Schredder-Affäre: Ermittler war ÖVP-Mitglied
Einer der Polizisten, der im Vorjahr in der sogenannten (inzwischen eingestellten) Schredder-Affäre ermittelte, war ÖVP-Kandidat bei einer Gemeinderatswahl in Niederösterreich und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) deshalb suspekt. Das geht aus Akten hervor, in die die APA Einblick nehmen konnte. Der Mann habe "problematische Handlungen" gesetzt, so der Vorwurf.
Justizminister Clemens Jabloner gab grünes Licht
Konkret soll er nach dem Bekanntwerden des Schredderns von Festplatten aus dem Bundeskanzleramt das Handy des Beschuldigten zurückgegeben und auch dessen Laptop in der ÖVP-Zentrale nicht sichergestellt haben. Dem Verdacht, dass dort ein möglicher Auftraggeber dokumentiert sein könnte, sei damit nicht nachgegangen worden.
Die WKStA ortete einen "konkreten Hinweis auf Befangenheit". Bei Justizminister Clemens Jabloner, damals auch Vizekanzler der Übergangsregierung, drangen sie damit nicht durch. Er sah durch die Parteimitgliedschaft allein noch keinen Anschein der Befangenheit begründet.
Steinacker empört über Aktenveröffentlichung
ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker sieht kein Problem darin, dass ein in der (inzwischen eingestellten) "Schredder-Affäre" ermittelnder Polizist ÖVP-Kandidat bei einer Gemeinderatswahl in Niederösterreich war. Auch Ex-Justizminister Clemens Jabloner habe keine Befangenheit erkannt. Aber Steinacker fand es in diesem Fall "suspekt", dass Medien Einsicht in interne Akten der WKStA bekamen.
Wie es zu Berichten auf Basis eines Vorhabensberichts der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft kam, will Steinacker nun mittels parlamentarischer Anfrage klären. Denn sie erachtet es laut Aussendung als "überaus seltsam, dass gerade jetzt, wo die WKStA in Diskussion steht, diese bereits abgeschlossenen Sachen hervorgekramt werden". "In Diskussion" kam die WKStA, nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz im Jänner die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwälte in einem Hintergrundgespräch attackiert hatte.
FPÖ: "Skandal erster Ordnung"
Für die FPÖ ist das ein "Skandal erster Ordnung". Generalsekretär Michael Schnedlitz hielt der ÖVP in einer Aussendung vor, "bis in den letzten Winkel unserer Republik" Einfluss nehmen zu wollen. Die Volkspartei schreddere "nicht nur Festplatten, sondern jegliche staatliche Kontrollinstanz".
NEOS sahen sich in ihrem Zweifel an der Unabhängigkeit der "Soko Ibiza"-Ermittler bestätigt. In politisch brisanten Fällen dürfe bei den ermittelnden Beamten nicht einmal ein Hauch des Anscheins von Befangenheit bestehen - und "zumindest in diesem Fall handelt es sich eindeutig um weit mehr als bloß einen Anschein", meinte Stephanie Krisper, pinke Fraktionsführerin im Ibiza-Untersuchungsausschuss. "Besonders auffällig" ist für sie, dass der Polizist laut "ZiB 2" von der ÖVP-Kandidatenlisten verschwunden sei, nachdem die WKStA in einem Informationsbericht auf den ÖVP-Hintergrund des Mannes aufmerksam gemacht habe. "Hier drängt sich auch der Verdacht auf, dass jemand aus dem Justiz- oder dem Innenministerium Ermittlungsergebnisse an die Volkspartei weitergegeben hat, um die ÖVP-Nähe des Polizisten zu vertuschen", sagte Krisper.
BK verteidigt Vorgehen des Polizisten
Das Bundeskriminalamt verteidigt das Vorgehen des ÖVP-Gemeinderatskandidaten und Polizisten in Ermittlungen zur "Schredder-Affäre". Die WKStA befand es laut internen Akten als problematisch, dass er bei einer "freiwilligen Nachschau" Handy oder Laptop nicht sichergestellt hat. Die Wirtschafts- und Kriminalitätsstaatsanwaltschaft habe das nicht angeordnet, sagte ein BK-Sprecher Dienstag im Ö1-"Mittagsjournal".
Es sei auch eine mögliche Befangenheit eines Ermittelnden geprüft und festgestellt worden, dass keine Befangenheitsgründe vorlagen, berichtete BK-Sprecher Vincenz Kriegs-Au. Der betreffende Mitarbeiter sei Ende August 2018 auf eigenen Wunsch von den Ermittlungen abgezogen worden. Dies könnte freilich auch daran liegen, dass damals eine aufmunternde Kurznachricht bekannt wurde, die der Soko Ibiza-Polizist kurz nach dessen Rücktritt an Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geschickt hatte.
WKStA dementiert unerlaubte Aktenweitergabe
Angesichts der Berichte über Akteninhalte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur "Schredder-Affäre" stellte diese selbst Dienstag klar, dass sie "zu keiner Zeit" interne Berichte und Bestandteile von Ermittlungsakten an externe, nicht berechtigte Personen ohne gesetzliche Grundlage weitergegeben habe. Wie verpflichtet, habe man aber den betreffenden Ermittlungsakt dem Ibiza-U-Ausschuss zukommen lassen.
Schredder-Affäre: Kanzleramts-Mitarbeiter erstattete Anzeige
Die Berichte über die ÖVP-Kandidatur eines Soko Ibiza-Ermittlers haben eine "Strafanzeige" gegen Unbekannt zur Folge. Der Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes, der nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos Festplatten unter falschem Namen schreddern ließ, hat sie eingebracht, teilte die ÖVP am Dienstag mit. Denn es seien vom Amtsgeheimnis geschützte Aktenstücke veröffentlicht worden.
In der "ZiB2" am Montag sei ausdrücklich und wörtlich aus einem "Vorhabensbericht" der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und offensichtlich aus einem Protokoll einer Besprechung im Justizministerium zitiert worden. Diese seien aber in einem Verschlussakt - der der gegenständliche Ermittlungsakt sei - Parteien oder Privatbeteiligten nicht zugänglich.
Weitergabe als Verletzung des Amtsgeheimnisses
Zu diesen Aktenstücken hätte also nur ein eingeschränkter Personenkreis Zugang gehabt, insbesondere die damit in der WKStA, allenfalls der Staatsanwaltschaft und der Oberstaatsanwaltschaft Wien befassten Personen. Jedenfalls also nur Personen, "die ihrerseits das Amtsgeheimnis zu wahren haben", heißt es in den Erläuterungen zur ÖVP zur Anzeige. Die Weitergabe solcher Dokumente an Dritte, "insbesondere an Medien", sei jedenfalls eine Verletzung des Amtsgeheimnisses, allenfalls auch Amtsmissbrauch.
Die WKStA ihrerseits hat bereits klargestellt, dass sie interne Berichte und Bestandteile von Ermittlungsakten nicht an externe, nicht berechtigte Personen weitergegeben habe. Diese Berichte würden nur der OStA Wien und dem Justizministerium vorgelegt - und die betreffenden überdies "anlässlich der Verpflichtung zur Aktenübermittlung" auch via OStA Wien an den parlamentarischen Ibiza-U-Ausschuss.
Jabloner gab "nur abstrakte rechtliche Erklärung"
Ex-Justizminister Clemens Jabloner wird im Zusammenhang mit der ÖVP-Gemeinderatskandidatur eines Soko Ibiza-Ermittlers mit den Worten zitiert, Parteimitgliedschaft allein begründe keine Befangenheit. Dies hat er damals gesagt, bestätigte er der APA. Aber er habe damit nur eine "abstrakte rechtliche Erklärung" abgegeben - und zur Klärung allfälliger konkreter Vorwürfe an das zuständige Innenministerium verwiesen.
Er wolle, betonte der frühere VwGH-Präsident, "überhaupt nicht in das parteipolitische Geflecht hineinkommen". Genau das habe er mit seiner Amtsführung als Justizminister der Beamtenregierung immer vermeiden wollen.
Zu den "Ibiza"-Ermittlungen habe er eine Sitzung abgehalten, allerdings nicht, um sich konkret in die Ermittlungen einzubringen - "das kann nicht Aufgabe eines Minister sein" -, sondern zur Koordinierung. Dort habe er seine Rechtsauffassung durchgesetzt, dass die reine Parteimitgliedschaft nicht bereits Befangenheit begründe, garantiere die Verfassung Beamten doch die Ausübung ihrer politischen Rechte.
Und, merkte Jabloner an, "bei der parteipolitischen Organisationshöhe, die bei der Exekutive gegeben ist", könnte sonst niemand mehr Ermittlungsarbeit leisten. Er gehe jedoch davon aus, dass Beamte unbefangen und gesetzesgemäß ihren Aufgaben nachkommen.
Der Innenminister habe ihm im konkreten Fall auch versichert, dass die abgestellten Beamten in Ordnung seien. Dies habe er zur Kenntnis genommen. Den WKStA-Vertretern habe er gesagt, sie müssten sich, wenn sie konkrete Verdachtsmomente hätten, an das Innenministerium wenden. Denn dieses sei bei Exekutivbeamten die zuständige Dienstaufsichtsbehörde.
(APA/red)