschluss ein Zeichen der Wertschätzung ihrer Arbeit und die einzig richtige Antwort auf die aktuelle Krise", teilte er per Aussendung mit. Das Ergebnis der Verhandlungen in der Sozialwirtschaft müsse "richtungsweisend für weitere Branchen" sein, meinte er. Gleichzeitig forderte Goach die Bundesregierung auf, die Steuerfreiheit für Boni für Leistungen in der Corona-Krise zu beschließen.
Ob das für die ausverhandelte Corona-Prämie von 500 Euro für alle SWÖ-Beschäftigten mit Kundenkontakt während der Coronakrise gelten wird, ist bisher nicht klar. "Wir werden uns mit Nachdruck dafür einsetzen, dass auch diese Zulage steuerfrei ist - analog zu den Prämien, die im Lebensmittelhandel bezahlt werden", sagte Erich Fenninger, Vorsitzender der Sozialwirtschaft und Geschäftsführer der Volkshilfe. Er würde es begrüßen, wenn die Regierung die Prämie nicht nur steuerfrei macht, sondern sie aus Bundesmitteln noch aufbessert. Fenninger sieht darin einen "Charaktertest für die Bundesregierung", teilte er am Mittwoch mit.
Volkshilfe begrüßt Einigung und spricht von "wichtigem Schritt"
Die Einigung selbst begrüßte die Volkshilfe - und bezeichnete sie als "wichtigen Schritt" für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Branche. Gratulationen kamen auch von Volkshilfe-Präsident Ewald Sacher, der betonte, "dass sich das Ringen um eine faire Entlohnung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Arbeitszeitverkürzung gelohnt hat". Fenninger bedankte sich bei beiden Verhandlungsseiten und meinte: "Das Ergebnis kann sich sehen lassen." Sein Kollege im Verhandlungsteam der Arbeitgeber, Walter Marschitz, ergänzte: "Ich bin erleichtert und freue mich, dass wir jetzt die ganze Kraft in die Bewältigung der Krise stecken können."
Nicht weit genug geht die in der Einigung enthaltene Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden dem Gewerkschaftlichen Linksblock im ÖGB. Er vermutete hinter der Nachricht vom KV-Abschluss am Mittwoch einen "bösartigen" Aprilscherz.
Ludwig gratuliert zum KV-Abschluss
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Sozial- und Gesundheitsstadtrat Peter Hacker haben am Mittwoch ebenfalls erfreut auf die Einigung in den KV-Verhandlungen in der Sozialwirtschaft reagiert. "Ich gratuliere den Sozialpartnern zu dieser Einigung. Sie zeigt, wie verantwortungsvoll beide Seiten mit diesem wichtigen Thema umgehen", sagte Ludwig am Nachmittag.
Weiters honorierten sie die Leistungen der Beschäftigten der Branche in der aktuellen Coronakrise. "Nicht oft genug können wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken, mit welcher Umsicht und mit welchem Engagement sie sich gerade jetzt um unsere sozial Bedürftigen, Gebrechlichen und Seniorinnen und Senioren kümmern", betonten Ludwig und Hacker.
Hilfswerk-Präsident Karas über Einigung "sehr froh"
"Sehr froh" über die Einigung war am Mittwoch auch Hilfswerk-Präsident Othmar Karas. "Eine weitere Prolongation des ungewissen Zustandes während der Verhandlungen wäre für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zumutbar gewesen", teilte er in einer Aussendung mit. Die Beschäftigten hätten sich "ein deutliches Gehaltsplus und die Anerkennung ihres Einsatzes in dieser schwierigen Zeit mehr als verdient", sagte er.
Der nun beschlossene Drei-Jahres-Korridor bietet laut Karas Sicherheit und Perspektiven bis 2022 und sei ein tragfähiger Kompromiss, mit dem man nun arbeiten werde. Die Arbeitszeitverkürzung würden etliche Arbeitgeber mit guten Gründen nach wie vor durchaus skeptisch sehen, stellte er fest. Die Einigung dürfe jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, "dass die Schicksalsfrage der kommenden Pflegereform die Personalfrage sein wird", betonte Karas.

(APA/Red)